Zukunftsangst durch Klimakrise: Wie viel Verdrängung erfordert der Alltag?

Einige Menschen fühlen sich angesichts der Klimakatastrophe ohnmächtig, andere sind von dem Thema genervt. Hinzu kommen Mischzustände. Symbolbild: Pixabay Licence

Umfrage: 36 Prozent rechnen mit Umzug wegen Klimaschäden. Ein Viertel der Jüngeren fühlt sich beeinträchtigt. Warum Psychologen von Verdrängung abraten.

Das Stichwort "Klimamüdigkeit" beschreibt aktuell zwei Phänomene: Erstens, dass die breite Masse der Bevölkerung angesichts der Wirtschaftskrise nur noch genervt von diesem Thema sei und in Ruhe Autofahren und Fleisch essen wolle. Zweitens beschreibt es das Ohnmachtsgefühl und die Resignation einer umweltbewussten Minderheit, die durch mittel- und langfristige Existenzängste depressiv zu werden droht.

Umfragen über Zukunftsängste im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe zeichnen ein differenziertes Bild: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland glaubt nicht etwa den Leugnern, sondern geht von einem realen Problem aus, das früher oder später Einfluss auf ihr Leben haben wird oder schon hat. Allerdings würde nur eine Minderheit dieses Problem aktuell vorrangig behandeln.

Klimaziele: 1,5-Grad-Marke 2024 erstmals überschritten

Das Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen, gilt als kaum noch erreichbar – im Kalenderjahr 2024 wird dieser Schwellenwert laut aktuellen Meldungen praktisch sicher überschritten. Im langjährigen Mittel – gemessen über zwei Jahrzehnte – ist dies noch nicht der Fall. Die weltweite Kohleförderung hat aber gerade erst ein Rekordhoch erreicht, was einen weiteren Zuwachs an klimaschädlichen Emissionen bedeutet.

Dadurch könnten gefährliche Kipppunkte überschritten werden, vor denen in den Klimawissenschaften seit Jahren gewarnt wird. Selbst eine Begrenzung auf knapp unter zwei Grad gilt hier als Mammutaufgabe, die schnellstmöglich angegangen werden müsste.

Extremwetter: Ein Drittel der Deutschen rechnet mit Umzug

Laut einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank (EIB), die am Montag veröffentlicht wurde, rechnen 47 Prozent der Menschen in Deutschland damit, ihr Leben deshalb "etwas" ändern zu müssen, 16 Prozent gehen davon aus, dass diese Veränderung "stark" sein wird. 36 Prozent rechnen nach gehäuften Extremwetter-Ereignissen sogar damit, im Lauf ihres Lebens an einen weniger gefährdeten Ort oder in eine kühlere Region umziehen müssen.

Maßnahmen zur Anpassung halten laut Umfrage mehr als 90 Prozent der Deutschen für wichtig – nur 40 Prozent sind aber der Meinung, dass solche Maßnahmen Priorität haben sollten. Im EU-Durchschnitt meinten dies mit 50 Prozent deutlich mehr Befragte.

Klimakatastrophe setzt junge Menschen unter Psycho-Stress

Auch in Deutschland befassen sich aber zunehmend Ärztinnen und Psychologen mit der Thematik, da sowohl die Zukunftsangst als auch das veränderte Klima selbst gesundheitliche Auswirkungen haben können. Körperlich vor allem für ältere Menschen und Kleinkinder, psychisch vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene.

Laut einer Studie der Stiftung Gesundheitswissen fühlen sich 24 Prozent der Befragten unter 30-Jährigen sich durch Gedanken an den Klimawandel im Alltag beeinträchtigt. Teilweise führen sie körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen darauf zurück.

Rund die Hälfte dieser Altersgruppe mache sich grundsätzlich solche Gedanken, berichtete die Ärzte Zeitung Anfang der Woche. Vier Prozent der Befragten sagten demnach sogar, dass ihnen die Angst vor dem Klimawandel jegliche Energie für die Bewältigung des Alltags raubt.

Psychologen für Resilienz statt Verdrängung der Klima-Angst

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) hat anlässlich der 29. Weltklimakonferenz einen "nationalen Resilienzplan" gefordert, damit Menschen in naher Zukunft "angemessen und möglichst produktiv mit den Stressbelastungen durch den Klimawandel umgehen können" und emotional gesund bleiben.

"Die Bedrohung durch diese epochale Krise, die die Handlungsmöglichkeiten von Individuen und ganzen gesellschaftlichen Systemen weit übersteigt und deren Bedingungen sich ständig verändern, bereitet vielen Menschen Sorgen", schreibt der BDP in seinem Bericht "Psychologische Perspektiven im Klimawandel: Strategien und Konzepte".

Der Berufsverband kann sich die Verdrängung des Problems in großen Teilen der Bevölkerung psychologisch gut erklären. Schließlich beeinträchtigt die ständige Sorge und Angst Individuen im Alltag, solange sie die Mehrheit nicht zum Umdenken bewegen können. Aber "kollektive Verdrängung steht individuellem und politischem Handeln im Weg", bemerkte der BDP schon vor Jahren.

Aktuell wirft er die Frage auf, wie Menschen, Institutionen und ganze Gesellschaften unterstützt werden können, um angesichts existenzieller Bedrohungen nicht auf Strategien der Untätigkeit – wie Verdrängung, Verleugnung und Bagatellisierung – auszuweichen, "sondern im Gegenteil wirksam handlungsfähig zu bleiben oder zu werden und so die Krise mit einzudämmen und zur Lösung beizutragen".

COP29: Farce oder Ort wichtiger Entscheidungen?

Die Bedeutung Weltklimakonferenz COP29 in Baku ist derweil fast nirgends so umstritten in der aktiven Klimabewegung: Welche Ergebnisse sind zu erwarten, wenn das Gastgeberland erneut ein "Ölstaat" ist, in diesem Fall Aserbaidschan? Im vergangenen Jahr waren es die Vereinigten Arabischen Emirate; geleitet wurde die Konferenz vom CEO der dortigen staatlichen Ölgesellschaft, Sultan Ahmed Al Jaber, der zugleich das Amt des Industrieministers bekleidet.

Während Teile der linken Klimabewegung Konferenzen dieser Art mittlerweile als Farce einstufen, hält das Netzwerk Fridays for Future sie für wichtig genug, um die Nichtteilnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als "fatales Signal" zu kritisieren.

Klimakollaps und solidarischer Katastrophenschutz

Der langjährige Aktivist Tadzio Müller, der die Anti-Kohle-Bewegung "Ende Gelände" mitgegründet hat, betonte dagegen kurz vor dem Start des aktuellen Klimagipfels, die bisherigen Veranstaltungen dieser Art hätten "keinen politikwissenschaftlich-materiell messbaren Effekt" auf die Entwicklung der globalen Treibhausgaskonzentration gehabt. Sie folge vielmehr eng dem globalen Wirtschaftswachstum.

Da die Mehrheit der Gesellschaft im globalen Norden zur Verdrängung neige und der ökologische Kollaps nicht mehr zu verhindern sei, müsse sich die Klimabewegung psychisch und praktisch darauf einstellen und "solidarischen Katastrophenschutz" üben, rät Müller.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.