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Zeitenwende in eine autoritärer werdende Gesellschaft?

Shanghai, China. Foto (Februar 2018): Thana Gu/unsplash

Neue Leitsektoren, die Krise des fünften Kondratieff-Zyklus, Corona und "kybernetischer Kapitalismus", subtile Formen der Gängelung. Interview mit der Historikerin Andrea Komlosy.

Andrea Komlosy ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien [1]. In ihrem Buch mit Titel: "Zeitenwende. Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft [2]" stellt sie die These auf, dass wir uns in einer Übergangszeit befinden: vom industriellen zum kybernetischen Zeitalter.

Bei diesem Übergang spielen Themen eine große Rolle, die mit großer Hitze diskutiert werden. So etwa die Corona-Krise mit ihren Regelungen, die auf eine bis dato ungeahnte Weise in unser gesellschaftliches und individuelles Leben eingegriffen haben.

"Covid-19 wird an Schrecken verlieren [3]", heißt es in der Beschreibung des Buches von der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, deren Mitglied Komlosy ist. Aber:

"Die Akzeptanz von Verdatung und Tracking ist jedoch Bestandteil des Alltags geworden. Schließungen und Absonderungen können jederzeit reaktiviert werden, wenn dieser Trend keine antisystemische Gegenbewegung zu entfachen vermag."

Kritik [4] an Komlosys Positionen blieb während der Corona-Krise nicht aus. Wie denkt sie jetzt über das Corona-Geschehen und wie über seine Einordnung als Phänomen des Übergangs in ein neues Zeitalter? Wie sieht das aus?

Florian Rötzer hat bei der Autorin nachgefragt, was sie unter dem neuen menschheitsgeschichtlichen Zeitalter versteht.

Viel mehr als das "Corona-Regime"

Wenn ich das richtig verstanden habe, sehen Sie die Corona-Krise in Ihrem Buch als Beschleuniger des Übergangs in das "kybernetische Zeitalter". Wo würden Sie denn zuerst den Umbruch ansetzen?
Andrea Komlosy: Vielleicht sollte ich zuerst sagen, was ich unter Kybernetik verstehe. Es gibt sehr viele Auffassungen. Im Prinzip leitet sich der Begriff ab von dem griechischen Kybernetiker, dem Steuermann. Praktisch geht es um die Regelung und Steuerung durch Rückkopplungseffekte. Meistens wird Kybernetik technisch verstanden, man kann es aber auch politisch im Sinne von Governance verstehen.
Mir geht es um die neuen Technologien, also um die Selbststeuerung und das selbstständige Lernen der Maschinen bis hin zum Einbau des Menschen in ein algorithmengetriebenes Steuerungssystem. Die Kybernetik ist als Wissenschaft in den 1960er-Jahren entwickelt worden und in der Folge über die Künstliche Intelligenz in die Digitalisierung gemündet.

"Kybernetischer Kapitalismus"

Natürlich ist das viel mehr als das "Corona-Regime" mit Quarantäne, Testen, Impfen, Tracken usw. und den Regeln, die wir zu befolgen hatten. Aber ich gehe davon aus, dass diese An- und Verordnungen und auch die Kommunikationsangebote im Lockdown uns in das neue menschheitsgeschichtliche Zeitalter katapultieren, das ich "kybernetischen Kapitalismus" nenne. Dieser zeichnet sich im Wesentlichen durch neue Wachstumssektoren aus, natürlich auch durch Technologien und Arbeitsverhältnisse.
Wir kommen ja aus dem industriellen Kapitalismus. Ich habe dafür ein Modell entwickelt und folge im Wesentlichen den Konjunkturzyklen, die Kondratieff, Schumpeter oder Mandel entwickelt haben, nach denen alle 50 Jahre ein neuer Leitsektor die Krise des vergangenen Zyklus überwindet.
Ich sehe als neuen Leitsektor, der sich jetzt in der Krise des fünften Kondratieff-Zyklus entwickelt, die Medizin-, Pharma- und Biotechindustrie, die zusammen mit Robotik, Künstlicher Intelligenz, Nanotechnologien usw. die Körper ganz anders ins Spiel bringt, sie optimiert und auf diese Art und Weise neue Verwertungsbereiche eröffnet.
Corona hat dafür einen kleinen Anschub dargestellt.

Totale Veränderung der Lebensweise und auch der Sinnstiftung

Gibt es für Sie eine bestimmte Technik, ab der der Eintritt in das kybernetische Zeitalter stattfindet? Was könnte sich als nächster Zyklus entwickeln?
Andrea Komlosy: Der Übergang von einem Zyklus zum nächsten ist ein sehr langfristiger Prozess. Und es kommt auch darauf an, ob wir von Konjunkturzyklen mit einem Zeitraum von 50 Jahren ausgehen. Der Konjunkturzyklus, der in den 1990er-Jahren von der Informations- und Kommunikationstechnologie getrieben war, ist mit der Weltwirtschaftskrise an einen Kipppunkt gekommen.
Wir sind nach wie vor in dieser Krise. Immer noch gibt es keinerlei Anzeichen, dass wir sie überwunden haben. Typisch an diesem Zyklenmodell ist, dass sich aus der Krise heraus neue Sektoren in Stellung bringen. Das sind jetzt die Pharma-, Biotech- und Körper-Optimierungskontrollsektoren, die mithilfe des Selbststeuerungsmodells der Kybernetik andere Produkte und auch Lebensweisen mit sich bringen, als wir das aus dem seriellen Zeitalter der industriellen Massenproduktion kennen.
Aber im Prinzip kann man sagen, das kybernetische Zeitalter hat mit der Entwicklung des Computers, mit diesen ganzen Konferenzen über Kybernetik und Künstliche Intelligenz begonnen, also noch im industriellen Zeitalter.
Aber es formiert sich eigentlich erst jetzt etwas, das unsere Lebensweise und auch die Sinnstiftung total verändert, auch die Praktiken der Kommunikation, das Verhältnis zur Arbeit oder die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.

Die Kluft

Darüber wurde schon in den 1990er-Jahren viel gesprochen. Es gab Konferenzen und Publikationen, dass die Menschen mit den Maschinen, mit dem Computer, verschmelzen. Es gibt Gehirn-Computer-Schnittstellen, aber diese neue Welt, die damals erträumt wurde, ist eigentlich noch nicht da. Auch wenn Facebook jetzt schwärmt, mit dem Metaversum einzusteigen. Meinen Sie diese Verschmelzung von Mensch und Maschine, von Mensch und Technik, von Körper und Technik oder sehen Sie etwas anderes als entscheidender?
Andrea Komlosy: Man muss natürlich immer unterscheiden zwischen dem, was vollmundig angekündigt wird als technische Möglichkeit oder was man sich überhaupt vorstellen kann, und dem, was dann tatsächlich realisiert wird. Da klafft eine große Kluft.
Ich würde sagen, in dieser großen Kluft liegt eigentlich auch die Hoffnung, dass diese Vorhersagen der automatisch geschehenden Übergänge nicht zutreffen müssen. Allerdings haben sich, wenn ich in die Geschichte zurückschaue, die Modernisierungen ziemlich unabhängig von dem, was es an Widerständen immer wieder gegeben hat, Bahn gebrochen.
Trotzdem würde ich nicht sagen, dass das unbedingt so kommen muss, und ich würde auch diese Vorstellungen, dass der Mensch in der Maschine aufgeht, nicht teilen, allerdings hängt der Mensch schon seit dem Industriezeitalter an der Maschine, was allerdings noch ziemlich mechanisch war.

Eine andere Steuerungsmöglichkeit

Mit den Algorithmen ist schon eine andere Steuerungsmöglichkeit vorhanden. Und mit dem digitalen Kapitalismus, mit dem Datenkapitalismus - es sind ja schließlich die Daten, die den Menschen an die Optimierungsbranchen binden - findet ein qualitativer Wandel statt.
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir einen Kapitalismus haben, in dem Daten zur Ware werden. Das ist in dieser Massenhaftigkeit erst der Fall, seit es die Plattformökonomie und die IT-Konzerne gibt, die massenhaft Dienste anbieten.
Sie eröffnen uns auch neue Möglichkeiten, aber schöpfen ununterbrochen unsere Daten ab, auf denen das Geschäftsmodell für diese neuen Sektoren aufbaut. Natürlich gibt es weiterhin Kapital, Arbeitskraft, Rohstoffe usw., aber die Daten ermöglichen die Feinsteuerung, dass man aufgrund der Kenntnisse, die man sozusagen durch die Klicks abliefert und damit den Unternehmen mitteilt, wie wir uns verhalten, was wir erfahren, was wir wünschen, welche Begierden wir haben, wo wir uns befinden, wie oft wir etwas machen, mit wem wir Kontakt haben.
Das ist erst seit einer relativ kurzen Zeit tatsächlich auswertbar und kommt uns praktisch entgegen, insofern dies in maßgeschneiderte Produkte übertragen wird. Man könnte das auch ganz banal sagen: Wir laufen herum, messen unseren Blutdruck oder zählen die Anzahl der Schritte, die wir gemacht haben.
In der Corona-Zeit messen wir eben auch, wie wir uns im Kontrollregime verhalten haben. Damit kann man im Prinzip die neuen Wachstumssektoren speisen.

Ganz andere Ausbeutungsformen

Wie verändert der Datenkapitalismus das bislang gewohnte kapitalistische System?
Andrea Komlosy: Am wichtigsten ist, woher der Mehrwert stammt. Beim klassischen Kapitalismus, den ich noch marxistisch interpretieren würde, kommt der Mehrwert durch die Ausbeutung der bezahlten Arbeitskraft, in Ergänzung zu Marx auch durch die unbezahlte Arbeitskraft indirekt über die Reproduktion der Lohnarbeit.
Mit der Beschäftigung von Arbeitskräften wird Mehrwert generiert. Das endet ja auch nicht, muss man sagen. Die Arbeitsverhältnisse verändern sich mit der Digitalisierung mit einer starken Polarisierung zwischen den führenden, sagen wir mal technischen Leitungspositionen und den Prekären. Aber gleichzeitig werden viele Tätigkeiten ersetzt durch die Maschinen.
Insofern sinkt das Volumen der ausbeutbaren Arbeitskraft und wird ersetzt durch die Aneignung der Erfahrung, die sich in den Verhaltensdaten, die man über die Klicks bei der Suche, beim Einkauf oder bei der Inanspruchnahme von Diensten erzeugt.
Ich glaube, dass wir das zur Kenntnis nehmen müssen, weil wir uns immer noch auf diesem Gegensatz von Kapital und Arbeit ausruhen. Der hatte für das Industriezeitalter einen Erklärungswert, aber das digitale kybernetische Zeitalter schafft ganz andere Ausbeutungsformen und damit auch Interventionsmöglichkeiten in uns als User der Dienste und als nachfragenden Personen für die Produkte, die aufgrund der Auswertung der Daten auf uns maßgeschneidert werden.
Wenn man sich wünscht, dass der Kapitalismus wieder aus der Krise kommt, dann gibt es eine gewisse Chance, dass ein Wachstumszyklus aufgrund des medizinischen Pharma-Kontroll-Komplexes in die Gänge kommt.
Man muss aber auch sehen, dass all das natürlich auch Widerstände und Widersprüche hervorruft und dass es nie genauso kommt, wie es Zukunftsforscher prognostizieren. Als Historikerin sage ich auch nicht, dass es unbedingt so kommen wird.
Ich glaube nicht, dass man diesen Zug zur Digitalisierung aufhalten kann. In dem Moment, an dem gewisse Technologien im Raum stehen und natürlich auch ihre Vorzüge erkannt werden, auch wenn sie in einer ungleichen Gesellschaft sehr ungleich verteilt sind, kann man zumindest beobachten, was die Kybernetisierung der Beziehungen mit uns als Menschen macht, und überlegen, ob wir eigentlich so viel davon haben wollen oder ob wir nicht doch lieber mehr analog wollen.

"Wir müssen gesellschaftlich dafür sorgen, dass das analoge Leben möglich ist"

Noch mal zurück zum alten Kapitalismus und Marxismus. Man setzte auf die Arbeiterbewegung und die Aneignung der Produktionsmittel. Lässt sich dazu etwas in Analogie zum Datenkapitalismus sagen. Geht es darum, die Daten wieder zurückzuholen und sich anzueignen? Würde man damit zum eigenen Produzenten? Oder würden Sie sagen, da findet etwas prinzipiell anderes statt?
Andrea Komlosy: Das finde ich, ist eine sehr interessante Frage, aber ich gehe nicht so weit, dass ich mir überlege, wie man eine soziale Bewegung in diesem Datenkapitalismus organisieren könnte. Wahrscheinlich muss man auf der einen Seite individuell überlegen, wie man mit diesen Daten umgeht.
Viele Überlegungen gehen in die Richtung, dass wir keine Wahl haben, sondern dass wir praktisch um der Partizipation willen, die wir alle wollen, sehr viel in Kauf nehmen. Das haben wir mit dem Gesundheitspass deutlich gesehen. Es gab ja keinen Impfzwang, in Österreich ist er nicht umgesetzt worden, aber es gab einen indirekten Druck.
Selbst wenn man dem entgehen konnte, hat man sich ständig über seinen Impfstatus ausweisen müssen, um sich zu bewegen. Von den Corona-Maßnahmen wird diese Kontrolle der Bewegung und diese Möglichkeit, Menschen anhand ihrer Gesundheitsmerkmale zu steuern, am ehesten bleiben. Ich hoffe natürlich, dass das nicht so pauschal wird, dass wir nur mehr mit QR-Codes ins Kino, in eine Ausstellung gehen oder uns an der Gesellschaft beteiligen können.
Hier kommt die Politik ins Spiel, da wir das nicht nur individuell steuern können, sondern auch gesellschaftlich dafür sorgen müssen, dass das analoge Leben möglich ist.
Darüber hinaus kann man überlegen, wie man gewährleisten kann, dass die positiven Seiten und Möglichkeiten dieser Selbststeuerung sich nicht verselbstständigen im Sinne der Profitgenerierung, sondern im Sinne dessen, dass sie auch der Gesellschaft zugutekommen.
Aber da muss ich sagen, sehe ich nicht wirklich die Ansatzpunkte. Man müsste überlegen, wer die Träger sind. Aber gerade die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie oder auch andere außerparlamentarische Linke sind in der Corona-Zeit dazu übergegangen, genau den Maßnahmen, die uns in diese Richtung treiben, einen Gesundheitsschutz zuzubilligen. Und das finde ich eigentlich einen großen Fehler im Denken.

Corona: Einübung in die Technologien

Man könnte sagen, dass die in China abgestrebte Steuerung des sozialen Verhaltens viel drastischer ist als die medizinische Überwachung. Wenn über Gesichtserkennung im öffentlichen Raum alle Individuen ausgemacht und ihnen bestimmte Dinge verschlossen werden können, wenn sie sich nicht konform verhalten haben, dann geht das doch weiter, wobei in China auch die Corona-Maßnahmen viel härter als hier angewendet wurden. Ich meine, dass das, was an staatskapitalistischer Überwachung möglich wäre und auch schon praktiziert wird, weiter über den medizinischen Bereich hinausgeht..
Andrea Komlosy: Ich will das auch nicht nur auf das Medizinische beschränken. Die Theorie mit den Leitsektoren sagt ja nicht, dass diese die die einzigen sind, sondern dass über die Leitsektoren bestimmte Mechanismen als allgemeine Prinzipien in die Gesellschaften katapultiert werden.
Ich würde schon sagen, dass wir in der Corona-Zeit, die jetzt schon ausgelaufen ist, uns dieser ganzen digitalen Techniken und Kommunikationstechniken bedienen mussten, um zu kommunizieren, während wir auf der anderen Seite bereit waren, um der Teilhabe willen unsere Gesundheitsdaten preiszugeben.
Das war ein bestimmter Moment, der Widerstände überwunden und eine Einübung in die Technologien mit sich gebracht hat, aber auch die Bereitschaft, die entsprechenden Daten mitzuliefern.

Verschwörungsstorys: Zu vordergründig und unterkomplex

Manche der sogenannten Verschwörungstheoretiker meinen ja, es sei eine abgekartete Sache irgendwelcher Eliten gewesen. Das würden Sie aber so nicht sagen?
Andrea Komlosy: Das würde ich so nicht sagen. Dafür ist der Kapitalismus einfach zu komplex, es sind zu viele unterschiedliche Interessen im Gange und es konkurrieren auch unterschiedliche Weltregionen. Über die geopolitische Seite haben wir noch nicht gesprochen.
Nein, also das ist zu vordergründig. Natürlich werden Politiker an entscheidenden Positionen vorgefiltert durch Thinktanks und sie müssen Connections haben, sonst kommen sie nicht in bestimmte Positionen. Das ist natürlich nicht erst seit der Corona-Zeit so.
Internationale Organisationen haben auch die Pandemie-Szenarien durchgespielt. Es gibt natürlich einige Analogien, aber ich würde jetzt nicht sagen, da ist irgendwas geübt und dann ausgeführt worden. Da sind einfach zu viele Dinge gleichzeitig im Gange.

Biopolitisches Selektieren

Eine Zeitenwende wird heute auch in Deutschland vom Bundeskanzler verkündet. Sie soll nach dem Anfang des Krieges in der Ukraine stattgefunden haben. Geopolitisch soll sich die Weltordnung neu konstituieren. Wie würden Sie das aus Ihrer Perspektive sehen? Corona ist fast kein Thema mehr, die Überwachung ist eingestellt worden. Im Augenblick herrscht eigentlich eher die Formierung durch den Krieg vor. Man steckt viel Geld in die Rüstung und baut Feindbilder auf. Natürlich spielt die Kybernetik hier auch eine Rolle beispielsweise in Form von Drohnen und anderen Waffensysteme, die dann automatisiert eingesetzt werden. Sehen Sie eine Verbindung beim Übergang von der Corona-Zeit zu der Kriegszeit?
Andrea Komlosy: Ich stimme nicht zu, dass die Überwachungsmaßnahmen, die sich in der Corona-Zeit etabliert haben, ganz vorüber sind. Sie sind natürlich nicht mehr so flächendeckend vorhanden, aber wenn Sie zum Beispiel in irgendeiner Weise mit dem Gesundheitsbereich zu tun haben, dann bleibt Ihnen auch als Studierender zum Beispiel an einer medizinischen Universität nichts übrig, als diese Impfungen machen zu lassen, die sich in der Zwischenzeit zu einem regelmäßigen, alle halbe Jahre zu erneuerndem Stich entwickelt haben, der aber vor der Erkrankung nicht schützt.
An bestimmten Universitäten werden zum Beispiel trotz Gleichstellungsbeauftragten Leute, die vollständig geimpft sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt. Es zieht ein biopolitisches Selektieren ein und wird in diesem Gesundheits- oder allgemein Ausweisdokument münden, mit dem dann von der wirtschaftlichen Seite, aber natürlich auch von der Seite staatlicher Kontrolle die Menschen bestimmt werden können.
Das sollte man im Auge haben und nicht so tun, als ob schon alles vorbei wäre. Die Frage, ob sich das mit dem Krieg verbindet, geht eigentlich über das Thema meines Buches hinaus. "Zeitenwende" ist ein allgemeiner Begriff, man kann ihn natürlich für einen Wandel im Verhältnis zu den USA, zur Nato, zur Aufrüstung und schlussendlich auch zur Absage an die Absage an die Atomkraft verstehen.
Ich verwende den Begriff in einem viel allgemeineren Sinn, in dem dieser Krieg keine Rolle spielt. Es ist schon klar, dass kybernetische Technologien natürlich auch im Krieg angewendet werden, aber damit beschäftige ich mich in dem Buch nicht.

Subtile Formen der Gängelung

Der Computer ist eigentlich von Anfang an eine Kriegstechnik. Das Militärische steht am Ursprung des kybernetischen Zeitalters.
Andrea Komlosy: Das ist richtig, aber wenn wir den Krieg jetzt anschauen, dann wird er doch sehr stark mit herkömmlichen Technologien geführt, die durch Digitalisierung verbessert sind. Manches ist auch sehr brutal auf dem Schlachtfeld.
Das heißt, dass die herkömmlichen Technologien eigentlich nicht so sehr Erfolge mit sich bringen, sondern die Möglichkeit der Überwachung und der Logistik. Vieles von dem, was wir im Zusammenhang mit Corona diskutiert haben, sind relativ subtile Formen der Gängelung des Einzelnen.
Im Krieg ist die Gängelung des einzelnen Einzelnen noch mal um einiges stärker und es gibt die Propaganda. Es ist natürlich ein Problem, dass auch nicht in den Krieg involvierte Seiten sich wie Deutschland oder sogar das neutrale Österreich als Kriegsparteien sehen und auf der Propagandaebene auch mitmachen. Da sehe ich schon eine gewisse Parallele.
Bei Corona sind die Kritiker mehr, als ich das jemals aus meiner kritischen Haltung als mündige Bürgerin kannte, mundtot gemacht worden und ähnliche Phänomene sehe ich jetzt bei all denen, die Friedenspolitik oder Verhandlungslösungen fordern.
Insofern könnte man sagen, gibt es schon einen allgemeinen Trend in Richtung einer autoritärer werdenden Gesellschaft, die den Diskurs abschafft oder zurückdrängt und durch durch gültige Wahrheiten ersetzt.

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Overton-Magazin [5].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7459530

Links in diesem Artikel:
[1] https://wirtschaftsgeschichte.univie.ac.at/menschen/lehrbeauftragtedozentinnen/komlosy-andrea/
[2] https://www.buchkomplizen.de/zeitenwende-oxid.html
[3] https://leibnizsozietaet.de/neue-publikation-unseres-mitglieds-prof-dr-andrea-komlosy/
[4] https://www.derstandard.de/story/2000130170845/corona-kritische-ringvorlesung-an-uni-wien-sorgt-fuer-kritik
[5] https://overton-magazin.de/top-story/corona-eintritt-in-das-kybernetische-zeitalter-und-das-biopolitischen-kontrollregime/