Zeitenwende: Wie leben mit dem Klimakollaps?
Wirtschaftssystem bringt Erde an Grenzen. Führt nur eine Art Kriegswirtschaft aus der Katastrophe? Gespräch mit Ulrich Brand (Teil 2 und Schluss)
In ihrem Buch "Kapitalismus am Limit" entwerfen Ulrich Brand und Markus Wissen drei Szenarien dafür, wie es mit der Menschheit in der globalen Krise weitergehen könnte: Kommet ein grüner und reformierter Kapitalismus, eine Stabilisierung durch autoritäre Strukturen oder lässt sich eine neue, solidarische Perspektive umsetzen? Teil 2 des Telepolis-Gesprächs mit dem Mitautor Ulrich Brand.
Kriegswirtschaft und Klimakrise: Eine falsche Analogie?
Aus meiner Sicht ist die Analogie zwischen Kriegswirtschaft und Klimakrise falsch, weil es ja keinen Konsens gibt, wie mit der Klimakrise umgegangen werden soll – beim Kampf gegen den Faschismus war der hingegen klar. Heute jedoch: Der Staat schafft das Umsteuern nicht, die Vermögenden sind in der Lage, mit Investitionen in fossile Energien Profite zu machen und ihre klimazerstörende Lebensweise aufrechtzuerhalten.
Als Öko-Keynesianerin überschätzt sie den Staat und interessiert sich weder für alternative Wirtschaftsweisen noch für zivilgesellschaftliche Initiativen. Vor allem verkennt Ulrike Herrmann, dass in der Rüstungsindustrie horrende Gewinne gemacht wurden.
Ausbeutung von Mensch und Natur im Nord-Süd-Gefälle
Im Kern geht die Geschichte bei Hobson in etwa so: Der Kapitalismus schafft Wohlstand über steigende Arbeitsproduktivität in den Zentren, die politische Kontrolle der Kolonien ist hingegen kostspielig – das Geld sollte lieber für Sozialreformen "zu Hause" eingesetzt werden und die Kolonialmächte somit besser über Investitionen und Warenhandel agieren.
Ulrike Herrmann geht einen Schritt weiter und bestreitet, dass die Ausplünderung von Menschen und Natur im globalen Süden überhaupt den Wohlstand in den Zentren steigere.
Rohstoffe aus dem Süden für Lifestyle im Norden
Wir machen aber einen zweiten Punkt, der bei Ulrike Herrmann auch keine Rolle spielt. Seit etwa 20 Jahren gibt es intensive Forschungen zum sogenannten ungleichen ökologischen Tausch. Dass nämlich die unglaublich vielen fossilen, mineralischen, metallischen und agrarischen Rohstoffe aus dem globalen Süden die imperiale Produktions- und Lebensweise im Norden ermöglichen.
Die Waren sind oft, in Geld bewertet, nicht teuer, aber sie sind eben in ihrer biophysischen Qualität absolut essenziell. Da gilt auch für den grünen Kapitalismus.
Der Klimawandel als "Problem", dessen Lösung zu teuer wäre
Wir sehen auch weiterhin die Leugnung des Klimawandels. Es kommen vermehrt Positionen hinzu, die sagen, der Klimawandel ist ein Problem, aber wir können uns die hohen Kosten nicht leisten, denn damit gefährden wir Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Oder aber sie wollen die vermeintliche Freiheit qua Tempolimit nicht einschränken.
Zudem: Wir sehen in vielen Metropolen in Ländern des globalen Südens wie katastrophal etwa die Luftqualität sein kann und das Automobil dennoch unhinterfragt das Symbol von Fortschritt bleibt – angefeuert von einer riesigen Marketingmaschinerie der Industrie.
Kurzum: Es gibt keinen Automatismus oder die "richtige Dosis", sondern die erforderlichen Politiken für den notwendigen sozial-ökologischen Umbau müssen politisch erkämpft werden – von sozialen Bewegungen, von politischen Parteien, von Verbänden, von Akteuren einer solidarischen Wirtschaft. Oft sind es dann die Auseinandersetzungen innerhalb des Staates, innerhalb der Unternehmen oder der Verbände, die entscheiden, wie weitreichend Politiken sein sollen.
Denken wir etwa an die Gewerkschaften, Unternehmensverbände oder in Österreich an die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer. Ganz am Ende des neuen Buches schlagen wir den Begriff der "transformativen Zellen" vor, um diese innerinstitutionellen Auseinandersetzungen in den Blick zu nehmen.
Anpassung an den Klimawandel: "Solidarische Resilienz"
Servigne, Stevens und andere argumentieren, dass durch Überschwemmungen, Trockenheit, Waldbrände und anderes Versorgungssysteme bzw. Infrastrukturen wegbrechen: Infrastrukturen für Verkehr und Wohnen, die Produktion und der Vertrieb von Nahrungsmitteln, der Zugang zu sauberem Wasser etc. Entsprechend steigen die Kosten, das alles wiederherzustellen. Und die Kosten sind oft ungleich verteilt.
Dazu kommt die ganze Problematik der Anpassung an den Klimawandel, was wir im Buch als notwendige "solidarische Resilienz" bezeichnen. Es muss also politisch gehandelt werden, die Produktions- und Lebensweise und damit eben auch gesellschaftliche Macht- und Vermögensverhältnisse müssen verändert werden.
Das wollen die Profiteure des Status Quo nicht und sagen, dass die Klimakrise sehr komplex sei. Handeln gegen ihre Interessen wie Wachstum, Profite, Ausbeutung von Menschen und Natur gehe daher nicht.
Auch deshalb tut sich im Hinblick auf den notwendig tiefgreifenden sozial-ökologischen Umbau zu wenig. Und die politischen Kräfte der autoritären Rechten pushen diese Perspektive auch noch. Damit schüren sie alle die trügerische Hoffnung, dass es auch bei unzureichender Bearbeitung der Krise irgendwie weitergehen wird.
Ulrich Brand arbeitet als Professor für Internationale Politik an der Universität Wien zu Dynamiken und Krise der liberalen Globalisierung, ökologischer Krise und den gesellschaftspolitischen Reaktionen darauf, sowie zu imperialer Lebensweise und Lateinamerika. Mehr Informationen zu den beiden Büchern von Brand und Wissen sind auf der Internetseite www.imperiale-lebensweise.de [1] zu finden.
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