Wording im Journalismus: Wenn aus Kontrolle Macht wird

Christiane Voges
Screenshot von tagesschau.de-News-Seite

Bild: Sharaf Maksumov / shuterstock.com

Medien machen Wörter zu Machtworten: Wie Begriffe in der Berichterstattung Deutungshoheit schaffen.

"Im Anfang war das Wort", heißt es in einem viel beachteten Text. Und buchstäblich "alles" sei durch "das Wort" geworden.

Was auch immer wir glauben mögen: Sprache prägt uns und unsere Wirklichkeit. Bis hinein ins einzelne Wort. Beispiele gefällig? Widmen wir uns einem scheinbar unscheinbaren Aspekt aktueller journalistischer Wortwahl:

Die von der Ukraine kontrollierte Stadt Sudscha (...). Dieser Tage berichteten zahlreiche Medien über ein weiteres tragisches Ereignis im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, bei dem es laut diesen Nachrichten nach einem Einschlag aus der Luft mehrere Tote gab.

tagesschau.

Bemerkenswert erscheint hier diese Wortwahl – fachsprachlich auch "Wording" genannt:

Screenshot tagesschau.de

Die Stadt Sudscha liegt in der russischen Region Kursk. Ihr derzeitiger Status wird in leitmedialen Berichten wie diesem durchgehend beschrieben als "kontrolliert", und zwar von der Kriegspartei Ukraine.

Da ist die Rede von "Die von der Ukraine kontrollierte Stadt", "im ukrainisch kontrollierten Gebiet", "von Kiews Truppen kontrolliert".

Im letzten Absatz des Tagesschau-Berichtes heißt es dann ganz "kontrolliert":

Die Region ist schwer umkämpft, seitdem Anfang August ukrainische Truppen die Grenze zu Russland überquerten und im Gebiet Kursk Dutzende Ortschaften unter ihrer Kontrolle brachten. Zuletzt gab es wiederholt Berichte über den Tod von Zivilisten in der Region bei russischen Gegenangriffen. Moskaus Militär hat immer wieder die Rückeroberung des Gebiets Kursk angekündigt.

Während also die ukrainische Kriegspartei laut Bericht "Ortschaften unter ihre Kontrolle" brachte, will die russische Kriegspartei dieselben Ortschaften deren "Rückeroberung". Die Einen kontrollieren eben, die Anderen erobern halt.

Vermutlich würde diese diametral entgegensetzte Wortwahl u.a. mit der unbestreitbaren Tatsache begründet, dass von russischer Seite vor knapp drei Jahren eine Invasion der Ukraine begonnen wurde. Doch rechtfertigt dieser Fakt in der Folge zweierlei, und zwar sehr verschiedenes, Maß in der Nachrichtensprache hierzulande?

Man könnte ja auch schreiben, diese Gebiete der Region Kursk seien derzeit von ukrainischer Seite besetzt oder erobert – oder, deutlich negativ wertend, sogar "annektiert".

Etwas zu "kontrollieren", das bedeutet eine deutlich positiv wertende Wortwahl. Wenn eine Situation unter Kontrolle ist, erscheint das allermeist als etwas Gutes. Während im Gegensatz dazu "die Kontrolle verlieren" etwas klar Schlechtes ist.

Die konkrete Wortwahl kann medienkritisch auch als "Wording" beschrieben werden, im Sinne einer jeweils bestimmten Sprachregelung. Solche Wortwahl entstammt oft der Öffentlichkeitsarbeit als einem Bereich von Auftragskommunikation und entspricht häufig herrschenden Interessen.

Ein "Wording" wie entweder "Kontrolle" oder aber "Annexion" wird immer (mal) wieder von Regierungsinstanzen gestreut und dann – weil diese offiziellen Apparate leitmedial in der Regel als wichtige und zudem vertrauenswürdige Quellen gelten, zumal, wenn sie dem jeweils eigenen Machtbereich angehören – zunächst von journalistischen Nachrichtenagenturen und darüber vermittelt dann auch von vielen etablierten Medien aufgegriffen.

So machen Medienschaffende bestimmte einzelne Wörter zu Machtworten. Damit prägt dieser Aspekt von konkreten Menschen gemachter Medien-Realität auch das, was uns allen als sonstige Wirklichkeit, als real gilt.

Weitere Exempel von typischem "Wording" gewünscht? Nicht nur aus dem besonders umkämpften Terrain von Krieg und Kriegsberichterstattung? Nun, auch in den beiden folgenden Fällen geht es um extrem "gut" klingender Wörter, dank denen Medien dann wiederum vieles ganz positiv "unter Kontrolle" haben mögen:

1. Wie zahlreiche weitere Medien schreibt auch die Tagesschau fast immer von "Windpark", wenn es um Gebiete mit Windkraftanlagen geht. Gabi wartet im Wind-Park? Nun ja: Ein Park ist laut Duden zunächst eine "größere [einer natürlichen Landschaft ähnliche] Anlage mit [alten] Bäumen, Sträuchern, Rasenflächen, Wegen [und Blumenrabatten]". Als Beispiel folgt "im Park spazieren gehen".

Man merkt: kaum etwas könnte weiter weg von dieser Beschreibung sein als ein sogenannter "Windpark". Ginge dort etwa der Wind spazieren? Natürlich nicht, dort geht niemand und nichts spazieren, sofern das nicht ohnehin verboten ist. Nein, dieses Wort ist, ähnlich wie "Maschinenpark" oder "Fuhrpark" oder gar "Panzerpark", eine sehr deutliche Beschönigung bestimmter (militärisch)industrieller Infrastruktur, in der Tendenz durchgesetzt von interessierten Profis der Auftragskommunikation.

2. Ein echter Klassiker des Schönredens im Bermuda-Dreieck von Politik, Wirtschaft und Medien, wo die Wahrheit immer mal wieder untergeht, ist das Wort "Sparen", hier exemplarisch als "Sparhaushalt".

"Sparen" im Wortsinne gilt landläufig als Tugend. Kinder bekommen es oft in der Erziehung beigebracht im Sinne von: "Lege dir etwas zur Seite, stecke es in deine Sparbüchse, und dann kannst du dir bald etwas ganz Tolles leisten!" Das Wort "sparen" ist von Kindesbeinen für die allermeisten von uns deutlich positiv besetzt.

Daran knüpft die Wortwahl, das Wording "Sparen" im offiziellen Spar-, pardon; Sprachgebrauch an: Es wird inflationär verwendet in Medien, wenn es doch ganz klar um kürzen oder gar streichen geht. Typischerweise von Sozialausgaben oder von Löhnen und Gehältern. Was natürlich nicht ganz so nett und gewohnt klingt wie "dann lass uns halt noch ein bisschen mehr sparen – es ist ja für einen guten Zweck."

Das passende oder auch nur ein angemessenes Wort zu finden, das ist am Ende des Tages (und der Tagesschau) auf jeden Fall nicht trivial. Oder wie Bertolt Brecht einst mit Blick auf den Kommunismus sagte: Das Einfache, das schwer zu machen ist. Selbst wenn man alles "unter Kontrolle" hätte.