Zu Pfingsten: Exegese in Christentum und Islam
Dürfen die Texte, auf die sich Christentum und Islam berufen, in der aktuellen Sprache ausgelegt werden oder sind sie unverrückbar heilig?
Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, nachzuweisen, ob es ein höheres Wesen gibt oder nicht, sondern in erster Linie darum, ob man die Texte der Heiligen Schriften im aktuellen Zusammenhang von Wissenschaft und Kultur auslegen kann und darf oder ob die Gläubigen an das schriftlich überlieferte Wort gebunden sind, auch wenn ihnen der entsprechende Wortschatz inzwischen völlig fremd geworden ist.
Im Christentum muss man auch die Tatsache berücksichtigen, dass das sogenannte Neue Testament nicht in der Sprache verfasst wurde, die zu Zeit Jesu gesprochen wurde, sondern in der damaligen Weltsprache (Bibel-)Griechisch und damit wurde auch natürlich auch griechisches Gedankengut in die Texte aufgenommen. Dazu kam dann im Laufe der Zeit, dass die Schrift mehrmals in eine andere Sprache übersetzt wurde, was durchaus zumindest zu Ungenauigkeiten führen konnte.
So kamen im Zusammenhang mit der Übersetzung in die lateinische Sprache dann weitere Änderungen zum Tragen. So wurde aus dem ″geweihten Atem″, der in der Schöpfungsgeschichte den lebenden Menschen vom toten unterscheidet, in der lateinischen Sprache der ″spritus sanctus″ im Deutschen wird daraus der ″Heilige Geist″. Ebenfalls im Umfeld der Schöpfungsgeschichte wurde aus dem lateinischen ″malus″, dem Bösen, der Apfelbaum, denn im Lateinischen kann ″malus″ beide Bedeutungen haben.
Die Kanonisierung der biblischen Schriften
Dass die heutige Bibel ihren Autoren von Gott selbst diktiert wurde, ist heute zumeist keine Annahme mehr, die auf größeren Zuspruch stößt. Zumeist wurden die Texte der heutigen Bibel erst mal mündlich weitergegeben, bevor sie dann schriftlich fixiert wurden. Und dabei gab es aufgrund abweichender Erzähltraditionen auch mehrere unterschiedliche Aufzeichnungen, weil den einzelnen Elementen unterschiedliche Bedeutung beigemessen wurde.
Der heute bestehende biblische Kanon geht auf eine historische Entwicklung zurück, die sich in mehreren Etappen vollzogen hat. Nicht alle zur Zeit der Kanonisierung im 4. Jahrhundert vorliegenden Schriften wurden in die Bibel aufgenommen. Die damals verworfenen Texte nennt man Apokryphe Schriften. Dazu zählt beispielsweise das Thomasevangelium. Die bei der Auswahl gültigen Kriterien sind nicht durchgängig dokumentiert. Dabei ist die Auswahl der biblischen Schriften für die nachfolgende Auslegung keinesfalls irrelevant.
Die heute in der Exegese zumeist angewandte historisch-kritische Methode versucht aus der Entstehungsgeschichte und dem geschichtlichen Umfeld der Bibeltexte zu erschließen, was die Autoren sagen wollten. Dies stößt zuweilen auf Kritik. Da wird dann angemerkt, dass auf diesem Weg das, was Gott durch die Autoren mitteilen wollte, in den Hintergrund geraten könnte.
Die durchaus heterogene Entstehungsgeschichte der Bibel zeigt sich in zahlreichen Inkonsistenzen. So fällt beispielsweise das Jesus-Wort in Matthäus 10,34-35 "Ich bin nicht gekommen um Frieden zu bringen, sondern das Schwert" durchaus aus der vielfach als friedliebend bezeichneten Grundlinie der Bibel. Während derartige Widersprüche in anderen Kulturkreisen keine Besonderheit darstellen, hat der europäische Bibelleser da durchaus Verständnisprobleme und erwartet zumeist von den Fachleuten eine Auflösung, die in unsere Zeit passt.
Noch gravierender sind die Gesetzeselemente im 5. Buch Mose, wo beispielsweise den Eltern unbotmäßiger Kinder empfohlen wird, diese vor dem Stadttor zu steinigen. Eine Lösung, die im sogenannten christlichen Abendland heute nicht nur nicht mehr konsensfähig sein dürfte, sondern eindeutig gegen bestehende Gesetze verstößt. Da zeigt sich eindeutig, dass es durchaus Sinn macht, die überlieferten Texte im aktuellen Kontext zu betrachten, wozu die Exegese durchaus hilfreich sein kann.
Auch wenn die westeuropäische Gesellschaft sich inzwischen vielfach vom unmittelbaren Bibelglauben abgelöst hat und deutlich säkularer geworden ist, lassen sich auch noch zahlreiche Elemente finden, welche auf die heilige Schrift der Christen zurückgeführt werden.
So orientiert sich in vielen Ländern die Zeitrechnung vorgeblich an der Geburt Christi und der landläufigen Annahme, dass die Geburt auf das Jahr Null falle. Diese Zeitenwende wurde jedoch erst deutlich nach der Geschichte Jesu etabliert. Die Null gab es im damals gebräuchlichen römischen Zahlensystem gar nicht. Sie ist deutlich jünger und fand im westlichen Europa erst im 13. Jahrhundert Anwendung.
Neben der Säkularisierung gibt es jedoch auch die Entwicklung, die in der immer komplexer erscheinender Welt eine Lösung in der Hinwendung zu den Worten der Heiligen Schrift sucht und dabei sich darum bemüht, die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung so auszulegen, dass sie zum Wortlaut der Bibel passen. In so mancher freikirchlichen Schule sollen die Eltern vor der Einschulung ihrer Sprösslinge dann unterschreiben, dass die Erde in sechs Tagen erschaffen wurde und die Aussagen Darwins nur eine Theorie darstellten. Dass es in diesem Weltbild dann mit der zeitlichen Einordnung der Dinosaurier durchaus zu Schwierigkeiten kommen könnte, stellt in diesem Zusammenhang meist kein Problem dar.
Die Exegese im Islam
Ähnlich wie im Falle der christlichen Bibel wurde auch der Koran basierend auf mündlicher Tradition erst (150 bis 200 Jahre) nach Mohammeds Tod niedergeschrieben. Auch wenn es heute vielfach übersehen wird, verfügen wissenschaftlich-exegetische Methoden im Islam über eine lange Tradition. So ist das Wissen um den Grund und die Situation der Entstehung einzelner Verse unerlässlich, um deren Bedeutung so vollständig wie möglich erfassen zu können. Daher wurden schon in frühester Zeit intensive Forschungen betrieben, die bei der Einordnung der Texte helfen konnten.
Im Gegensatz zur christlich katholischen Entwicklung kam es im Islam jedoch nicht zu einer von oben organisierten Regulierung, was nun in der Praxis zu zahlreichen durchaus unterschiedlichen Lehrmeinungen führt. Schon in frühesten Zeiten wurde thematisiert, dass sich die Gläubigen mit den überlieferten Texten beschäftigen sollen - und zwar nicht im Sinne blinder Befolgung und Nachahmung, sondern unter Nutzung ihres Verstandes. Das kann durchaus als kritisch, im Sinne von reflektierend verstanden werden.
Die Beschäftigung mit den überlieferten religiösen Texten und die Freiheit der Anpassung ihrer Aussagen an die heutige Lebenswirklichkeit, ist in den beiden großen Weltreligionen heute durchaus ein vergleichbares Thema, auch wenn sich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hier unterscheidet. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich die Bedeutung der Religionen und die Verpflichtung zur Berücksichtigung der jeweils formulierten Gesetze im Spiel einer säkularen Welt je nach Bevölkerungsgruppe und Religionsgemeinschaft durchaus unterscheidet.
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