Wir fordern: Die Waffen nieder!

Noch aus anderen Zeiten: Sowjetische Briefmarke mit Friedensnachricht (Bildquelle)

Eine Friedensrede

Heute hält der ganze Kontinent den Atem an. Die Völkerrechtsverletzung Russlands in der Ukraine reißt Europa in die dunkelste Stunde unserer Epoche seit dem Ende des Kalten Krieges. Angesichts der Gefahr selbst eines Dritten Weltkrieges geht es um noch viel mehr als Europa.

Bertolt Brecht warnte schon 1952 in einem offenen Brief mit diesen Worten:

Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.

Jetzt geht es uns nicht nur um unsere Solidarität mit unzähligen Menschen, die erneut aus Kriegsangst und Trauer über die Gewalt auf der Flucht sind. Vielen steckt das Trauma des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion noch in den Knochen. Wir sagen: Kriege enden nie im Frieden!

Unsere Solidarität gilt den Angehörigen der Opfer von Angriffen. Es geht um unser aller Zukunft. Unser aller Leben. Zukunft gibt es nur im Frieden!

Zum einen waren wir in Europa vermutlich nie näher an der Gefahr eines Atomkrieges als dieser Tage. Jeden Augenblick kann ein Missverständnis dazu führen, dass Befehlshaber in einer unübersichtlichen Situation sich überstürzender Ereignisse den Kopf verlieren und eine Eskalationsdynamik auslösen, an deren Ende die Überschreitung der Nuklearschwelle steht.

Hier geht es aber um noch viel mehr: Russland geht mit diesem Krieg das Risiko eines nuklearen Infernos auch aus einem konventionellen Krieg heraus entbrennen kann. Gefechte finden in demjenigen Staat Europas statt, der hinter Frankreich den zweiten Platz einnimmt in der Nutzung von Atomreaktoren für Strom.

Nun haben russische Truppen nach schweren Gefechten die Ruine des immer noch nicht stabil gesicherten Katastrophen-Atomkraftwerkes Tschernobyl eingenommen. Ein ukrainischer Regierungsberater sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es sei "unmöglich zu sagen, dass das Atomkraftwerk (...) sicher ist". Das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas steht 200 Kilometer von Donezk entfernt.

Beim schlimmsten AKW-Unfalls in Europa 1986 trat nur ein Teil des Reaktor-Materials aus, und seine Strahlung schädigte auch noch die Natur bei uns. Was, wenn ein ganzer Reaktor hochgeht? Das ist ein Himmelfahrtskommando! Der Krieg bringt uns diesem Risiko unverantwortlich nahe. Wir sagen Nein zu diesem Wahnsinn!

Weltweite Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine (21 Bilder)

Washington, D.C. am 6. März. Bild: Frypie / CC-BY-SA-4.0

Das nukleare Risiko gehen die Militärs beider Seiten schon die ganze Zeit ein. Im Mai 2014 kam am Ende einer Pressekonferenz mit dem Nato-Generalsekretär eher beiläufig ans Licht, dass die Nato die damalige sogenannte und nach dem Staatsstreich Ende Februar in Kiew die damals demokratisch nicht legitimierte Übergangsregierung mit einer Expertengruppe darin beriet, wie sie mit ihren Atomanlagen im Krieg umgehen kann.

Das sollte eigentlich nicht ans Licht der Welt, bis ein kompetenter Journalist danach fragte - Zitat der Nato-Generalsekretärs: "Ja, wir haben auf Bitten der Ukraine eine kleine Gruppe ziviler Experten in die Ukraine entsandt, um den Behörden zu helfen, die Sicherheit ihrer zivilen Nuklearanlagen zu verstärken."

Krieg trotz nuklearer Gefahr in der Ukraine

In anderen Worten: Die Militärs und die Staatsführungen beider Seiten ließen und lassen sich trotz der nuklearen Gefahr nicht von ihrer Eskalation und direkten Gewalt abhalten. Wenn diese Gefahr real wird, dann kann aus einem Krieg eine Katastrophe werden. Wir sind hier auch, um das zu verhindern. Unser Nein zum Krieg ist ein Ja zum Leben.

Nicht nur die Militärs vergehen sich an den Zukunftsinteressen der Menschheit. Wir sind hier in Düsseldorf, in der Stadt, in der der Rüstungskonzern Rheinmetall steht, der schon Nazideutschland mit Kriegsmaterial beliefert und der aktuell von den vielen Konflikten weltweit mit Rekordgewinnen profitiert.

Das Militär gehört zugleich zu den schlimmsten Umweltschädigern, nicht nur hier. Die Staaten der Welt geben alle vier Stunden eine Milliarde US-Dollar für das Militär aus. Eine Milliarde, das sind 1.000 Millionen! Das bedeutet eine unvorstellbare Vernichtung der Schätze der Erde und eine entsprechende Schädigung der Atmosphäre, die die Natur nicht mehr lange abzufedern vermag!

Dann sind wir an einem Kipp-Punkt unserer Existenz. Wenn wir uns dagegen wenden, sind wir Friedensökologen. Dass ein Teil der Ökologiebewegung diese Zusammenhänge ausblendet, ist so unverantwortlich, wie von den Nato-Militärs gewollt: Die US-Armee setzte durch, dass ihre Klimaschädigungen aus den Berichten zum Kyoto-Protokoll herausgerechnet werden.

Daher reden heute zwar viele zum Beispiel von Lufthansa-Inlandflügen, nicht aber von der Umweltschädigung durch Rüstung, Manöver und Krieg. Das nehmen wir nicht hin. Das Leben braucht das Zusammenwirken der Friedens- und der Ökologiebewegung.

Militär, Waffen und Krieg lösen kein Problem. Im Gegenteil. Die Lobby der Militärs nutzt die Gelegenheit, verweist auch noch auf fehlende Unterhosen für Soldatinnen und Soldaten und verlangt weitere Milliarden fürs Militär, die dann in der Daseinsvorsorge fehlen.

Der Militärhaushalt Deutschlands ist in den letzten zehn Jahren aber offiziell um rund neun Milliarden Euro gesteigert worden. Und die Ukraine jetzt mit Waffen zu stärken, das verschärft und vermehrt, wie wir schon an der von Atomanlagen ausgehenden Gefahr zu erkennen ist, die Gefahren für die Menschen vor Ort und am Ende vielleicht in der gesamten Welt. Das ist nicht zu verantworten.

Kriege enden nicht im Frieden, sie steigern nicht nur die Not und das Elend der Menschen, sondern sie steigern auch Gefahren von Existenzrisiken für die Menschheit.

Partnerschaften mit Ukraine und Russland bewahren

Wir müssen auch jetzt an ein danach denken: in Osteuropa, aber zum Beispiel auch bei uns. In unserer Region gibt es viele Städte mit Partnerschaften in die Ukraine und nach Russland. Es gibt nicht nur in unserer Region Bevölkerungsgruppen in der Nachbarschaft, darunter auch Russlanddeutsche sowie Ukrainer, die sich bisher oft als Freundinnen und Freunde begegneten.

Unsere Städtepartnerschaften führten bisher zu vielen Begegnungen, die das Verständnis füreinander vertieft haben. Das ist ein Dienst am Frieden in Europa, der nicht enden darf, im Gegenteil. Es gibt nur dann eine Zukunft für die Menschen, wenn sie eine friedliche wird.

Ein erstes aktuelles und noch schwaches Hoffnungssignal ist die heute verkündete Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen mit der Ukraine.

Über den aktuellen Augenblick hinaus gilt es, die Anforderungen des Vertrages zur Deutschen Einheit umzusetzen. Dieser Vertrag, der erst Deutschlands heutige Existenzform ermöglichte, weil die Sowjetunion zustimmte und die Rote Armee aus der DDR abzog, ist Völkerrecht.

Die zwei deutschen Staaten und dann das vereinte Deutschland sowie die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges haben sich hier auf die Aufgabe geeinigt, sich für eine Friedensordnung einzusetzen, die die Sicherheitsinteressen "eines jeden" - wie es in der Präambel des Vertrages heißt - berücksichtigt. Damit bricht die Nato-Osterweiterung, wie es auch Michail Gorbatschow, Egon Bahr, George F. Kennan und der ehemalige US-Militärminister McNamara kritisieren.

Was wäre das für eine Welt, in der sich die Herrschenden an das Recht und an ihr gegebenes Wort halten würden?! Wir fordern nicht nur hier, sondern auch im Rahmen der UNO Frieden durch Recht. Die Kritik an der Nato-Osterweiterung als Bruch der Absprachen rechtfertigt allerdings den Krieg mitnichten.

Wir fordern die Stärkung der UNO und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wir fordern ein Ende der Militarisierung der Gesellschaften weltweit, bei uns und ein Ende der Militarisierung der Weltpolitik, die wir uns im Treibhaus Erde keinen Augenblick mehr leisten dürfen, schon aus Verantwortung für kommende Generationen. Eine soziale und ökologische Zukunft gibt es für diesen Kontinent und für die Menschheit insgesamt, wenn die Menschheit sowie die Zukunft friedlich ist

Für das Bemühen um Frieden darf es nie zu spät sein. Die Friedensbewegung hat seit Bertha von Suttner nie aufgegeben, zu fordern: Die Waffen nieder!

Denn Kriege enden nicht im Frieden.

Bei diesen Text handelt es sich um eine Rede von Bernhard Trautvetter als Sprecher des Essener Friedensforums in Düsseldorf am 25.02.2022