Zeitenwende: Wie leben mit dem Klimakollaps?

Wirbelsturm über einem Feld (Symbolbild)

Gute Ernten und Nahrungsmittelsicherheit könnten bald nicht mehr selbstverständlich sein. Symbolbild: 51581 / Pixabay Licence

Wirtschaftssystem bringt Erde an Grenzen. Führt nur eine Art Kriegswirtschaft aus der Katastrophe? Gespräch mit Ulrich Brand (Teil 2 und Schluss)

In ihrem Buch "Kapitalismus am Limit" entwerfen Ulrich Brand und Markus Wissen drei Szenarien dafür, wie es mit der Menschheit in der globalen Krise weitergehen könnte: Kommet ein grüner und reformierter Kapitalismus, eine Stabilisierung durch autoritäre Strukturen oder lässt sich eine neue, solidarische Perspektive umsetzen? Teil 2 des Telepolis-Gesprächs mit dem Mitautor Ulrich Brand.

Kriegswirtschaft und Klimakrise: Eine falsche Analogie?

In einem anderen viel diskutierten Buch, "Das Ende des Kapitalismus", führt Ulrike Herrmann die englische Kriegswirtschaft als historischen Beleg dafür an, dass sich Volkswirtschaften in kurzer Zeit grundlegend ändern können. In den USA wurden im Zweiten Weltkrieg auf einen Schlag mehr Schulden gemacht, als der Staat je zuvor aufgenommen hatte. Was wäre aus ihrer Sicht falsch an einer Art "Kriegswirtschaft", die den jetzt nötigen sozial-ökologischen Umbau ermöglicht?

Ulrich Brand: Das Argument von Ulrike Hermann lautet, dass angesichts der äußeren Bedrohung durch den Faschismus es einen breiten Konsens gab, sehr viele wirtschaftliche Ressourcen in den raschen Aufbau der Kriegswirtschaft zu stecken und die anderen Produktions- und Konsumsektoren dabei stark schrumpften zu lassen. Dies, so Herrmann, sei relativ egalitär abgelaufen.

Aus meiner Sicht ist die Analogie zwischen Kriegswirtschaft und Klimakrise falsch, weil es ja keinen Konsens gibt, wie mit der Klimakrise umgegangen werden soll – beim Kampf gegen den Faschismus war der hingegen klar. Heute jedoch: Der Staat schafft das Umsteuern nicht, die Vermögenden sind in der Lage, mit Investitionen in fossile Energien Profite zu machen und ihre klimazerstörende Lebensweise aufrechtzuerhalten.

Als Öko-Keynesianerin überschätzt sie den Staat und interessiert sich weder für alternative Wirtschaftsweisen noch für zivilgesellschaftliche Initiativen. Vor allem verkennt Ulrike Herrmann, dass in der Rüstungsindustrie horrende Gewinne gemacht wurden.

Ausbeutung von Mensch und Natur im Nord-Süd-Gefälle

Ulrike Herrmann und andere sehen im Kolonialismus keinen so bedeutenden Faktor, wie Sie es in Ihrem Buch tun. Das Argument ist simpel: Die Kolonien haben sich wirtschaftlich für die Kolonialmächte nie gelohnt. Was entgegnen Sie dem?

Ulrich Brand: Das habe ich mit ihr, wie auch den gerade genannten Punkt, vor einem Jahr bei einer sehr spannenden Veranstaltung von Attac München diskutiert. Sie steht damit in der Tradition des liberalen Imperialismustheoretikers John Atkinson Hobson, der Anfang des 20. Jahrhunderts ähnlich argumentierte.

Im Kern geht die Geschichte bei Hobson in etwa so: Der Kapitalismus schafft Wohlstand über steigende Arbeitsproduktivität in den Zentren, die politische Kontrolle der Kolonien ist hingegen kostspielig – das Geld sollte lieber für Sozialreformen "zu Hause" eingesetzt werden und die Kolonialmächte somit besser über Investitionen und Warenhandel agieren.

Ulrike Herrmann geht einen Schritt weiter und bestreitet, dass die Ausplünderung von Menschen und Natur im globalen Süden überhaupt den Wohlstand in den Zentren steigere.

Rohstoffe aus dem Süden für Lifestyle im Norden

Sie hingegen nehmen an, dass der Wohlstandszuwachs im Norden immer auch auf Plünderung im Süden basiert?

Ulrich Brand: Wir schließen zumindest – entgegen der Sichtweise von Ulrike Herrmann – an die alten Debatten um den ungleichen Tausch an. Dabei betonen wir, dass es eben einen enormen Werttransfer aus den damaligen Kolonien und dem heutigen globalen Süden in den Norden gab und gibt. Denken wir nur an die unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellten Konsumgüter und industriellen Vorprodukte in China.

Wir machen aber einen zweiten Punkt, der bei Ulrike Herrmann auch keine Rolle spielt. Seit etwa 20 Jahren gibt es intensive Forschungen zum sogenannten ungleichen ökologischen Tausch. Dass nämlich die unglaublich vielen fossilen, mineralischen, metallischen und agrarischen Rohstoffe aus dem globalen Süden die imperiale Produktions- und Lebensweise im Norden ermöglichen.

Die Waren sind oft, in Geld bewertet, nicht teuer, aber sie sind eben in ihrer biophysischen Qualität absolut essenziell. Da gilt auch für den grünen Kapitalismus.

Der Klimawandel als "Problem", dessen Lösung zu teuer wäre

Trotz allem: Die Klimakrise wächst allmählich ins kollektive Bewusstsein hinein. Hier zeigt sich bei allem Übel durchaus auch viel Solidarität, wenn man beispielsweise an die Welle der Hilfsbereitschaft nach der Flut im Ahrtal denkt. Könnte es so etwas geben, wie die "richtige Dosis" Katastrophe, die zur Zusammenarbeit anleitet und nicht in den Untergang führt?

Ulrich Brand: Die Auswirkungen der ökologischen und insbesondere der Klimakrise werden immer stärker in den kapitalistischen Zentren bemerkbar; das zeigen wir im neuen Buch anschaulich und dazu gibt es ja viele Studien. Doch wie Krisen interpretiert werden und wie damit dann gesellschaftspolitisch umgegangen wird, ist offen und da stehen uns noch einige politische Vermittlungsschritte und heftige Auseinandersetzungen bevor.

Wir sehen auch weiterhin die Leugnung des Klimawandels. Es kommen vermehrt Positionen hinzu, die sagen, der Klimawandel ist ein Problem, aber wir können uns die hohen Kosten nicht leisten, denn damit gefährden wir Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Oder aber sie wollen die vermeintliche Freiheit qua Tempolimit nicht einschränken.

Zudem: Wir sehen in vielen Metropolen in Ländern des globalen Südens wie katastrophal etwa die Luftqualität sein kann und das Automobil dennoch unhinterfragt das Symbol von Fortschritt bleibt – angefeuert von einer riesigen Marketingmaschinerie der Industrie.

Kurzum: Es gibt keinen Automatismus oder die "richtige Dosis", sondern die erforderlichen Politiken für den notwendigen sozial-ökologischen Umbau müssen politisch erkämpft werden – von sozialen Bewegungen, von politischen Parteien, von Verbänden, von Akteuren einer solidarischen Wirtschaft. Oft sind es dann die Auseinandersetzungen innerhalb des Staates, innerhalb der Unternehmen oder der Verbände, die entscheiden, wie weitreichend Politiken sein sollen.

Denken wir etwa an die Gewerkschaften, Unternehmensverbände oder in Österreich an die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer. Ganz am Ende des neuen Buches schlagen wir den Begriff der "transformativen Zellen" vor, um diese innerinstitutionellen Auseinandersetzungen in den Blick zu nehmen.

Anpassung an den Klimawandel: "Solidarische Resilienz"

Möglicherweise ist ein gewisser Kollaps nicht mehr abwendbar und es müsste die Notwendigkeit sich an die Änderungen anzupassen ins allgemeine Bewusstsein gelangen. Aber vor einer bewussten "Kollapsologie", wie dies die Autoren Pablo Servigne und Raphaël Stevens nennen, rennen Politik und Gesellschaft davon. Welche Chance sehen Sie, die Illusion des "Es wird schon irgendwie so weitergehen" aufzulösen?

Die Kollapsologie unterscheidet sich meines Erachtens an einem entscheidenden Punkt von Thesen eines Untergangs der Zivilisation oder einer allgemeinen Katastrophe aufgrund der ökologischen Krise.

Servigne, Stevens und andere argumentieren, dass durch Überschwemmungen, Trockenheit, Waldbrände und anderes Versorgungssysteme bzw. Infrastrukturen wegbrechen: Infrastrukturen für Verkehr und Wohnen, die Produktion und der Vertrieb von Nahrungsmitteln, der Zugang zu sauberem Wasser etc. Entsprechend steigen die Kosten, das alles wiederherzustellen. Und die Kosten sind oft ungleich verteilt.

Dazu kommt die ganze Problematik der Anpassung an den Klimawandel, was wir im Buch als notwendige "solidarische Resilienz" bezeichnen. Es muss also politisch gehandelt werden, die Produktions- und Lebensweise und damit eben auch gesellschaftliche Macht- und Vermögensverhältnisse müssen verändert werden.

Das wollen die Profiteure des Status Quo nicht und sagen, dass die Klimakrise sehr komplex sei. Handeln gegen ihre Interessen wie Wachstum, Profite, Ausbeutung von Menschen und Natur gehe daher nicht.

Auch deshalb tut sich im Hinblick auf den notwendig tiefgreifenden sozial-ökologischen Umbau zu wenig. Und die politischen Kräfte der autoritären Rechten pushen diese Perspektive auch noch. Damit schüren sie alle die trügerische Hoffnung, dass es auch bei unzureichender Bearbeitung der Krise irgendwie weitergehen wird.

Ulrich Brand arbeitet als Professor für Internationale Politik an der Universität Wien zu Dynamiken und Krise der liberalen Globalisierung, ökologischer Krise und den gesellschaftspolitischen Reaktionen darauf, sowie zu imperialer Lebensweise und Lateinamerika. Mehr Informationen zu den beiden Büchern von Brand und Wissen sind auf der Internetseite www.imperiale-lebensweise.de zu finden.