Aktivismus statt Neutralität: Wie die Tagesschau ihren Auftrag verfehlt

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"Inside Tagesschau": Kritik von innen – Wie das Nachrichtenflaggschiff der ARD mit Vorwürfen der Parteilichkeit und Reformunwilligkeit umgeht.

Sechs Jahre lang, von 2018 bis 2024, arbeitete der Journalist Alexander Teske als Planungsredakteur bei der Tagesschau. Das sind sechs Jahre praktische Erfahrung mit der Brücke und dem Maschinenraum des Nachrichten-Flaggschiffs der ARD, das einerseits als Standard für seriösen Journalismus gilt und – im Kontrast dazu – seit Jahren mit scharfen Vorwürfen der Parteilichkeit zu tun hat.

Nimmt man die oft zitierte Aussage des Soziologen Niklas Luhmann als Grundlage, so steht mit dem Nachrichtenangebot der Tagesschau einiges auf dem Spiel: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir über die Massenmedien." Die Tagesschau ist da ein großer Player.

Heute erscheint Teskes Buch "Inside Tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache". Es ist ein Logbuch der Erfahrungen, die Teske dort gemacht hat.

Eher aktivistisch als neutral

Grundsätzlich bestätigt es die Kritiken an dem Nachrichtenformat. Teske, der einzige Ostdeutsche in der Planungsredaktion und dadurch wohl auch anders sensibilisiert, beobachtet eine beschränkte, defizitäre Auswahl von Themen und eine Tendenz zur voreingenommenen Berichterstattung, die er als politisch einseitig beschreibt.

Im Milieu der Tagesschau-Nachrichtenmacher seien Affinitäten zur SPD und den Grünen überrepräsentiert, so Teske. Das Buch bietet eine Fülle von Beobachtungen und Beispiele für diese Wahrnehmung.

Der Journalismus der Tagesschau ist nach Erfahrungen des Journalisten, der nun als freier Autor arbeitet und nicht im Bösen gegangen ist, eher "aktivistisch" als neutral, wie es der Auftrag verlangt, "angepasst" und "abgehoben".

Der Fall Gelbhaar

Im Gespräch mit Telepolis verweist er darauf, dass der aktuelle Umgang der Tagesschau mit dem Fall des grünen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar seine Erfahrung stützt, wonach die Redaktion, die für die Gestaltung der 20-Uhr-ARD-Tagesschau zuständig ist, sich durch eine Zurückhaltung auszeichnet, wenn es um Nachrichten geht, bei denen die Grünen keine gute Figur machen.

Teske pointiert das: "Bei der Tagesschau arbeitet die klassische grüne Stammwählerschaft." So sei es für ihn keine Überraschung gewesen, dass der Fall Gelbhaar, während er bei anderen Nachrichtenmagazinen längst Thema war, noch bei der 20-Uhr-Ausstrahlung am Sonntagabend nicht erwähnt wurde.

"Der Fall Gelbhaar findet nicht statt. Das ist ja nicht mal eine 20-Sekunden-Meldung gewesen." Lediglich im Netz postete die Redaktion kleinere Meldungen.

Dass man das ignoriert, ist schräg. Die Online-Berichte sind alle in Ordnung, aber nur in einem Einzigen findet sich ganz unten ein Hinweis auf Andreas Audretsch, den Wahlkampfmanager und Habeck-Vertrauten. Es ist schon sehr versteckt. Das ist ja eigentlich das Spannende an dieser ganzen Geschichte.

Kein Einzelfall, sondern ein Muster

Für Teske ist das kein Einzelfall. In seinem Buch beschreibt er ausführlich, wie schonend die Tagesschau mit Annalena Baerbock umgegangen ist, als in ihrem Wahlkampf 2021 Unregelmäßigkeiten in ihrer Biografie zum großen Thema wurden. Die Tagesschau reagiert erst spät darauf.

Wie es denn mit der Kritikfähigkeit der Tagesschau-Redaktion grundsätzlich aussieht, wollte der Autor dieses Beitrags von Alexander Teske wissen: Wie wird die Kritik an der Tagesschau intern wahrgenommen? Gibt es da einen Veränderungsdruck?

Das lässt sich gar nicht so einfach beantworten, weil es verschiedene Ebenen gibt. Es gibt ja einmal die Ebene der Redakteure in Hamburg, die die Themen aussuchen. Das sind die Chefs vom Dienst. Aber auch die ganzen Bearbeiter und die Planer.

Und dann gibt es die Social-Media-Redaktion und die Redaktion der Tagesschau, die ja auch selbst was macht, und im Haus sitzt auch die Redaktion der Tagesthemen. Und da passiert natürlich was.

Da gibt es Konferenzen und da gibt es Gespräche. Und es gibt aber natürlich auch die Ebene der Chefredakteure, die Chefredakteurskonferenz, wo alle neun Landesrundfunkanstalten zusammengeschaltet sind.

Darüber hinaus gibt es Einzelgespräche mit den Auslandskorrespondenten, mit den Inlandskorrespondenten, auch da findet der Austausch statt. Oder in Leipzig. Er wird natürlich auch beraten.

Da gibt es ja auch eine Zuliefererredaktion. Alle arbeiten für die Tagesschau. Aber es gibt nicht den einen zentralen Ort. Es wird auch sehr unterschiedlich, glaube ich, debattiert. Natürlich wird das alles wahrgenommen.

Kritik? Dafür gibt es die Maßgabe, das nicht nach außen zu tragen.

Alexander Teske

Eine Glaubensgemeinschaft mit einem ausgeprägten Konsens

Ein großer Betrieb und dann letztlich eine große Richtlinie? Wie im Vatikan? Einfach in dem Stil weitermachen, so wie man bis jetzt, seit Jahren schon, gearbeitet hat? Da will man sich nicht dareinreden lassen und keine große Kursänderung vornehmen?

Woher kommt die Angst vor Veränderung? Ist es die Angst, Kritik in der eigenen Hierarchie zu bekommen? Ist es die Angst, Pfründe, also einen guten Job, einen guten Posten zu verlieren? Oder ist es die Angst, sich da im Kollegenkreis zu isolieren?

Es ist ja oft eine Mischung aus allem. Es Ist ein wenig wie mit der katholischen Kirche. Man überlegt, wenn wir jetzt zu viel ändern, dann sind wir ja gar nicht mehr die katholische Kirche. Dann geben wir unseren Markenkern auf.

Sie wollen natürlich ein Stück weit auch das machen, was sie ausmacht und nicht, ich sag’ jetzt mal RTL aktuell machen … Wir können Kleinigkeiten besser machen und vielleicht ist da mal das eine oder andere nicht gut gelaufen, aber trotzdem: Im Grunde ist das alles toll so.

Alexander Teske

Und wie geht man mit Kritik um?

Die kommt nur immer gefiltert. Also die haben ja keinen direkten Kontakt zu Zuschauern. Man kann ja Zuschauerpost schreiben, die landet aber gar nicht direkt bei der Tagesschau, sondern da gibt es in München eine Redaktion "Zuschauerpost". Da arbeiten Hilfskräfte.

Die beantworten meist standardmäßig Sachen und nur wenn es kompliziert wird oder juristische Sachen sind oder wenn es ein guter Hinweis ist, dann wird das mal nach Hamburg weitergeleitet und auch dann landet es erst mal in der im Sekretariat oder in der Chefredaktion.

Und nur vereinzelt bekommt man dann als Redakteur oder als Planer mal was auf den Tisch. Das heißt, darüber gibt es Rückmeldungen. Das ist aber keine große Sache. Man redet eben auch nicht mit Zuschauern. Ich kenne das von anderen Sendern, dass man etwa Testsendungen macht.

Dann wird aktuell etwas vor 30 zufällig ausgewählten Zuschauern gezeigt und dann redet man hinterher mit denen darüber. Also wenn man als Redakteur jetzt nicht irgendwie einen sehr großen, vielfältigen Bekannten- und Freundeskreis hat oder von der Verwandtschaft Rückmeldung bekommt, die auch nichts mit Medien zu tun haben und die vielleicht auch mal nicht so gut gestellt sind und keine Akademiker sind und wenig Geld verdienen, was weiß ich dann von der Wirklichkeit?

Dann hat man eben auch keine persönliche Rückmeldung und liest eben vielleicht mal auf der Medienseite von Kritik. Dann erreicht einen die Kritik oder das, was los ist, eben auch immer gefiltert.

Alexander Teske