Zero Covid im Praxistest
Es existieren Länder, die schon einen harten Lockdown ausprobiert haben und der Pandemie nicht entkommen sind
Eines muss man den Initiatoren der Kampagne Zero Covid neidlos zugestehen. Sie haben tatsächlich den gesellschaftlichen Diskurs beeinflusst, was für einen Großteil der Linken ein zentrales Ziel ist. Ein Hinweis darauf, dass Zero Covid an der Diskursfront erfolgreich war, zeigt sich darin, dass eine No Covid-Initiative, die von Wirtschaftsfraktionen und liberalen Intellektuellen unterstützt wird, wohl öfter mit der linken Zero Covid-Initiative verwechselt wird.
Der ehemalige radikale Westberliner Hausbesetzer Heinz Bude, der längst als linksliberaler Sozialwissenschaftler anerkannt ist, musste jedenfalls in einem taz-Beitrag "den prinzipiellen Unterschied" zwischen dem von ihm unterstützten No Covid-Ansatz zu Zero Covid betonen. Er ist nicht der Einzige.
Nun kann man es in Zeiten der linken Schwäche schon als Erfolg sehen, wenn eine von bekannten linken Personen und Initiativen getragene Forderung in der Diskussion so stark vertreten ist, dass Anhänger einer wirtschaftsnahen Initiative immer wieder betonen müssen, dass sie damit nichts zu tun haben.
Kann die Linke als Corona-Bekämpferin gewinnen?
Doch ist die Initiative Zero Covid deswegen ein Projekt, das dabei helfen könnte, die linke Bewegung vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren, wie einer der Erstunterzeichner, der Sozialwissenschaftler Christian Zeller, am Montag während einer Online-Diskussion mit dem Sozialwissenschaftler Alex Demirovic erklärte?
Dort betonte er mehrmals, dass die Linke global noch mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde, wenn sie nicht eine klare Position zur Minimierung weiterer Corona-Toten entwickelt. Da könnte man fragen, warum das nicht ebenso bei vielen Krankheiten gilt, die klar benennbare gesellschaftliche Ursachen haben. Da sei nur an die Gesundheitsschäden durch Feinstaub in der Luft erinnert, die größtenteils durch bestimmte Automotoren hervorgerufen und verstärkt werden.
Es ist aber bisher vor allem das Bündnis "Sand im Getriebe" und nicht die gesellschaftliche Linke insgesamt, die dagegen mobilisiert. Dabei wäre es hier einfacher, die gesundheitsschädlichen Luftpartikel, wenn schon nicht auf null zu bringen, doch stark zu minimieren, wenn bestimmte Motortypen aus dem Verkehr gezogen würden.
Ein viel größerer Aufwand ist hingegen gerade in einer globalisierten Welt, die Verbreitung eines Virus, das weltweit zirkuliert und schon mutiert ist, zu minimieren. Dass sie nicht auf null zu bringen ist, weiß auch Zeller, der in der erwähnten Diskussion darauf verwies, dass sich eine gesellschaftliche Linke seit jeher auch Forderungen stellt, die nicht in absehbarer Zeit umzusetzen sind.
Mit diesem Hinweis hat er Recht. Kritisch nachzufragen wäre daher nicht, ob Zero Covid realistisch, sondern wünschenswert wäre. Schließlich gibt es auch in der außerparlamentarischen Linken Stimmen, die darin eher eine Anleitung zu autoritärer Staatlichkeit sehen.
Zero Covid-Alternative zum langanhaltenden Lockdown?
Sinnvoller wäre es, zu fragen, wie realistisch ein zentrales Argument der Zero Covid-Befürworter ist, wonach damit eine Lockdown-Dauerwelle abgewendet werden könnte. Es wurde auch von Christian Zeller in der Diskussion mehrmals wiederholt. Nun ist auch ihm klar, dass ein Total-Lockdown in der heutigen Gesellschaft nicht möglich ist. Der Carebereich und die Güterproduktion des täglichen Bedarfs müssen aufrechterhalten werden.
Zu den Ländern, die zwischenzeitlich einen weitgehenden Lockdown hatten, gehörte Portugal. Dort wurde die Schließung sämtlicher Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Geschäfte und Schule auch in den Sommermonaten 2020 aufrechterhalten, während fast alle Nachbarländer die Regeln lockerten. Portugal galt damals als Vorbild für die Vertreter harter Lockdown-Maßnahmen. Als die Regeln dann gelockert wurden, kam das Virus zurück und heute ist das Land ein Hotspot, und die Bundeswehr will sich dort als Retter in der Not präsentieren.
Aber auch China, das von vielen Befürwortern eines solidarischen Lockdowns als Beispiel angeführt wird, ist nun keineswegs die Corona-Probleme los. Der China-Korrespondent Fabian Kretschmer schreibt in der Taz, dass Peking eine Strategie gewählt hat, die Zero Covid ähnelt. Doch seien die Behörden dazu verdammt, "die drakonischen und kostspieligen Maßnahmen gegen das Virus" bis zum weit entfernten Ziel der Herdenimmunität beizubehalten, zitiert Kretschmer einen Twitter-Beitrag.
Da jeder Einreisende eine potenzielle Virusgefahr darstellt, muss sich das Land auf absehbare Zeit in Totalisolation begeben. Genau diese Konsequenz wird aber von den Zero Covid-Befürwortern, die ja mehrheitlich für offene Grenzen sind, nicht benannt. Ein kürzlich im Bertz + Fischer Verlag herausgegebener Sammelband mit dem Titel "Die Welt nach Corona" gibt Auskunft über weitere Länder, die trotz eines harten Lockdown den Virus nicht losgeworden sind.
Der Titel verspricht nicht zu viel, es werden tatsächlich Beiträge über die Corona-Situation von Ländern auf allen Kontinenten aufgenommen, die sicher eine Momentaufnahme waren, aber auch einen Überblick geben. So galt auch Vietnam im Sommer 2020 mit seinen strikten Lockdown-Maßnahmen als Musterland bei der Pandemiebekämpfung. Der innenpolitische Notstand wurde mit rigiden Grenzabschließungen komplementiert. Doch im Juli 2020 gab es trotz dieser rigiden Maßnahmen Corona-Fälle in mehreren vietnamesischen Städten, die wiederum mit noch mehr Notstand bekämpft wurden.
Auch das zentralafrikanische Ruanda gilt als Musterland der Pandemiebekämpfung. Doch die Afrika-Korrespondentin verschiedener deutschsprachiger Zeitungen, Simone Schlindwein, benennt auch die Folgen: Hunger und Verelendung bei der ärmeren Bevölkerung. Davon seien Kinder besonders betroffen. Besonders rigide wurde ein harter Lockdown zeitweise in Südafrika durchgesetzt. Menschen, die auf die Straße gingen, weil sie nichts zu essen hatten, wurden sogar von der Polizei erschossen. In Südafrika wurde auch deutlich, wer sich einen harten Lockdown leisten kann.
Während in den Vierteln der Wohlhabenden die Straßen weitgehend leer waren, gingen in den Barrios der Armen die Menschen auf der Straße und wurden häufig von der Polizei angegriffen.
Solidarischer Lockdown - und wer soll ihn tragen?
Nun werden die Anhänger von Zero Covid einwenden, dass sie ja einen solidarischen Lockdown anstreben. Doch da stellt sich schnell die Frage, wer soll denn garantieren, dass er solidarisch durchgesetzt wir?
Daran ist ja selbst die spanische Regierung, an der aktuell mit Podemos die spanische Linkspartei beteiligt ist, gescheitert. In dem teilweise harten Lockdown im Frühjahr und Frühsommer 2020 konnte sie einige soziale Abfederungen durchsetzen, die allerdings nicht verhindern konnten, dass große Teile der Bevölkerung verarmten.
Alle Länder, deren Regierung mit einem harten Lockdown hofften, die Pandemie zu besiegen, mussten bald erkennen, dass sie ihr damit nicht entkommen konnten. Dazu gehört auch Israel, das mit einem ehrgeizigen Impfprogramm tatsächlich ein Vorbild für die Pandemiebekämpfung sein könnte. Das Land hat nicht nur die Impfungen als Wunderwaffe gegen das Corona-Virus propagiert, sondern auch dafür gesorgt, dass möglichst vielen Menschen der Impfstoff schnell zur Verfügung steht. Vielleicht wäre das ein solidarischer Umgang in Zeiten von Corona?
Der Autor organisiert gemeinsam mit Gerhard Hanloser, Elisabeth Voss und Anne Seeck seit Anfang Dezember die digitale Diskussionsrunde "Corona Linke und die linke Kritik(un)fähigkeit".