Ziele verfehlt, Sechs, setzen: Vernichtendes Urteil über deutsche Klimapolitik

Bild: Marco Verch / CC BY 2.0 DE

Energie und Klima – kompakt: Der Expertenrat hat seine Stellungnahme zum Klimaschutz der Regierung vorgelegt. Die Zielverfehlungen sind tatsächlich noch gravierender, als allgemein berichtet. Hier sind die Gründe dafür.

Der auf der Grundlage des Klimaschutzgesetzes eingerichtete Expertenrat für Klimafragen, der regelmäßig die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung beurteilen soll, hat am gestrigen Dienstag eine Stellungnahmezum aktuellen Klimaschutzprogramm der Ampel-Koalition vorgelegt. Das Urteil ist, wie zu erwarten, einmal mehr vernichtend, auch wenn man sich um einen positiven Ton bemüht.

Schon im April hatte der Rat festgestellt, dass die deutschen Treibhausgasemissionen 2022 bei immer noch 746,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente lagen. (Gase wie Methan, Distickstoffoxid und andere werden entsprechend ihrer Wirksamkeit und Lebensdauer in der Atmosphäre umgerechnet.)

Für die Sektoren Verkehr und Gebäude waren die im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Zielwerte nicht erreicht worden, weshalb die zuständigen Ministerien eigentlich binnen drei Monaten ein Sofortprogramm hätten vorlegen müssen. So sieht es das noch geltende Klimagesetz vor, doch die Ministerien blieben untätig, und Kanzler Olaf Scholz (SPD) verzichtete darauf, seine Richtlinienkompetenz einzusetzen.

Stattdessen liegt nun ein neues, Ressort übergreifendes Klimaschutzprogramm vor. Immerhin gibt es dafür vom Expertenrat Unterstützung. Er sieht die im Paket enthaltenen Maßnahmen für die beiden Sektoren als Ersatz für das gesetzlich vorgeschriebene Sofortprogramm an.

Allerdings befindet er in einem gesonderten Prüfbericht, sowohl die für den Gebäudesektor als auch die für den Verkehrssektor vorgesehenen – hier kommen die Emissionen ganz überwiegend aus dem Straßenverkehr – für nicht ausreichend an, um die im Klimaschutzgesetz fixierten Ziele einzuhalten.

Dabei sind diese, wie hier auf Telepolis mehrfach vorgerechnet, noch nicht einmal ausreichend, um die mit der Pariser Klimaschutzvereinbarung eingegangenen internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Insgesamt geht der Expertenrat daher davon aus, dass auch mit dem neuen Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, die laut Klimaschutzgesetz bis 2030 zu erreichenden Ziele und die konkreten Minderungs-Schritte dorthin nicht erreicht werden.

Bis 2030 würde sich aufsummiert eine Lücke von 200 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten ansammeln. Das heißt, in Deutschland würden in den nächsten sieben Jahren 200 Millionen Tonnen CO2 – und andere Gase, aber hierzulande ist CO2 das mit großem Abstand wichtigste Gas – mehr emittiert, als im Klimaschutzgesetz vorgesehen.

Einen zusätzlichen Hinweis darauf, wie wenig ernst die Bundesregierung den Klimaschutz nimmt, liefert die Kritik des Expertenrats an den zur Verfügung gestellten Daten. Die Bundesregierung habe dem Rat keine konsistente Datengrundlage für die Bewertung der Maßnahmen geliefert. Methodische Defizite bestünden vor allem bei der Beschreibung der Maßnahmen, Informationen über die Modellrechnungen, mit denen deren mögliche Wirkung abgeschätzt wurde, und bei der Beschreibung der Unsicherheiten der Abschätzungen.

Kritik von allen Seiten

Entsprechend hagelte es nach der Veröffentlichung des Expertenrats Kritik an der Bundesregierung: Die Deutsche Umwelthilfe meint, das Klimaschutzprogramm sei das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik und fordert die Bundesregierung auf, das Programm sofort massiv nachzubessern. Ähnlich sieht es der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der wirksamere und mehr Maßnahmen verlangt, da "dieses Klimaschutzprogramm nicht einmal den Anforderungen des Klimaschutzgesetzes" entspricht.

Klimaschutz werde nur "gelingen, wenn Deutschland durch Klimaschutz auch sozial gerechter wird", meint BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock. Und weiter: "Noch mangelt es aber an Maßnahmen für einen sozial gerechten Umbau. Die breite Zustimmung in der Bevölkerung wird daran hängen, ob Klimaschutz gleichzeitig auch gute Lebensbedingungen erhält."

Brook hebt vor allem auf Energieeffizienz und Gebäudesanierung ab, mit der der Energiebedarf und damit die Kosten für viele Menschen gesenkt werden könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass den Vermietern nicht mehr gestattet wird, die Sanierung für Mieterhöhungen zu nutzen. In manchen Städten sind die Gebäudesanierungen bisher bei den Mietern gefürchtet, weil oft mit ihnen die Mieten in die Höhe getrieben und Geringverdiener verdrängt werden.

Kritik kommt schließlich auch vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der ebenfalls die Versäumnisse in den Gebäude- und Verkehrssektoren betont. Die "geplante Aufweichung der Sektorenziele" werde abgelehnt. "Wir sehen mit Sorge, dass Ziele faktisch auf andere Sektoren übertragen werden können und dadurch zudem Ambitionen in einzelnen Sektoren nachlassen", kommentiert die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung Kerstin Andreae.

Für den Verkehrssektor schwebt dem BDEW vor allem das Elektroauto vor. 15 Millionen davon möchte der Verband bis 2030 auf die Straße bringen. Dafür brauche es ein "starkes Angebot an Lademöglichkeiten" und finanzielle Anreize für den Kauf von E-Autos.

Man könnte natürlich auch ÖPNV und Bahn ausbauen, vielleicht die Zuverlässigkeits- und Sauberkeitsstandards der 1970er-Jahre wieder einführen und die vielen stillgelegten Bahnstrecken wieder reaktivieren. Aber damit lässt sich vermutlich nicht so gut Geld verdienen wie mit Elektroautos und Ladesäulen.