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YouTube: Werden deutsche Nutzer erneut ausgesperrt?

Screenshot: TP

Landesmedienanstalten sehen Video-Kanäle als potenziell lizenzpflichtig an

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) [1] hat den Twitch-Gamerkanal PietSmietTV dazu aufgefordert, bis zum 30. April bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) eine 1.000 bis 10.000 Euro teure Rundfunklizenz zu beantragen. Macht der Betreiber von PietSmietTV das bis dahin nicht, drohen ihm Bußgelder und eine Ausstrahlungsuntersagung.

Als Rechtsgrundlage für ihre Forderung sieht die ZAK den § 2 des deutschen Rundfunkstaatsvertrages (RstV), in dem Rundfunkangebote [2] als "lineare Informations- und Kommunikationsdienste" definiert werden, die sich "an die Allgemeinheit richten", "durch die Nutzer weder zeitlich noch inhaltlich beeinflusst werden können", "entlang eines Sendeplans verbreitet werden", "sich an mehr als potenziell 500 gleichzeitige Nutzer richten", "journalistisch/redaktionell gestaltet" werden und "nicht ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen". Vorher hatte der ZAK-Vorsitzende Siegfried Schneider verlautbart, "das Netz" sei "voll von rundfunkähnlichen Angeboten" [3].

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) [4] glaubt nach einem Gespräch mit Tobias Schmid, dem vor kurzem neu eingesetzten Direktor der LfM, nicht, dass dahinter nur finanzielle Motive der Landesmedienanstalten stecken:

In seiner neuen Aufgabe hat er sich, wie er im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt, viel vorgenommen: Er will zeigen, wie weit der Rundfunkbegriff im Internet reicht, also wer dem Verständnis der Medienaufsicht nach Rundfunk macht und entsprechend eine Rundfunklizenz braucht. Und er will dafür sorgen, dass die Landesmedien als Aufsicht gefragt sind, wenn es um Hassrede und Falschnachrichten im Netz geht. […] Für Plattformen im Netz gälten dieselben Grundsätze wie für - andere - Medienunternehmen. Den Landesmedienanstalten falle die Aufgabe zu, für die Achtung der Menschenrechte, Vielfalt, Jugend- und Nutzerschutz zu sorgen.

FAZ-Autor Michael Hanfeld interpretiert diese Aussage als Angebot, als ein Quasi-"Wahrheitsministerium" zu agieren, dass nicht erst eingerichtet werden muss, sondern schon besteht und praktischerweise einen anderen Namen trägt:

Landesmedienanstalten [...], die als Medienaufsicht ziemlich in Vergessenheit geraten sind, [sehen] jetzt [...] die Chance [...], groß rauszukommen. Ihr habt ein Problem mit dem Internet, mit Hassrede und Fake News?, rufen sie der Politik zu, und: Wir haben die Lösung, wir sind die Lösung, verteilen Lizenzen und räumen auf.

(Michael Hanfeld)

"Die Kleinen fängt man, um die Großen kümmert man sich später"

Für Schmidt gilt die Faustregel: "Was aussieht wie Rundfunk, und sich bewegt wie Rundfunk, ist Rundfunk." Dass er und seine Kollegen mit PietSmietTV eher bei einem kleinen als bei einem großen Angebot anfangen, könnte Hanfelds Ansicht nach beabsichtigt sein - "nach dem Motto: Die Kleinen fängt man, um die Großen kümmert man sich später." Seinen Worten nach machte der neue LfM-Chef "im Gespräch Andeutungen […], dass sich auch die Presseverlage mit Blick auf ihre Online-Präsenzen besser warm anziehen sollten" und dass "ein Angebot wie Bild.de, das stark auf bewegte, auch live gesendete Bilder setzt, […] Rundfunk sein" könne (Siehe dazu auch: Überreguliert: Wie Heise einmal eine Rundfunklizenz beantragen musste [5]).

Wenn eine Lizenz beantragt werden muss, dann kann sie auch verweigert werden - wobei die offizielle Begründung [6] nicht unbedingt identisch mit dem sein muss, was Entscheidungsträger an einem Angebot tatsächlich am meisten stört. Wie viele Möglichkeiten es gibt, zeigt aktuell die Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH), die ein medienrechtliches Verfahren mit Bußgeldmöglichkeiten bis zu 500.000 Euro eingeleitet hat [7], weil ein YouTube-Kanal mit der Präsentation eigener Produkte angeblich gegen die Werbebestimmungen des §58 Absatz 3 RstV verstößt.

Option Geoblocking

Internationale YouTube-Stars wie Paul Joseph Watson [8] oder Milo Yiannopoulos [9] werden sich davon eher nicht beeindrucken lassen. Wenden sich die deutschen Landesmedienanstalten deshalb direkt an YouTube, muss das nicht unbedingt in einer internationalen Sperre solcher Angebote münden. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass YouTube mit Geoblocking erneut deutsche Nutzer aussperrt - so wie man es während des Streits mit der deutschen Musikverwertungsgesellschaft GEMA sieben Jahre lang machte (und teilweise immer noch macht).

YouTube-Chefin und Reporter ohne Grenzen kritisieren Maas-Gesetz

YouTube-Managerin Susan Wojcicki [10] äußerte sich bislang nur zum Hate-Speech-Gesetzentwurf des deutschen Justizministers Heiko Maas, von dem sie befürchtet, dass er auch "legitime Stimmen unterdrücken" wird. Das befürchtet auch die Organisation Reporter ohne Grenzen [11], die in einer Pressemitteilung dazu meinte, mit diesem "beschämenden" Vorstoß des SPD-Politikers werde "ein zentraler Wert unseres Rechtsstaats über Bord [geworfen]: dass die Presse- und Meinungsfreiheit nur beschnitten werden darf, wenn unabhängige Gerichte zum Entschluss kommen, dass eine Äußerung nicht mit den allgemeinen Gesetzen vereinbar ist."

Maas ging auf diese Kritik nicht ein, sondern verschärfte seinen Entwurf stattdessen heimlich um einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch, den der Heise-Justiziar Jörg Heidrich als einen "Frontalangriff auf das Vertrauen im Internet" wertet [12], der "zu nichts weniger als zum Ende der Anonymität im Internet führen" könnte. In Sozialen Medien befürchtet [13] man sogar, dass Pädophile mit dem Maas-Gesetz an "die Adresse der hübschen 14jährigen [kommen könnten], die [ihre] Nachrichten nicht mehr beantwortet."


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3672478

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.die-medienanstalten.de/presse/pressemitteilungen/kommission-fuer-zulassung-und-aufsicht/detailansicht/article/zak-pressemitteilung-072017-zak-beanstandet-verbreitung-des-lets-play-angebots-pietsmiettv.html
[2] http://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/Download/Themen/Zulassung/Erl%C3%A4uterungen_der_ZAK_zur_PietSmiet-Entscheidung.pdf
[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Twitch-Stream-als-Rundfunkangebot-Medienanstalten-nehmen-PietSmietTV-ins-Visier-3661705.html
[4] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/rundfunklizenz-fuer-youtuber-14945278.html
[5] https://www.heise.de/ct/ausgabe/2017-5-Wie-Heise-einmal-eine-Rundfunklizenz-beantragen-musste-3622151.html
[6] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Medienanstalt-Kinder-brauchen-mehr-Schutz-vor-Gefahren-im-Internet-3596966.html
[7] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Verdacht-auf-Schleichwerbung-Medienwaechter-gehen-gegen-YouTuber-vor-3670185.html
[8] https://twitter.com/PrisonPlanet/status/847580669626556416
[9] https://www.youtube.com/user/yiannopoulosm
[10] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Gesetz-gegen-Hate-Speech-YouTube-Chefin-stellt-sich-gegen-Maas-3671842.html
[11] http://www.presseportal.de/pm/51548/3586321
[12] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Neuer-Entwurf-des-Netzwerkdurchsetzungsgesetzes-Frontalangriff-auf-das-Vertrauen-im-Internet-3668533.html
[13] https://twitter.com/Scaramouche1989/status/847388963861954562