"Wir brauchen einen Wechsel in der US-Außenpolitik"
Seite 2: Anti-Russland und -China-Politik erweist sich als Bumerang
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Auch wenn viele amerikanische Politiker es nicht hören wollen: Putins Warnung vor der Nato-Ausdehnung war sowohl ernst gemeint als auch in der Sache angemessen. Russland will kein schwer bewaffnetes Nato-Militär an seiner Grenze, so wie die USA ebenfalls nicht ein von China unterstütztes schwer bewaffnetes mexikanisches Militär an der Grenze zwischen den USA und Mexiko akzeptieren würden. Das Letzte, was die USA und Europa brauchen, ist ein langer Krieg mit Russland. Doch genau das hat Bidens Beharren auf der Nato-Inklusion der Ukraine zur Folge.
Die USA und die Ukraine sollten drei absolut vernünftige Bedingungen zur Beendigung des Krieges akzeptieren: Die militärische Neutralität der Ukraine, die faktische russische Kontrolle der Krim, auf der Russland seit 1783 seine Schwarzmeerflotte stationiert hat, und eine in Verhandlungen zu bestimmende Autonomie für die ethnisch-russischen Regionen, wie sie in den Minsker Vereinbarungen gefordert wurde, die die Ukraine aber nicht umgesetzt hat.
Anstelle eines solchen vernünftigen Ergebnisses hat die Biden-Administration die Ukraine wiederholt aufgefordert weiterzukämpfen. Sie hat die Verhandlungen im März –als die Ukrainer eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungsweg in Betracht zogen, aber stattdessen den Verhandlungstisch verließen – unterlaufen.
Die Ukraine leidet sehr darunter, dass ihre Städte und ihre Infrastruktur in Schutt und Asche liegen und Zehntausende ukrainischer Soldaten in den darauf folgenden Kämpfen ums Leben gekommen sind. Trotz der gepriesenen Waffen der Nato hat Russland kürzlich bis zur Hälfte der ukrainischen Energieinfrastruktur zerstört.
In der Zwischenzeit haben sich die von den USA verhängten Handels- und Finanzsanktionen gegen Russland als Bumerang erwiesen. Durch die Unterbrechung der russischen Energielieferungen befindet sich Europa in einer tiefen Wirtschaftskrise, die sich auch auf die US-Wirtschaft auswirkt. Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline hat die Krise in Europa weiter verschärft.
Nach Angaben Russlands wurde das von britischen Agenten durchgeführt, aber mit ziemlicher Sicherheit mit amerikanischer Beteiligung. Erinnern wir uns, dass Biden im Februar sagte, wenn Russland in die Ukraine einmarschiere, "werden wir ihr (Nord Stream) ein Ende setzen". "Ich verspreche Ihnen", sagte Biden, "wir werden in der Lage sein, das zu tun".
Bidens falsche Außenpolitik hat auch bewirkt, wovor Generationen von Außenpolitikstrategen von Henry Kissinger bis Zbigniew Brzezinski gewarnt haben: Russland und China in eine engere Allianz zu treiben. Genau das geschah, da Biden den Kalten Krieg mit China dramatisch eskalierte, während er gleichzeitig den heißen Krieg mit Russland führte.
Von Beginn seiner Präsidentschaft an hat Biden die diplomatischen Kontakte zu China stark eingeschränkt, neue Kontroversen über Amerikas langjährige Ein-China-Politik entfacht, wiederholt mehr Waffenverkäufe an Taiwan gefordert und ein weltweites Exportverbot für Hochtechnologie nach China verhängt. Beide US-Parteien haben sich dieser destabilisierenden Anti-China-Politik angeschlossen, doch der Preis dafür ist eine weitere Destabilisierung der Welt und auch der US-Wirtschaft.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Biden ein schwieriges wirtschaftliches Erbe angetreten hat – die Pandemie, die exzessive Liquidität der Fed im Jahr 2020, das hohe Haushaltsdefizit im Jahr 2020 und die bereits bestehenden globalen Spannungen.
Doch er hat die wirtschaftlichen und geopolitischen Krisen eher noch verschärft als gemindert. Wir brauchen einen Wechsel in der Außenpolitik. Nach den Wahlen wird es eine wichtige Zeit für eine Neubewertung geben. Die Amerikaner und die Welt brauchen wirtschaftlichen Aufschwung, Diplomatie und Frieden.
Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Übersetzung: David Goeßmann.
Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete. Außerdem ist er Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Kommissar der UN Broadband Commission for Development. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit SDG-Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres. Sachs ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches "A New Foreign Policy: Jenseits des amerikanischen Exzeptionalismus" (2020). Zu seinen weiteren Büchern gehören: "Building the New American Economy: Smart, Fair, and Sustainable" (2017) und "The Age of Sustainable Development," (2015) mit Ban Ki-moon.
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