In eigener Sache: Forschungsgemeinschaft nun auch zu Schadensersatz verurteilt
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Mit dem sechsten und letzten Urteil geht ein fast achtjähriger Rechtsstreit zu Ende
Im Folgenden geht es um einen Streit zwischen der Niederländischen Forschungsgemeinschaft (NWO) und mir. Als eine der Prozessparteien bin ich natürlich voreingenommen. Es geht mir aber um keine Abrechnung, sondern um die Diskussion einiger Aspekte, die mir für die politische und vor allem wissenschaftspolitische Diskussion insgesamt wichtig erscheinen. Denn viele öffentliche Sektoren (Bildung, Gesundheit, Verwaltung, zum Teil gar Justiz) sind inzwischen am Wettbewerbs- und Profitmodell orientiert.
Gehen wir noch einmal zurück zum Beginn des Jahrtausends: Da fing ich gerade an zu studieren, war die Anpassung verschiedener öffentlicher Bereiche aber schon in vollem Gange. Für die Wissenschaft sei insbesondere noch einmal an die Bologna-Erklärung von 1998 erinnert, in der die Wissenschaftsminister, nicht die Wissenschaftler, der europäischen Hochschullandschaft die Ideen der Standardisierung, Vergleichbarkeit und des Konkurrenzkampfs ins Stammbuch schrieben. Allgemeiner geht es um das "New Public Management", zu deutsch: öffentliche Reformverwaltung.
Alles besser mache der Wettbewerb
In den Niederlanden kürzte damals der PvDA-Wissenschaftsminister Ronald Plasterk (also nach deutschem Modell ein SPD-Mann) den Universitäten €100 Millionen ihres Budgets und meinte, das Geld müssten sich die Forscher über das Einwerben von Projektmitteln zurückverdienen. Durch den Wettbewerb und schließlich die (vermeintliche) Bestenauslese solle die wissenschaftliche Qualität steigen. "Die unsichtbare Hand des Markt macht's!" So wurden und werden im Übrigen auch die deutschen Exzellenzinitiativen gerechtfertigt.
Wenn heute das Hochschulpersonal in vielen Ländern so gestresst ist, dann hat das nicht nur mit den permanenten Kürzungen bei steigenden Studierendenzahlen zu tun. Laut einer Nature-Umfrage aus dem Jahr 2016 können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nämlich nur noch 38% ihrer Zeit ins Forschen investieren. 21% würden für Verwaltung und das Schreiben von Forschungsanträgen verbraucht.
Die große Mehrheit gab einen Anstieg der Verwaltungsaufgaben an. Was die Folgekosten für die Gesellschaft sind, dass viele ihrer kreativen Köpfe so viel Zeit ins Ausfüllen von Formularen investieren müssen, darüber lässt sich nur spekulieren. Es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, dass wir heute sogar schon die Qualität der Lehre auf Grundlage davon beurteilen, wie gut jemand Formulare ausfüllt. Es scheint, als hätten die Bürokraten und Manager endgültig gewonnen.
Doch bleiben wir beim Thema: Ich will gar nicht bestreiten, dass ein gewisses Maß an Wettbewerb positive Effekte hat. Gezielte Förderung statt Mittelverteilung nach dem Gießkannenprinzip hat auch ihre Berechtigung. Aber selbst führende Forscher kritisieren heute schon einen Hyperwettbewerb, der viele in der Forschung korrumpiere.
Natürlich muss bei so einer Mittelverteilung auch gewährleistet werden, dass es mit rechten Dingen zugeht. Das schulden wir schon allein dem Steuerzahler, der mit seiner Arbeit unsere überhaupt erst möglich macht.
Das Modell Castingshow
Dabei kann man an die heute so populär gewordenen Casting- und Talentshows denken. "Deutschland sucht den Superwissenschaftler." In der rechtswissenschaftlichen Literatur, die ich mir in den letzten Jahren zu Gemüte führte, wird das Modell zur Mittelvergabe darum auch mit einem Schönheitswettbewerb verglichen. Ein großer Unterschied ist aber schon einmal, dass die Castingshows in der Wissenschaft in aller Regel nicht vor Publikum, sondern hinter verschlossenen Türen entschieden werden. Das sollte einen vorsichtig stimmen.
Immerhin geht es (auf europäischer Ebene) Jahr für Jahr um Milliardenbeträge. Allein die NWO, mit der ich mich im Folgenden detaillierter beschäftige, bekommt vom Steuerzahler jährlich rund €800 Millionen. Davon wird erst einmal ein Batzen für die Selbstverwaltung verbraucht. Vom Rest wird ein Großteil über Forschungsanträge nach dem Wettbewerbsmodell verteilt. Dafür müssen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bestimmten Stichtagen mit einem Antrag um die Mittel bewerben.
Die Entscheidungen treffen die Beamten nicht alleine, sondern in der Regel auf Empfehlung wissenschaftlicher Gremien. Deren Mitglieder werden hier in den Niederlanden aber von den Beamten selbst bestimmt: top down. Da kann man sich schon fragen, wie objektiv die Auswahl ist und welche Chancen beispielsweise Personen haben, die sich in aller Öffentlichkeit kritisch mit den Ideen der führenden Wissenschaftspolitiker befassen. Das sind immerhin die Chefs derjenigen, die die Gremien zusammenstellen.
Am Rande sei erwähnt, dass es hin und wieder auch zu "Deals" außerhalb der üblichen Vergabewege kommt. Das Verwaltungsorgan genießt einen großen Ermessensspielraum - oder bricht vielleicht einfach das Gesetz, ohne dass es jemandem auffällt?
Geheimhaltung macht es einem Kritiker auch schwer und man kommt schnell in Beweisnotstand. Meine Erfahrungen zeigen aber, dass es nicht unmöglich ist, die Verwaltung mit den Mitteln des Rechtsstaats in die Knie zu zwingen. Man darf sich von den Beamten vor allem keinen Bären aufbinden lassen und braucht einen langen Atem. Zum besseren Verständnis der Sachverhalte, fasse ich im Folgenden ein paar inhaltliche Punkte zusammen.
Es begann im Jahre 2011
Kurz nach meiner Promotion in der Kognitionswissenschaft wechselte ich in die Niederlande. Dort erfuhr ich von dem Veni, Vidi, Vici-Förderprogramm der NWO, über das ein Großteil der Mittel vergeben wird. Je nach Karrierestufe kann man sich um Gelder für seine eigene Forschungsstelle, den Aufbau eines Teams oder gar die Anschaffung teurer Instrumente bewerben.
Diese Programme sind sehr hoch angesehen und dementsprechend genießen die Gewinner dieser Ausschreibungen hohes Prestige. Auf der anderen Seite beträgt dann auch die Erfolgsquote oft nicht mehr als 10-15%.
2011 bewarb ich mich zum ersten Mal um so ein Projekt. Schon während meiner Promotionszeit waren mir die Übertreibung vieler Kollegen in der bildgebenden Hirnforschung ein Dorn im Auge gewesen. Neben durchaus sinnvoller Grundlagenforschung in diesem Bereich sei noch einmal daran erinnert, dass man mit den teuren Kernspintomographen und anderen Apparaten Lügen erkennen, die Gefährlichkeit von Straftätern vorhersagen, psychiatrische Diagnosen stellen oder auch moralisches Urteilen erklären wollte.
Letzteres war mein eigenes Forschungsgebiet. Doch auch im Jahr 2020 wurde nichts von diesen Versprechen eingelöst. Ich hielt das für unseriös und stoppte damit 2009.
Die Universität Groningen gab mir die Gelegenheit, als Theoretiker hierüber nachzudenken. Wir haben die einzige Abteilung für Theorie und Geschichte der Psychologie Europas und nur eine von dreien weltweit. In meinem Forschungsprojekt sollte es darum gehen, warum der Schluss von einer gemessenen Hirnaktivierung auf die damit (mutmaßlicherweise) verbundenen psychischen Vorgänge eigentlich so schwierig ist.
Dabei wollte ich insbesondere näher untersuchen, was sich mit diesen Verfahren über Individuen aussagen lässt: Wohlgemerkt, während die erwähnten Anwendungsbeispiele zwingend voraussetzen, dass sich eine konkrete Aussage über eine bestimmte Person treffen lässt, scheren die meistens verwendeten statistischen Verfahren alle Versuchspersonen über einen Kamm und tun so, als hätten wir alle dieselben Gehirne. Dabei gleicht schon kein Fingerabdruck dem anderen.
Was uns einzigartig macht, behandeln viele Analysen tatsächlich als Messfehler! Wie passt das zu einer Wissenschaft, die sich dazu aufschwang, den Menschen zu erklären? Grundgedanken formulierte ich hierzu in meinem Telepolis-Buch von 2011 (Die Neurogesellschaft: Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert). Das Forschungsprojekt sollte meine Ideen auf methodisch solidere Beine stellen und dabei auch die ethisch-rechtlichen Aspekte miteinbeziehen. Hierzu hatten mir führende Forscher auf diesem Gebiet, vor allem in Deutschland, ihre Unterstützung zugesichert.
Bei der Bearbeitung meines Forschungsantrags kam es aber zu Unregelmäßigkeiten. Ich erhielt zwar von einem Gutachter die Bestnote. Ein Zweiter gab mir aber die schlechteste Bewertung. Bloß stimmten vieler seiner Argumente gar nicht und vergaß er sogar, bestimmte formal notwendige Aspekte meines Projekts zu bewerten.
Ich denke, dass das der Kommission hätte auffallen müssen und man besser eine dritte Meinung hätte einholen, zumindest den Gutachter aber zum Einreichen einer korrekten Beurteilung hätte auffordern müssen.
Nach Rücksprache mit erfahreneren Kollegen an meinem Institut schickte ich der NWO einen Protestbrief. Zurück kam eine nach meinem Eindruck eher halbherzige Erklärung. Ich war rausgeflogen. Das passiert eben. Punkt. In Folgejahr 2012 hatte ich eine zweite (und letzte) Chance. Also überarbeitete ich meinen Forschungsantrag und versuchte es erneut.