Wissenschaftler wollen Kohlendioxid zurückholen
Energie und Klima – kompakt: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen nicht nur Emissionen reduziert werden. Zudem muss auch CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, sagt eine neue Studie. Was ist von den neuen Technologien zu halten?
Während die Menschheit noch dabei ist, 37 Gigatonnen Kohlendioxid im Jahr in die Atmosphäre zu blasen, müsste sie sich gleichzeitig um Technologien bemühen, der Atmosphäre bis zu vier Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr wieder zu entziehen. "Carbon Dioxide Removal" (CDR), wie dies in der Fachsprache heißt, ist in diesen Größenordnungen notwendig, um die 1,5-Grad-Marke bei der globalen Erwärmung bis zum Jahr 2050 nicht zu überschreiten.
Dies geht zumindest aus dem vergangene Woche veröffentlichten Bericht "The State of Carbon Dioxide Removal", unter Leitung der Universität Oxford und mit Beteiligung von Wissenschaftlern der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und der University of Wisconsin-Madison hervor.
Es ist allgemein bekannt, dass die Emissionsreduktionsziele der Staaten und die Maßnahmen zu deren Umsetzung bislang nicht ausreichen, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Umso erstaunlicher ist es, jetzt schon bei der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre anzusetzen, während es wahrscheinlich einfacher wäre, weniger davon auszustoßen.
Die Autoren des Berichts sehen hier jedoch keinen Widerspruch. Selbst die Szenarien des Weltklimarats IPCC, in denen die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden, beinhalten die Entnahme von hunderten Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Setze man die Szenarien des IPCC an und vergleiche dies mit dem, was die Regierungen an CDR planen, ergebe sich eine Lücke, so der neue Bericht.
CDR könne drei wichtige Funktionen erfüllen: die Nettoemissionen reduzieren, bei der Einhaltung von Netto-Null-Emissionen – von vielen Staaten zum Jahr 2050 angestrebt – unvermeidbare Restemissionen ausgleichen und schließlich, sollten die CDR-Kapazitäten eines Tages die CO2-Emissionen übersteigen, überschüssiges CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Auch schon im IPCC-Bericht zu 1,5-Grad globaler Erwärmung war zu lesen:
Alle Pfade, welche die globale Erwärmung ohne oder mit geringer Überschreitung auf 1,5 °C begrenzen, projizieren die Nutzung von Kohlendioxidentnahme (Carbon Dioxide Removal, CDR) in einer Größenordnung von 100 – 1000 Gt [Gigatonnen] CO2 im Verlauf des 21. Jahrhunderts.
Steigerung um das 1300-Fache
Der derzeitige Umfang der CO2-Entnahme liege bei zwei Gigatonnen pro Jahr und basiere in erster Linie auf Aufforstung und Bodenbewirtschaftung, teilt das MCC mit. Ausgebaut werden müssten aber auch neue Entnahmetechnologien "wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS), Biokohle, beschleunigte Verwitterung sowie Direktabscheidung von CO2 aus der Luft und Speicherung (DACCS)", heißt es.
Die CO2-Menge, die mittels dieser Methoden der Atmosphäre entzogen wird, beziffern die Wissenschaftler auf 0,002 Gigatonnen pro Jahr. "Zum Schließen der Lücke ist ein schnelles Wachstum dieser neuen Technologien nötig, um das 1300-Fache bis 2050", schreibt das MCC.
Bei BECCS wird CO2 durch den Anbau von Biomasse gebunden, bei der anschließenden Bioenergiegewinnung wird CO2 abgeschieden und unterirdisch gespeichert. Biokohle oder Pflanzenkohle wird u.a. erzeugt, indem Biomasse unter Ausschluss von Sauerstoff erhitzt wird. Die Biokohle soll anschließend in Böden eingebracht werden. Idealerweise wird damit sogar die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserspeicherung im Boden verbessert.
Beschleunigte Verwitterung (Enhanced Weathering) soll CO2 aus der Atmosphäre in Gestein binden. Gesteinsmehl, beispielsweise aus Silikatgestein, soll dafür etwa auf Feldern verteilt werden und würde den Kohlenstoff aus der Luft per Karbonisierung binden. Für die Direktabscheidung von Kohlendioxid wird die Luft mit Ventilatoren angesaugt und der Kohlendioxid chemisch herausgefiltert.
Das abgeschiedene CO2 kann im Anschluss etwa unterirdisch eingelagert werden. Die größte DACCS-Anlage befindet sich derzeit in Island und entzieht der Atmosphäre im Jahr rund 4.000 Tonnen CO2. Nicht umsonst wird das Pilotprojekt in Island betrieben, wo große Mengen geothermischer Energie vorhanden sind, denn die Methode ist sehr energieintensiv.
Auch bei den vorgenannten Methoden gibt es Bedenken: So würde auch für Abbau und Zerkleinerung von Gestein für die beschleunigte Verwitterung viel Energie gebraucht, zudem besteht hier die Gefahr, dass auch Schwermetalle aus den Ausgangsgesteinen freigesetzt werden können. BECCS wiederum ist, wie große Aufforstungsprojekte auch, mit einem erheblichen Flächenbedarf verbunden.
Dennoch sieht Autor Gregory Nemet von der University of Wisconsin-Madison die technische Entwicklung voranschreiten:
Innovation in diesem Bereich nahm in den letzten zwei Jahren dramatisch zu, gemessen an Investitionen in Kapazitäten, öffentlich finanzierter Forschung und Patenten.
Es bestehe jedoch dringender Bedarf an weiterer politischer Anschubhilfe.