Wuppdich!
Das neue Freiheits- und Einheitsdenkmal gibt Anlass, einen Blick zurück auf die nationalen Denkmäler und Feste des 19. Jahrhunderts zu werfen. Kommt heute die Feierlaune wieder auf?
Sind die Deutschen "denkmalfähig"?1 Die Erinnerung an die unheilvollen Seiten der deutschen Geschichte zieht an und stößt ab zugleich. Schuld und Scham sind keine Garanten einer Erlösung, sondern sorgen dafür, dass das Negative der Geschichte wieder und wieder ins kollektive Bewusstsein zurückkehrt. Denkmäler unterbrechen diesen Kreislauf, indem sie die geschichtlichen Narrative versteinern, auf den Punkt bringen, einen Identifikationspunkt. Bei dem neuen nationalen Denkmal vor dem ebenfalls neuen Berliner Stadtschloss wäre das der Punkt der Einheit.
Dieser Logik nach stünde das neue Denkmal, obwohl es ganz anders aussieht, in einer Kontinuität zu den nationalen Denkmälern des 19. Jahrhunderts, die bereits Identitätsangebote machten, auf welche die Einheit des Volkes gründen sollte. Zu fragen ist, ob diese Angebote nicht Brüche in der deutschen Geschichte zudecken, heute wie damals. Zu fragen ist ferner, ob nicht schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Unheil, die Ausradierung des Nicht-Identischen, in dem Bemühen enthalten war, eine deutsche Einheit zu zimmern. Prekär wurde die Situation immer dann, wenn jene innere Identifikation mit einer Abgrenzung nach außen verbunden war. 1871 dichtete Georg Herwegh:
Du bist im ruhmgekrönten Morden.
Das erste Land der Welt geworden.
Germania, mir graut vor dir.
Nationale Denkmäler und Feste haben sämtlich die Funktion, eine gegenwärtige politische Herrschaft zu legitimieren, indem sie diese über eine lange Reihe auf ein erstes zurückführen. Dieses wird personifiziert zu einem Ersten, dem Gründungsvater, der in nicht nur, aber meist männlicher Erbfolge seine Kraft oder seinen Samen weitergibt. Aber schon der Gründungsmythos ist nicht unverrückbar. Die Erzählungen der Könige, der Krieger oder des Volkes unterliegen wechselnden Bedeutungszuschreibungen, da sie nicht unberührt bleiben vom sozialen, politischen und kulturellen Wandel, dessen Überbau sie sind. Das Personal dieser Narrative mutiert rückwirkend zu neuen Gestalten mit neuen Funktionen. Die Geschichte wird umgeschrieben. Mehrere Anfänge sind möglich.
Nationale Denkmäler (24 Bilder)
Herausgegriffen seien drei Denk- oder Mahnmale, um sie darauf hin zu inspizieren, ob die Bedürfnisse, solche zu errichten, heute immer noch oder wieder virulent sind und nach einer zeitgemäßen Darstellung verlangen, wie sie gerade mit dem Einheits- und Freiheitsdenkmal am Stadtschloss ins Werk gesetzt wird.
Das Hermannsdenkmal: Es wurde zwischen 1838 und 1875 im Teutoburger Wald erbaut. Auf einem mächtigen Sockel steht mit erhobenem Schwert der Cheruskerfürst Arminius, der die germanischen Stämme zum Sieg über die Truppen des Römers Varus geführt hatte. Hier beginnen bereits die Mutationen, die Verschiebungen von Namen und Orten. Arminius wurde im Lauf der Rezeption ein neuer Name, Hermann, angedichtet, und der Ort der Schlacht wird von Archäologen angezweifelt. Tacitus’ Beschreibung der wütenden, anarchischen Germanen und der Topografie aus schaurigen Wäldern und abscheulichen Sümpfen klingt heute eher belustigend, aber wie werden die Texte heutiger Historiker auf spätere wirken?
Eine weitere Verschiebung markiert die neue Funktion des Denkmals: Hermann nimmt Frankreich ins Visier. Zwar hatten sich die anti-französischen Affekte zum Zeitpunkt der Einweihung des Denkmals scheinbar erledigt. Frankreich war 1871 besiegt und durch die Kaiserkrönung im Spiegelsaal von Versailles gedemütigt worden. Doch hatten die Großdenkmäler des 19. Jahrhunderts nicht nur einen langen planerischen und baulichen Vorlauf, sondern sie waren auch Orakel des Kommenden, der Wiedererweckung Deutschlands - mit dem Schwert, woraus dann Kanonen wurden.
Die Idee stammt in den meisten Fällen aus der Romantik, und die Romantik war eine ideelle Reaktion auf die Besatzung Deutschlands, wenn nicht Europas, durch napoleonische Truppen. Ein Resultat der französischen Okkupation war der Zusammenbruch des alten, lange währenden Kaiserreichs, des Heiligen Römischen Reichs (deutscher Nation) im Jahr 1806.
Der Widerstand gegen Napoleon kam aus dem Wald. Ein Gemälde von Georg Friedrich Kersting zeigt den Schriftsteller Theodor Körner, wie er sich nebst zwei Freunden im Eichenwald "auf Vorposten" begeben hat. Das Bild lenkt vom realen Verlauf ab. Im Wald wurden damals selten Kämpfe ausgetragen, aber die Anspielung auf die Varusschlacht und den germanischen Urwald ist schlagend, so schlagend, wie Bilder sich eben gegen die reale Historiographie stellen können. Napoleon wurde mit Varus identifiziert.
Für Intellektuelle und Studenten und erweitert für das gesamte Bildungsbürgertum wurde das Ende der Befreiungskriege im Jahr 1815 zum Ausgangspunkt der Hoffnung. Abschüttelung der feudalen Fesseln und Vereinigung der zersplitterten deutschen Länder schrieb sich die Romantik auf die Fahnen. Paradox ist, dass der verhasste Napoleon hier Vorarbeit geleistet hatte. Das französische Staatswesen war ein modernes, säkulares, und der Widerstand gegen die Franzosen enthielt von vorneherein reaktionäre Momente.
Das erhobene Schwert Hermanns trägt die Inschrift:
Deutsche Einigkeit: Meine Stärke
Meine Stärke: Deutschlands Macht
Von Freiheit keine Spur. Die Emanzipation als eine innergesellschaftliche Forderung nach Abschaffung der Standesunterschiede wird verdrängt durch eine nach außen gerichtete Aggression. Die Einheit, die die Verwirklichung der Freiheit missachtet, verdinglicht sich zu einer von der Gesellschaft abgehobenen (Staats-)Macht, die nicht vom Volk kontrolliert wird, sondern ihrerseits das Volk kontrolliert und drangsaliert. Dieser Umschwung kennzeichnet die gesamte Denkmalkultur des 19. Jahrhunderts, die auf das Mittelalter und germanische Heldenepen rekurriert. Heraus kommt der autoritäre "wilhelminische" Staat, der die Einheit von Preußens Gnaden herbeiführt. Expansion inbegriffen.
Das lässt sich auch an der Rezeptionsgeschichte der Arminiuslegende und ihrem Niederschlag im Hermannsdenkmal ablesen. Die vormärzlichen Oppositionsbewegungen stützten sich auf ein Rebellionspotential im Arminiusmythos. Dieses Potential verbrauchte sich in dem Maße, wie die Frankfurter Paulskirchenversammlung ausgehebelt wurde und Preußen seine Hegemonie über die deutschsprachigen Länder antrat. Spätesten nach 1871 kippte das Widerstandspotential in Begeisterung für die mittelalterlich legitimierte Kaiserdynastie um. Die Einheit war nun die von Militär, Krone und Kirche. Die Denkmäler waren eine "Präfiguration" der Kriegsbegeisterung, die schließlich im Ersten Weltkrieg aufbrandete.
Das Volk schwankte zwischen Neigung zum Aufruhr und Respekt vor der Obrigkeit, die freilich dem Respekt nachhalf, indem sie Aufständische "niederkartätschte", so 1848. Das ist der große Bogen der Formierung des Bewusstseins der Massen, der das 19. Jahrhundert überspannt: Einheit und Freiheit, deren Doppelfunktion sich das liberale Bürgertum erhoffte, wurden auf ‚Einheit‘ reduziert und unter dem Deckmantel der Nation reaktionär verwendet.2 Die Nation wurde zum Kult unter Führung des Staates.
Die mit Erzählungen von identitätsstiftenden Helden überladene Symbolik der Großdenkmäler war geeignet, immer neue Gehalte aufzunehmen, je nach den sozialen und politischen Kräfteverhältnissen. Das ist auch der Fall beim zweiten Beispiel.
Das Kyffhäuserdenkmal wurde 1892 bis 1896 errichtet. Der Kyffhäuser ist ein kleines Gebirge südlich des Harz. Das Denkmal setzt die Sage von Barbarossa in Szene. Kaiser Rotbart war der Staufer Friedrich I., der im 12. Jahrhundert das Heilige Römische Reich regierte. Er ertrank auf einem Kreuzzug. Das Volk, so setzt die Sage ein, glaubt nicht an seinen Tod. Ein Zauber habe ihn in ein unterirdisches Schloss im Kyffhäuser verbannt, wo er schlafend an einem großen runden Tisch sitzt. Sein Bart ist durch den Tisch gewachsen.
So lange die Raben um den Berg kreisen, muss er jahrhundertelang im Halbschlaf ausharren. Als sein Bart mehrfach um den Tisch gewachsen ist und ein Adler die Raben vertrieben hat, kann Barbarossa in die Welt hinaufsteigen und Frieden und Einheit stiften.
Der Sockel des wuchtigen Bauwerks aus roten Sandstein-Quadern ist als Grotte stilisiert, in der Friedrich festsitzt. Leicht zu übersehen, aber bemerkenswert sind Schlangen und Masken an den Kapitellen der Stützpfeiler, die aztekisch anmuten. Zentral auf einer Bank ruht Barbarossa, der, das Schwert in der Hand, gerade aufwacht.
In gerader Linie über Barbarossas Gewölbe und schon in der Oberwelt prunkt das kupferne Standbild Wilhelms I. (1797-1888) Ihm gilt das Denkmal. Er beleiht das Bild eines mächtigen, klug geführten mittelalterlichen deutschen Reichs. Der Hohenzollern-Herrscher zieht damit zugleich Kraftlinien zu den Staufern, deren Belange zu vertreten er sich nunmehr anmaßt. Weißbart grüßt Rotbart. Eine allegorische Frauenfigur zu Wilhelms Füßen schreibt die Geschichte auf.
Ursprünglich bezog sich die Legende von der Wiederkehr der Kaisers auf Friedrich II. (1194-1250), den Enkel Barbarossas. Der zweite Friedrich hatte das Reich modernisiert und geeint. Er galt als Reformator der Kirche, konnte aber auch grausam handeln. Sein Charisma pendelte zwischen "Erlöser" und "neuer Nero". Die Erlösungsphantasmen bezogen sich auf die miserable soziale und kulturelle Lage im Reich.
Die Erzählung von der Wiederkehr des guten Kaisers ging im 14. Jahrhundert rückwirkend auf Barbarossa über.3 Am anderen Ende der Geschichte geschah Ähnliches: Die Apotheose Wilhelms I. im Kyffhäuserdenkmal übertrug sich spielend auf seinen Enkel Wilhelm II., als dieser 1888 die Krone von seinem Großvater übernahm. Nun hatte er die Kraft Barbarossas. Er konnte die nationalen Denkmäler gut zur Einstimmung auf den Ersten Weltkrieg gebrauchen.
Sind im Denkraum der Logik Menschen und Dinge scharf voneinander abzugrenzen, so ist im Mythenraum die Ablösung der Namen, Personen und Sachen voneinander erlaubt, bis sie zu neuen zeitlichen und räumlichen Konstellationen gewandert sind. Ein häufiger Fall ist, dass historische Ereignisse weiter zurückliegenden anverwandelt werden.
Wie die beiden besprochenen hatten auch die übrigen National- bzw. Kaiser-Wilhelm-Denkmäler die Funktion, die deutsche Einheit aus den Befreiungskriegen sowie der Romantisierung des Mittelaltes abzuleiten und ihr eine monarchistisch-imperialistische Prägung zu geben. Die wichtigsten Stätten: Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica, Deutsches Eck (Koblenz), Niederwalddenkmal, Völkerschlachtdenkmal (Leipzig), Walhalla an der Donau, Befreiungsdenkmal bei Kelheim, Schinkels "Nationaldom" (Fragment). Älter: die Wartburg, jedoch durch das Wartburgfest von 1817 für den nationalen Gedanken in Beschlag genommen.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine wahre Denkmalflut. Champion auf den Sockeln war Bismarck.
Neue Wache, Berlin: Sie wurde 1816-18 nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel als Wache für das Königliche Palais erbaut und sollte zugleich das Gedenken an die Gefallenen der Befreiungskriege bewahren. Sie stand - und steht - an markanter Stelle der Via triumphalis, soll heißen: der Paradestraße Unter den Linden. Schinkel gestaltete die Wache in Anlehnung an ein römisches Castrum, ergänzt um einen dorischen Portikus.
Vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Wache für eine militärische Post- und Fernmeldestelle umgenutzt, von der aus die Mobilmachung ausgerufen wurde. Nach dem Krieg wurden Verwendungen wie Café oder Bankfiliale vorgeschlagen. 1931 wurde sie zu einem Ehrenmal für die Gefallenen des Weltkrieges ausgebaut. Der Architekt, Heinrich Tessenow, setzte sich gegen Mitbewerber wie Mies van der Rohe durch, der einen Hauch von Moderne in das Bauwerk bringen wollte.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Neue Wache stark ramponiert. Anschließend kamen Vorschläge wie Buchladen oder Goethe-Gedenkstätte. 1949 forderten FDJ-Vertreter den Abriss. Nach länger dauernder Rekonstruktion wurde die Neue Wache als "Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus" im Sinne der Gedenkkultur der DDR wiedereröffnet. Im Jahr nach der Maueröffnung wurden alle Insignien der DDR-Zeit entfernt und Tessenows Gestaltung weitgehend wiederhergestellt. 1993 wurde die Neue Wache als "Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland" eingeweiht, gewidmet den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft.
Auf Wunsch des damaligen Bundeskanzlers Kohl wurde der zentrale prismatische Glaskörper samt Ewiger Flamme, der aus DDR-Zeiten überkommen war, durch eine vierfach vergrößerte Replik der Plastik "Mutter und Sohn" von Käthe Kollwitz ersetzt. Heftige Kritik kam damals auf. Solch eine bewegende Darstellung ist nicht aufblasbar. Die Vergröberung lässt sehr im Ungefähren, um welche Opfer mit welcher Geschichte es sich handelt. Die heutige Gedenkstätte offeriert eine Abstraktion von Geschichte.
Was lehrt uns das? Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen das Gedenken. Durch die ständige Revision des Gedenkens wird die Erinnerung ebenso zerstört wie sie bewahrt werden soll. Die Neue Wache ist kein Identifikationsort mit Ewigkeitswert, sondern ein Heterotop.4