Wissenschaftliches Wissen in der Öffentlichkeit

Seite 2: Interessenkonflikte

Doch auch bei den Peer Reviewers kann es Interessenkonflikte geben. In einer hochspezialisierten Wissenschaftswelt braucht man natürlich einerseits hochqualifizierte Fachleute, die nicht nur die nötige Zeit, sondern auch das nötige Wissen mitbringen. In einer kleinen Welt kennt man einander aber.

Zwar haben viele Journals hierfür Kontrollmechanismen eingeführt. Beispielsweise muss die Forschungsarbeit von den Autorinnen und Autoren anonymisiert werden und müssen die Peer Reviewer Interessenkonflikte ausschließen. Wenn ein Gutachter dieselben Daten gerade auf einer Konferenz gesehen hat oder grob weiß, wer in welchem Labor was macht, kann er die Identität aber leicht herleiten. Und "Interessenkonflikt" ist ein weiter Begriff.

So stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekanntermaßen in einem Hyperwettbewerb um Forschungsmittel und Stellen. Die Publikationen in den führenden Journals sind hierfür meist die Eintrittskarte. Und diese Zeitschriften begründen ihren Führungsanspruch oft damit, wie viel Prozent der eingereichten Arbeiten abgelehnt werden. Frei nach dem Motto: Je weniger wir publizieren, desto höher ist die Qualität.

Als Peer Reviewer beurteilt man also möglicherweise die Arbeit derjenigen, mit denen (oder besser: gegen die) man sich demnächst vielleicht auf eine angesehene Professur oder um ein großes Forschungsprojekt bewirbt. Nun muss man schon sehr idealistisch über den Menschen im Allgemeinen oder die Wissenschaftler im Speziellen denken, um hier keine Probleme zu vermuten.

Damit behaupte ich wohlgemerkt nicht, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen in ihrer Allgemeinheit unglaubwürdig wären! Das liefe darauf hinaus, das sprichwörtliche Kind mit dem Bade auszuschütten. Vielmehr halte ich systematisches, transparentes wissenschaftliches Wissen nach wie vor für eine entscheidende Wissensquelle überhaupt.

Fehlanreize

Aber in diesem System gibt es eben auch Anreize, die der Wahrheitsfindung nicht wirklich förderlich sind. Und an der Transparenz mangelt es oft genug. So werden beispielsweise die Identitäten der Peer Reviewer in der Regel geheim gehalten, damit auf sie kein Einfluss (bis hin zur Vergeltung, wenn sich die Rollen von Gutachter und Begutachtetem in der Zukunft einmal umdrehen) ausgeübt werden kann.

Die wesentlichen Entscheidungen der Editors werden aber meist hinter verschlossenen Türen getroffen. Eine unabhängige Kontrolle, wie wir sie beim Rechtsstaat für entscheidend halten, gibt es eher nicht. Als Autor bleibt einem meist nichts Anderes übrig, als die Arbeit bei einer anderen Zeitschrift neu einzureichen, wo das Spiel dann wieder von vorne beginnt – ohne Erfolgsgarantie.

Diese Begründungen könnte man – ebenso wie Gerichtsurteile – besser veröffentlichen. Nur so würde der Fortgang der Wissenschaft prinzipiell nachvollziehbar. Dazu könnte man dann auch – nach näherer Abwägung anonymisiert oder nicht – die Gutachten der Peer Reviewer veröffentlichen. Das ist wichtiges Kontextwissen zu den Qualitätsmaßstäben in einem bestimmten Forschungsgebiet oder in einem bestimmten Medium.

Die Peer Reviewer nutzen den Schutz der Anonymität nämlich nicht immer nur im Interesse der Wahrheit. Neben der inhaltlich unbegründeten Ablehnung einer Forschungsarbeit, die ihnen nicht passt, können sie nämlich auf vielfache Weise Einfluss auf die Veröffentlichung nehmen.

Eine Wissenschaftlerin flog beispielsweise einmal dabei auf, von Autoren Zitate ihrer eigenen Arbeiten zu erzwingen. Warum sollte das jemand tun? Um nicht nur das eigene Ego zu beweihräuchern, sondern seinen Zitationsindex zu erhöhen. Denn je häufiger die eigenen Veröffentlichungen zitiert werden, desto besser müssen sie – gemäß quantitativer Logik – natürlich sein.

Im Vortrag eines Pharmakologen, der den medizinischen Nutzen psychedelischer Substanzen erforscht (dazu ein anderes Mal mehr), hörte ich erst kürzlich eine Klage über die Peer Reviewer: Diese würden zu orthodox denken und alternative Ansätze mit übertriebener Kritik überziehen. Sind diese Leute einfach nur überkritisch – oder haben sie vielleicht sogar finanzielle Interessen an klassischen Psychopharmaka, die bei entsprechenden Forschungsergebnissen Marktanteile verlieren würden?

Das ist natürlich nur Spekulation. Aufgrund fehlender Transparenz wissen wir es nicht sicher. Ich habe aber vor einigen Jahren einmal selbst einen wissenschaftlichen Konflikt bis zum Ende ausgetragen – und in allen Instanzen Recht bekommen (Von einem, der sich wehrte).

Im Zweifel vor Gericht

Da ging es zwar nicht um eine Veröffentlichung in einem Journal. Diese finden in einem komplexen privatrechtlichen Kontext statt, in dem man als Autor meist nur auf Gutgläubigkeit setzen kann. Es ging aber, viel wichtiger, um einen Forschungsantrag für junge Wissenschaftler.

Dieser war bei der Niederländischen Forschungsorganisation (NWO) eingereicht, also in einem öffentlich-rechtlichen Kontext. Dass es hier einmal zu einem Rechtsstreit kommen würde, hätte ich mir früher nicht im Traum gedacht. Die Ablehnung von dem wissenschaftlichen Gremium (sozusagen den Editors) nach extrem positiven Peer Reviews mit jeweils der Bestnote hielt ich aber für dermaßen daneben, dass ich mich dagegen wehrte.

Die offizielle Begründung der immerhin zwölf(!) erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war nämlich nicht nur inhaltlich und formal falsch, sondern enthielt sogar offensichtliche Unwahrheiten. Dazu kamen zahlreiche Fehler und Rechtsbrüche der Verwaltungsbeamten.

Schon im Beschwerdeverfahren wurden die Fehler der Gegenseite unmissverständlich hervorgehoben. Das Verwaltungsorgan (mit seinen Juristen) hielt aber bis zum bitteren Ende – es dauerte insgesamt rund zehn Jahre – an seiner "alternativen Wahrheit" fest. Im Ergebnis verlor es fünfmal vor Gericht, in einem fairen und transparenten rechtsstaatlichen Verfahren.

Weil sich die Verwaltungsbeamten partout weigerten, ihre Fehler zu korrigieren, taten das am Ende die Richterinnen und Richter für sie. Das passiert nur in Ausnahmefällen.

Rechtsstaatlich war aber schlicht keine andere Lösung mehr möglich. Etwas später mussten sie mir sogar einen ordentlichen Schadensersatz bezahlen. Aber der Gegenseite stehen ja Jahr für Jahre hundert Millionen Euro an Steuermitteln zur Verfügung.