#ZeroCovid und der autoritäre Corona-Staat
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Wie bei dem vermeintlich progressiven Vorstoß Naivität mit dem Ruf nach autoritären staatlichen Maßnahmen einhergeht
Oberflächlich gesehen scheint es sich bei der #ZeroCovid-Initiative um eine Erfolgsgeschichte zu handeln. Sie hat an die 100.000 Unterstützungsunterschriften bekommen und es erschienen zahllose Berichte in den den Medien. So viel Aufmerksamkeit konnte schon lange keine linke Stimme erringen. Eine nüchterne und kritische Analyse führt jedoch zu einem weniger positiven Ergebnis. #ZeroCovid agiert als linke Flankendeckung des autoritären Corona-Staates und hat das Image der Linken beträchtlich beschädigt: Naivität und Blauäugigkeit verbinden sich mit dem Ruf nach autoritären staatlichen Maßnahmen.
Sozialpsychologisch ist der Zeitpunkt der #ZeroCovid-Initiative durchaus verständlich. Nach bald einem Jahr Einschränkungen und Verboten mit massiven Folgeschäden auf allen Ebenen ist die Erschöpfung groß. Man kann und will nicht mehr. Der eigentlich auslösende Faktor dürfte die tiefe Enttäuschung angesichts der bislang erfolglosen Impfkampagne sein.
Im vergangenen Jahr hoffte man auf die Impfungen als Erlösung. Nun ist die Impfung da, aber die Erlösung bleibt aus. Es wird wohl noch Monate dauern, bis die gesamte Bevölkerung durchgeimpft sein wird. In welchem Ausmaß die Vakzine tatsächlich Neuinfektionen verhindern, ist ungewiss; ebenso, ob bestimmte Gruppen der Bevölkerung trotz Impfung Monate später erkranken oder das Virus weiterverbreiten könnten. Daher nun der Hilfeschrei: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Was erregte eigentlich die Aufmerksamkeit? Es finden sich im Aufruf durchaus unterstützenswerte Forderungen wie die nach dem Ausbau des Gesundheitswesens, nach Entkoppelung der Impfstoffproduktion von der Profiterzielung, die Forderung einer europaweiten "Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen". Wäre das der bestimmende Inhalt des Aufrufs gewesen, so hätte deswegen kaum jemand auch nur müde genickt. Zudem sind diese Abschnitte vage und unbestimmt formuliert und lassen viele Fragen offen. Aber darum geht es nicht.
Wirkliches Aufsehen erregte diese Initiative durch den eigentlichen Kern der Forderungen: zero Covid. Die Null fasziniert. Im Aufruf liest sich das so:
Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen - es muss Null sein. (…) Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. (…) Shutdown heißt: Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein - und zwar auch am Arbeitsplatz! Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen. Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause muss so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind.
Aufruf von #ZeroCovid
Hätte die Initiative "Senkt die Infektionszahlen massiv" gelautet, wäre sie kaum beachtet worden. Es ist die Orientierung auf die völlige Ausrottung des Virus, die der Initiative jene offenbar faszinierende Aura beschert. Die Vorstellung, alles soziale und gesellschaftliche Leben so lange stillzulegen, bis die Infektionsrate absolut null beträgt, hat etwas Religiöses an sich. Denn es ist ebenso irrwitzig zu meinen, eine Welt ohne Schnupfen und Husten sei möglich, wie eine Welt ohne Viren. Andere glauben an die Macht der Gebete, diese Initiative an die wunderbare Wirksamkeit von Zero-Covid-Maßnahmen.
Sabine Teng von #ZeroCovid schrieb mir auf Anfrage: "Theoretisch sind Neuinfektionen also nach drei, vier Wochen weg, wenn sich alle daran halten würden." So einfach ist die Welt. Drei, vier Wochen Leiden und das volle Leben ist uns wieder gewiss.
Diese magische Null wird mit einer Analyse verknüpft, die auf den ersten Blick durchaus antikapitalistisch klingt. Die bisherigen Lockdowns seien deswegen halbherzig, weil auf die Interessen der Wirtschaft zu sehr Rücksicht genommen worden sei. Für den Profit würde man unsere Gesundheit opfern und tausende Tote in Kauf nehmen.
"Die herrschende Pandemiepolitik zielt nicht darauf ab die Infektionsdynamik einzudämmen, sondern - stets die Kapitalinteressen im Blick - diese gerade so runterzudrücken, dass das Gesundheitssystem nicht komplett zusammenbricht, woraufhin die Regierungen einen massiven Vertrauensverlust erleiden würden", behaupten Verena Kreilinger & Christian Zeller.
Diese Botschaft lässt sich auch so dechiffrieren: Da die herrschende Klasse unwillig ist, den Lockdown radikal durchzuführen, muss die ArbeiterInnenklasse ran. Angesichts des trotzkistischen Hintergrundes mancher InitiatorInnen könnte man auch sagen: Lockdown unter ArbeiterInnenkontrolle. Daher erklärt sich auch der befremdliche Appell an die Gewerkschaften: "Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren."
Massiver Umbau des kapitalistischen Marktes
Dieses Ausgangsszenario ist falsch und zeugt von Realitätsverweigerung. Selbstverständlich schaden die diversen Lockdown-Maßnahmen der kapitalistischen Ökonomie massiv. Ganze Branchen sind von Konkursen bedroht, die wirtschaftlichen Kennzahlen weisen nach unten und ob viele kleine und kleinste Unternehmungen überleben können, steht in den Sternen.
Der österreichische Jurist und ehemalige Nationalratsabgeordnete Alfred J. Noll hat die Problematik des Staats hinsichtlich der kapitalistischen Ökonomie präzise auf den Punkt gebracht: "Der Covid-19-Staat ist der Würgeengel der kapitalistischen Produktionsweise, indem er Produktion und Konsumation über weite Strecken verhindert - er macht also exakt das Gegenteil von dem, wozu er geschaffen wurde." (Noll, 93)
Der Sozialwissenschaftler Alex Demirović widmet diesem Thema einen eigenen Abschnitt in seiner #ZeroCovid-Kritik mit dem Zwischentitel "Die Kapitalinteressen sind vielschichtiger, als der Aufruf behauptet!". Dort heißt es unter anderem: "Für den Profit kann es sinnvoll sein, die Betriebe zu schließen: Der Markt wird bereinigt, angesichts geringer Nachfrage lassen sich Kosten vermeiden, staatliche Unterstützung kassieren und die Lohnabhängigen, mit Kurzarbeitsgeld an die Unternehmen gebunden, gleichzeitig gesundheitlich schützen, um sie dann, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, sofort in die Produktion zurückzuholen."
Der Markt wird tatsächlich bereinigt. Krise bedeutet immer Schwäche; wirtschaftlich, aber auch auf ideologischem und kulturellem Gebiet. Für das Avantgardekapital eröffnet sich die Chance, die "kreative Zerstörung" – so ein Begriff von Joseph Schumpeter – weiter voran zu treiben. Was kreative Zerstörung meint, lässt sich leicht an zwei Beispielen demonstrieren.
Das Transport- und Dienstleistungsunternehmen Uber zerstört das alte, traditionelle Taxigewerbe und an seine Stelle treten die neuen Scheinselbständigen, die völlig abhängig vom großen Konzern agieren müssen. Ebenso hat das Online-Portal AirBnB so gut wie das gesamte kleine Beherbergungsgewerbe umgewälzt.
Von einem differenzierten Blick auf die Dynamik der kapitalistischen Ökonomie angesichts der Covid-19-Maßnahmen ist aber keine Spur. Die Möglichkeiten für das Avantgardekapital, die sozialtechnischen Umwälzungen weiter voranzutreiben, werden nicht erkannt und nicht verstanden.
Diese holzschnittartige Fehlanalyse begründet das illusionäre Ziel von null Ansteckungen. Die geforderten Maßnahmen, die zum Ziel von #ZeroCovid führen sollen, sind vage und ungeklärt. Was bedeutet die Stilllegung der "nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft" tatsächlich?
Ich habe am 18. Januar den Initiatoren via E-Mail mehrere Fragen gestellt, unter anderem auch folgende: "Was bedeutet das konkret? Werden Lebensmittelgeschäfte geschlossen, die Lebensmittelproduktion stillgelegt? Werden die Post, die Zustelldienste, die Müllabfuhr, die öffentlichen Verkehrsmittel, die Taxis, stillgelegt?" Eine Antwort kam prompt, ohne auf meine Fragen nur im geringsten einzugehen. Was also die Stilllegung tatsächlich bedeutet, welches Ausmaß sie annehmen muss, bleibt der Phantasie jeder einzelnen überlassen. So manche UnterstützerIn dieser Initiative rudern daher kräftig zurück. Statt null Infektionen schrieb etwa Klaus-Dieter Kolenda in Telepolis von einer "massive[n] Absenkung der Infektionszahlen" (Ist eine "Null-Covid-Strategie" sinnvoll, aber nicht durchführbar?).
Dass dies möglich ist, wird niemand bestreiten, vor allem wenn wir die massive Zerstörung des sozialen Lebens inklusive psychischer und physischer Leiden als weitere Kollateralschäden akzeptieren. Aber damit sind wir bei einer ganz anderen Diskussion.
Ein häufiger Fehler der Linken ist es, gutklingende Phrasen zu dreschen. Diese Unsitte feiert im Aufruf fröhliche Urständ. "Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat", heißt es da vollmundig. Was aber bedeutet das konkret? Nichts. "Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen", wird im Aufruf verkündet.
Ich fragte die Initiatoren: "Demokratie ist ein komplexer Begriff. Ist folgende vorläufige Definition ok? Die Menschen entscheiden per Abstimmung vor Ort. Was ist nun, wenn Belegschaften, BetreiberInnen von Kindergärten und Schulen usw. sich in demokratischen Prozessen gegen den radikalen Shutdown aussprechen, wenn sie dagegen stimmen?"
Ich bekam auch auf diese Frage keine Antwort. Offenbar wird unterstellt: Wenn sich die Beschäftigten im Sinne des Aufrufs entscheiden, dann ist dies offensichtlich Demokratie, wenn nicht, ist es eben keine.
Völlige Fehleinschätzung der Stimmung
Dem Vertrauen, gerade jetzt würden die Massen sich mit Begeisterung dem totalen Shutdown anschließen, ja ihn mit Nachdruck fordern, liegt eine weitere naive, blauäugige Unterstellung zugrunde. #ZeroCovid kann nur der Staat mit repressiven Mitteln durchsetzen, keine Betriebsversammlung und kein BürgerInnenkomitee kann dies.
Im Grunde wird dies auch eingestanden. "#ZeroCovid nimmt den Staat in die Pflicht, das Wohl des Menschen vor das Wohl der Wirtschaft zu stellen - und den Staat in den Dienst der Menschen, nicht der Wirtschaft. Das ist am Ende linke Politik", formuliert der Erstunterzeichner Malte Göbel. Wenn der letzte Funken realpolitischen Verstandes nicht erloschen ist, dann ist klar, dann muss klar sein: #ZeroCovid könnte nur mit einem gnadenlosen Polizeistaat durchgesetzt werden.
Diese Kritik konnten die ProtagonistInnen des Aufrufs schlichtweg nicht mehr ignorieren. Also darf auf ihrer Homepage auch darüber diskutiert werden und es heißt ein wenig kleinlaut: "Um unterschiedliche Positionen aus dem Kontext der Kampagne abzubilden, ohne künstlich über Unterschiede in unseren Auffassungen hinwegzugehen, haben wir deshalb im Folgenden einige Thesen und Statements gesammelt." Befremdliche Naivität verknüpft sich mit Affirmation eines autoritären staatlichen Durchgreifens.
Ebenso wie der Begriff der Demokratie wird der Begriff der Solidarität jeden Inhaltes beraubt und ins Gegenteil verkehrt. Solidarität setzt im Kern verschiedene Betroffenheit voraus. Solidarität ist kein Ausdruck des eigenen, unmittelbaren Interesses. Seine eigenen hoch individuellen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, hat mit Solidarität nichts zu tun. Man ist solidarisch mit Menschen und ihren Bedürfnissen und Kämpfen, obwohl sie nicht unmittelbar die eigenen sind.
Wir sind solidarisch mit Black-Lives-Matter, obwohl wir keine Schwarzen und nicht von rassistischen Cops in den USA bedroht sind. Wir sind auch als Männer solidarisch mit dem Kampf polnischer Frauen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, obwohl wir nicht schwanger werden können. Wir sind solidarisch mit den Streiks der Näherinnen in Bangladesch, obwohl ihre und unsere Lebenswirklichkeiten völlig verschieden sind.
Solidarität ist von der Einsicht getragen, dass es einen gemeinsamen Gegner gibt, auch wenn man aktuell von ihm nicht attackiert oder bedroht wird. Solidarität ist Ausdruck eines Verständnisses für die Mechanismen sozialer und politischer Herrschaft und der Einsicht in die Notwendigkeit, einer übergreifenden Widerstandsfront.
Jene Solidarität, die #ZeroCovid einfordert, ist schlichtweg dem Bedürfnis entsprungen, sich und seinesgleichen nicht infizieren zu lassen. Diese Art der Solidarität besitzt keine "über die blanke Überlebensangst hinausgehende Basis. (…) Eine Solidarität auf dem Standpunkt des Klasseninteresses (…) unterscheidet sich fundamental von der ‚neuen Solidarität‘ der pandemischen Gemeinschaft. (…) Die ‚neue Solidarität‘ ist im Sinne einer Verelendungstheorie von der Hoffnung geleitet, existentielle Not, Furcht und Elend wären in der Lage, politisch zu mobilisieren." (Obermayr 2020; 509ff)
Praktisch bedeutet die von #ZeroCovid geforderte Solidarität gerade nicht, sich als gesellschaftlich handelndes Subjekt zu konstituieren. Die Appellationsinstanz ist der Staat, der als verkörperte Vernunft endlich zum guten Herrscher wird. Und das soll, wie Göbel schreibt, "am Ende linke Politik" sein?
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