Wissenschaft ist keine Religion, oder?

Wer mit existentiellen Fragen konfrontiert wird, lehnt die Evolutionstheorie eher ab und zieht die Theorie des Intelligent Design vor, weil sie dem Leben eher Sinn vermittelt

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Wer sich existentiell bedroht fühlt, vor allem wer Angst vor dem Tod hat, neigt nicht nur stärker zum religiösen Glauben, sondern auch zur Zurückweisung der Evolutionstheorie, so eine Studie von Psychologen der University of British Columbia und des Union College (Schenectady, N.Y.). Sie bestätigen damit, dass sich entweder mit wissenschaftlichen Theorien schlecht leben lässt oder dass die Menschen sich eher nicht auf wissenschaftliche Theorien stützen, wenn sie mit existentiellen Fragen konfrontiert werden.

Die Evolutionstheorie kann tatsächlich der Suche nach einem Sinn des Lebens und des Sterbens der Einzelnen nicht viel bieten, weswegen scheinwissenschaftliche Theorien wie Intelligent Design oder Kreationismus offenbar beruhigender sind, da es dann einen Schöpfer gibt, der die Menschen und alle anderen Lebewesen mehr oder weniger so, wie sie sind, vor ein paar Tausend Jahren erschaffen hat und dadurch dem Leben als einem "intentionalen Produkt" einen Sinn und Zweck gibt. Gegen die Evolutionstheorie werden einerseits der Wortlaut der Bibel und andererseits das Argument angeführt, dass die Organismen zu komplex seien, als dass sie sich durch natürliche Selektion im Zuge der Evolution wirklich hätten entwickeln können.

In ihrer Studie, die im Open Access Journal PLoS One erschienen ist, wollten die Psychologen die psychischen Beweggründe für die Zurückweisung der Evolutionstheorie durch viele Amerikaner herausbekommen, schließlich wird Intelligent Design auch schon in vielen Schulen gelehrt und ist die Auseinandersetzung damit neben der Klimaerwärmung eines der umstrittensten weltanschaulichen Themen. Nachdem Intelligent Design vom Großteil der Wissenschaftler nicht als wissenschaftliche Theorie betrachtet wird und viele Belege die Evolutionstheorie stützen, gingen die Psychologen wenig überraschend davon aus, dass die Neigung zum Intelligent Design ebenso stark psychologisch begründet sei wie politische Einstellungen. Getestet wurde, ob Angst vor dem Tod die Haltung zum Intelligent Design bzw. zur Evolutionstheorie beeinflusst, da aufgrund anderer Studie bekannt sei, dass etwa politischer Konservatismus zumindest teilweise mit Angst, Abwehr von Unsicherheit und geringem Selbstwertgefühl zusammenhänge. Vermutet wird, dass auch für die Haltung zur Evolutionstheorie eine Strategie des Terrormanagements zur Aufrechterhaltung der psychischen Sicherheit ausgemacht werden kann. Die Wissenschaftler bezogen den ganz stark religiös geprägten Kreationismus nicht ein, sondern entschieden sich für die Theorie vom Intelligent Design, die nicht direkt religiös argumentiert, aber möglicherweise doch mehr Sinn in das Leben projiziert als die Evolutionstheorie.

Für ihre recht komplizierte Untersuchung führten sie 5 Studien mit mehr als 1.600 Versuchsteilnehmern in den USA und in Kanada durch, deren Alter ebenso ihr religiöser, sozioökonomischer oder bildungsmäßiger Hintergrund unterschiedlich war. Gebeten wurde jeweils ein Teil der Versuchsteilnehmer, sich ihren eigenen Tod vorzustellen und die daraus entstehenden Gedanken und Gefühle aufzuschreiben, ein anderer sollte sich zur Kontrolle Zahnschmerzen vorstellen und darüber schreiben. Dann wurden ihnen kurze Auszüge aus Schriften des Evolutionstheoretikers Richard Dawkins und des Biochemikers Michael J. Behe, der einer der bekanntesten Vertreter der Theorie vom Intelligent Design ist, aber kein religiöser Fundamentalist ist, sondern die These von einer irreduziblen Komplexität vertritt. Nach der Lektüre wurden die Versuchspersonen aufgefordert, einige Fragen zu beantworten, beispielsweise ob die Evolutionstheorie oder die Theorie des Intelligent Design eine solide Theorie sei.

Einer Gruppe wurde auch durch einen zusätzlichen Text des Kosmologen Carl Sagan suggeriert, dass der Naturalismus der Evolutionstheorie eher einen existentiellen Sinn beinhaltet als Intelligent Design. Einmal bestanden die Versuchspersonen aus Psychologiestudenten, das andere Mal aus Naturwissenschaftlern. Schließlich wurde überprüft, ob die Versuchspersonen, die sich ihren Tod vorstellen sollten, eher zu Behe und zum Intelligent Design oder zur Ablehnung von Dawkins und der Evolutionstheorie neigten als die Kontrollgruppe mit den Zahnschmerzen.

Wissenschaft und der Sinn des Lebens

Wenn Menschen mit existentiellen Problemen wie dem eigenen Tod konfrontiert werden, so Jessica Tracy, eine der Autoren der Studie, "dann reagieren sie eher mit einer Suche nach einer Bedeutung und einem Zweck des Lebens. Für viele scheint die Evolutionstheorie nicht genügend Überzeugungskraft zu haben, um mit diesen großen Fragen umgehen zu können."

Wer sowieso eher religiös ist, lehnt auch wenig verwunderlich eher die Evolutionstheorie ab. Doch auch wenn die Menschen nicht religiös sind, sind sie eher gegenüber der Evolutionstheorie skeptischer, wenn sie mit ihrem eigenen Tod konfrontiert werden. Anders ist es, wenn der Naturalismus selbst als existentielle Weltanschauung präsentiert wird oder wenn die Versuchspersonen Studenten der Naturwissenschaften sind, die sich in ihrem Leben stärker mit dem Naturalismus arrangieren müssen.

Dass sich Einstellungen zum Leben auch in der Haltung zu wissenschaftlichen Theorien ausdrücken, ist wohl keine Aufsehen erregende Erkenntnis. Ebenso wenig die Bestätigung, dass sich aus der Evolutionstheorie direkt im Sinne des Terrormanagements – auch ein schönes Wort – nur schwer ein Sinn für das eigene Leben und den Umgang mit dem Tod ableiten lässt. Die Psychologen glauben jedoch, dass die Ausbildung einer wissenschaftlichen Kultur, auf deren Hintergrund die Evolution wie bei Sagan für die Beantwortung existentieller Fragen bedeutungsvoll erscheint, die Neigung zu unwissenschaftlichen Theorien sinken lasse. Sie denken also an eine Art Erziehungsprojekt, durch das Wissenschaft zur Weltanschauung werden würde. Da wäre allerdings schon die Frage, ob dann nicht Wissenschaft zu einer neuen Religion mutieren würde, die ebenso im Terrormanagement der Sinnsuche befangen die permanente Nachfrage einstellen und unbefriedigende Antworten auf existentielle Probleme abweisen würde.

Wissenschaft ist kein Mittel, um alle Fragen des individuellen Lebens zu beantworten und anzuleiten. Genau so hat sie sich im Zuge der Aufklärung auch seit der Neuzeit durchgesetzt und von der Religion befreit. Wie man mit dem eigenen Tod umgeht, wird man wissenschaftlich für sich kaum beantworten können, man muss eine Haltung dazu finden. Diese nicht für sich selbst finden zu müssen, dafür mag Religion eine Möglichkeit sein, die alles Mögliche verspricht und eine kollektive Haltung anbietet, die aber wissenschaftlich in die Irre gehen kann.