Zur Bruttokinetik des SARS-CoV-2 Infektionsgeschehens, oder: Weshalb nicht jeder R-Wert eine Reproduktionszahl ℛ ist
- Zur Bruttokinetik des SARS-CoV-2 Infektionsgeschehens, oder: Weshalb nicht jeder R-Wert eine Reproduktionszahl ℛ ist
- Ein Blick auf die SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland
- Über Modelle, Albert Einstein, Wilhelm Busch und Jens Spahn
- Anhang
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Eine Analyse des Verlaufs der SARS-CoV-2-Infektionsrate P - Teil 3
Es war die öffentliche, bar jeder Sachkenntnis geführte Kommunikation über den "Anstieg der Kurve", die mich antrieb. Man sollte diesen Anstieg doch quantitativ fassen können!
Dass der zeitliche Verlauf der (kumulativen) Kurve der Infektionszahl eine Information zur Kinetik, zur Geschwindigkeit der Infektionsausbreitung enthielt, war offensichtlich, denn ihr Anstieg wird durch eine kinetische Größe bestimmt, die auch die Physikerin Angela Merkel favorisiert: Die Zahl der Neuinfektionen pro Einwohner und Zeiteinheit (um möglichst von breiten Kreisen der Bevölkerung besser verstanden zu werden, nennen manche den Wert für ein Zeitmaß von 7 Tagen auch die 7-Tage-Inzidenz).
Deren Zeitverlauf gibt Auskunft über die Geschwindigkeit des Infektionsverlaufs und diese findet ihre Entsprechung im "Anstieg der Kurve". Solch' Überlegung war sonst nicht auffindbar oder wurde von mir übersehen.
Bitte erwarten sie jetzt keinen epidemiologischen Fachartikel. Ich verstehe von dem Fach noch immer nichts und habe deswegen auch noch immer kein Modell weder ein epidemiologisches noch ein mathematisches, denn ich bin auch kein Mathematiker. Ich beschränke mich auf eine formale, elementarmathematische Analyse.
Vielleicht können Sie das Folgende sportlich nehmen. Denn ich treibe nur ein wenig Denksport. Da ich im Hoch- und Weitsprung nie wirklich gut war, meide ich die Arena, in der Profis ihren Wettkampf austragen; ich bin dort auch gar nicht zugelassen. Also treibe ich nur ein wenig Gymnastik, ich denke, dies ist das rechte Wort, selbst wenn ihnen diese hin und wieder ungelenk vorkäme, nur ein wenig Gymnastik mit Zahlen und Buchstaben.
Häufigkeitsverteilung und Bruttokinetik
Die Häufigkeitsverteilungsdichte der Neuinfektionen charakterisiert die Bruttokinetik des Infektionsgeschehens (Der Divisor des Quotienten, den die Bundeskanzlerin bevorzugt, ist eine Konstante: Die Zeit, hier 1 Tag, ist konstant und auch die Einwohnerzahl, ist verglichen mit der Infektionszahl so groß, dass auch diese als konstant angesehen werden kann. Aus Bequemlichkeit und um mit eingängigen Zahlen zu hantieren, vernachlässige ich diese Konstante).
Der erste Satz des Abschnitts ist jedem Fachwissenschaftler - so muss ich annehmen - geläufig und so trivial, dass man darüber kein Wort verliert. Mich interessierte, wie sich diese Kinetik im Anstieg der kumulativen Infektionszahlentwicklung quantitativ bemerkbar macht. Vielleicht ist meine mathematische Analyse zum Anstieg der Kurve, oder eine vergleichbare, schon in einem hundert Jahre alten, ehemaligen Standardwerk für Epidemiologen beschrieben, das heute, in Zeiten des Digitalismus, niemand mehr liest. Ich stelle mir jedenfalls nicht vor, dass hier ein Fachfremder, nur weil er Ohren- und Kopfschmerzen wegen des Diskurses über "den Anstieg der Kurve" bekam, etwas Offensichtliches offenlegt.
Nach einigem Suchen fand ich wenigstens zwei Fachartikel, in denen die Bruttokinetik eine Rolle spielt: einen mit einer "experimentellen" Ausrichtung, wie die meine, und einen zu einer anspruchsvollen Theorie. Mit Sicherheit gibt es viele andere Publikationen zur Bruttokinetik des Infektionsverlaufs, die ich nicht fand, so hoffe ich. Apropos Theorie: Diese Autoren sind auf der Suche nach so etwas wie einer Weltformel der Epidemiologie.
Die Infektionsrate P (P-Wert)
Im Teil 1 meiner Arbeit hatte ich die Analyse zur Bestimmung einer Infektionsrate P zunächst grafische erläutert und die rechnerische Ermittlung im Teil 2 mit "verbesserter Datenbasis" im Detail beschrieben. Folgendes will ich ergänzen, was ich zuletzt, wohl wegen der Ablenkung durch einen Buchstaben "R", übersehen hatte:
Für die formale mathematische Analyse des punktweisen gegebenen Verlaufs der Infektionszahl Y über der Zeit x, wird der Kurvenverlauf in kleine, nicht überlappende Zeitabschnitte unterteilt.
Für jeden Zeitabschnitt x1 bis x2 (ich verwende nunmehr durchgehend 3 Tage) werden die Parameter der Gleichungen (1) Y(x) = A xP und (2) Y(x) = C exp (Q x), also die Werte A, P, C und Q, des besten Kurvenfits (Bestimmtheitsmaß R2 ≥ 0,99) ermittelt. Im Teil 2 hatte ich zusätzlich eine Geradengleichung (3) Y(x) = k + F x herangezogen, wobei sich der Parameter F als Zahl der Neuinfektionen entpuppte.
Da die Gleichungen (1) und (2) gleichermaßen befriedigend zur näherungsweisen Beschreibung von Y(x) in den Intervallen x1 bis x2 geeignet sind, muss innerhalb jedes Zeitintervalls P ≈ Q x gelten. Ich erkläre dies für ein Intervall, in dem P = 1 wird: In diesem Intervall muss auch Q x = 1 werden, allerdings nicht am gleichen Tage, nicht in der gleichen Nacht, nicht zur selben Stunde, nicht zur selben Minute. In diesem Zeitintervall muss der Parameter k in Gleichung (3) zu Null werden, was folgerichtig zutraf.
Ergänzend, zu den im Teil 2 angegebenen Merkmalen des P-Wertes, kann ich nun zusammenfassend auch definieren:
Der P-Wert ist der Exponent für den zeitlichen Anstieg der Infektionszahl Y(x). Der zeitliche Verlauf des P-Wertes charakterisiert die Bruttokinetik des Infektionsgeschehens auf andere Weise als die Häufigkeitsverteilung.
Dier Anstieg von Y(x) wird - um es noch einmal zu sagen - von der kinetischen Größe "Anzahl an Neuinfektionen pro Einwohner und Zeiteinheit" bestimmt. Quantifiziert wird dieser Anstieg durch den P-Wert, der deswegen auch als eine Infektionsrate definiert werden kann (im physikalischen Sinn, ist der P-Wert keine Geschwindigkeit; als Exponent ist er per se dimensionslos).
Bedeutung verschiedener P-Werte
Falls sie das nicht so sehr interessiert (ich kann das nachvollziehen), dann scrollen sie doch zur nächsten Überschrift.
Der Anstieg der Infektionszahl wird durch Werte von P ≈ Q x ≥ 0 beschrieben. Für P-Werte größer Eins nimmt die Anzahl an Neuinfektionen mit der Zeit zu und für P < 1 nimmt die Anzahl der Neuinfektionen mit der Zeit ab.1
Einer gewissen Vollständigkeit halber und um Fehlinterpretationen entgegen zu wirken, möchte ich folgende Angaben machen:
Wenn für einen gewissen Zeitraum P = konstant > 1 gelten sollte, dann steigt die Anzahl an Neuinfektionen mit der Zeit potentiell an.
Wenn für einen gewissen Zeitraum P = konstant < 1 gelten sollte, dann nimmt die Anzahl an Neuinfektionen mit der Zeit potentiell ab.
Die Umstände unter denen die Potenzfunktionen befriedigend durch Geraden angenähert werden können, sollen hier nicht beleuchtet werden.
Für Zeitabschnitte im Verlauf der Infektionszahlentwicklung, die mit der Geradengleichung (3) Y(x) = k + F x zu beschreiben sind, ist P nur für k = 0 identisch konstant Eins. Für k ≠ 0 ist P ungleich Eins und eher selten konstant.
Im epidemischen Verlauf gibt es den ausgezeichneten Punkt P = 1, der die folgenden Merkmale besitzt: Der Punkt P = 1 tritt im Verlaufe einer Epidemie mit Notwendigkeit auf, wenn die Zahl an Neuinfektionen abnimmt.
Der Punkt P = 1 tritt im Verlaufe einer Epidemie genau einmal auf, es sei denn, es käme zu einer sogenannten "zweiten Welle", wie immer diese geartet sei. Im Punkte P = 1 ist der Anstieg der Tangente an die Kurve der zeitlichen Infektionszahlentwicklung mit k = 0 linear.
Es ist nur theoretisch möglich, dass sich ein mehrere Tage andauernder Zeitabschnitt mit P = 1 einstellt. Wenn ich dies einmal aus didaktischen Gründen annehme (es benötigt ein gewisses Maß an Abstraktion, um für einen Punkt auszusagen, die Zahl der Neuinfektionen sei konstant), dann wird für einen solcher Abschnitt der Anstieg durch Linearität gemäß der Gleichung Y(x) = A x = F x, also durch direkte Proportionalität von Infektionszahl und Zeit beschrieben.
Die Linearität ist verursacht durch eine konstante Anzahl an Neuinfektionen, beschreibt also eine Situation, in der ein Infizierter nur eine weitere Person ansteckt. Dies entspricht der Definition einer Reproduktionszahl ℛ = 1, so dass gelten sollte: P = 1 = ℛ! Mir scheint diese Folgerung logisch. Aber was bedeutet das schon, wen interessiert, ob mir etwas logisch erscheint? Ich werde diese Folgerung weiter unten als Hypothese formulieren.
Auch für die sogenannten R-Werte, verstörender Weise synonym mit dem Begriff der Reproduktionszahl ℛ gebraucht, sollte R = 1 für den Tag berechnet werden, an dem P = 1 = ℛ erreicht ist, vorausgesetzt der Berechnungsformalismus erfüllt die Anforderung R ≅ ℛ.
Mehr über die Reproduktionszahl ℛ und R-Werte finden sie im Anhang [3].
Für P = 0 ändert sich die Infektionszahl nicht; es finden keine Neuinfektionen mehr statt; wenn dies andauert, ist die Epidemie überstanden.
Mein Thema ist Charakterisierung der Bruttokinetik durch die Infektionsrate P, und ich möchte ihnen die Auswertung der Infektionszahlentwicklung für den pandemischen Verlauf in der Welt, in der VR China, in den Vereinigten Staaten von Amerika und (neu ausgewertet und ergänzt) für Deutschland vorstellen. Dazu sind, wegen der Nachvollziehbarkeit, noch einige Angaben notwendig, die im Anhang [1] und [2] zu diesem Artikel aufgeführt werden.
Da es ihr gutes Recht ist, andere Quellen und Zahlen zu verwenden, als ich [2.1], lassen sie mich anmerken, dass dadurch der prinzipielle Verlauf der Ergebnisse qualitativ erhalten bleibt. Es geht mir hier nicht darum, ihnen exklusiv Zahlen zu Infektionen mitzuteilen, es geht mir um die Methodik ihrer Handhabung und die Ergebnisse.
Beispiele für die zeitliche Entwicklung des P-Wertes
In den folgenden Bildern habe ich für sie jeweils die Entwicklung der Infektionszahlen, den zugehörigen P-Wert-Verlauf und in den Bildern 1 und 3 zum Vergleich den Verlauf von nach amtlicher Vorschrift berechneten sogenannten R-Werten (R/7 bzw. R/4) dargestellt, zum einen, weil dies auch kinetische Parameter (Quotienten von Zahlen für Neuinfektionen) sind, zum anderen, um etwas für sie Gewohntes mitzuführen, damit sie sich ein wenig heimisch fühlen können. Die R-Wert Verläufe werde ich vor Ort nicht kommentieren; ich werde darauf gegen Ende und im Anhang [3] und [4] zurückkommen.
Mit Blick auf Bild 1 wird deutlich, dass "Flatten the curve" für die Welt ein noch ungelöstes Problem ist.
Nach einem Abfall der Infektionsrate von Ende März bis Ende April (zeitweiser Rückgang der Infektionszahlen in den USA und geringere Zahlen für Europa) verläuft sie auf hohem Niveau mit einem Exponenten P ≈ 3. Im weltweiten Kontext sind wir mitten in der Pandemie und ein Abflachen der Kurve ist Anfang August 20 nicht abzusehen. Der Verlauf "P-Wert Welt" ist derzeit noch wesentlich vom Verlauf für die USA geprägt.
Bild 1 belegt auch, dass die berechneten P-Werte mit dem Verlauf des geglätteten Exponenten (Q x) praktisch identisch sind, was meine Annahme P ≈ Q x bestätigt.
Bild 2 zeigt einen Vergleich für die Entwicklungen der Infektionsrate in verschiedenen Weltregionen.
In China wurde etwa 70 Tage nach Ausbruch der SARS-CoV-2 Epidemie der Zustand erreicht, der durch P = 1 charakterisiert ist. Der vergleichsweise rasche Abfall der Infektionsrate war Folge "konsequenter Maßnahmen" zur Unterbindung von Infektionen, Maßnahmen, die damals von der westlichen Welt kritisiert wurden und im freien Teil der Welt undenkbar schienen.
Die Infektionsrate fiel dann bis unter 0,1. Die Werte streuen bei geringen Zahlen für Neuinfektionen stärker; Mitte bis Ende Mai gab es in China nur vereinzelte neue, z.T. importierte Fälle. Mitte Juli stieg der P-Wert kurzzeitig wieder auf > 0,1. Ich habe die Zahlen nicht weiter verfolgt.
Völlig anders verläuft die Entwicklung des SARS-CoV-2 Infektionsgeschehens in den Vereinigte Staaten von Amerika. Welch geschundenes Land. Der Ruf "America first" bekommt hier noch einen anderen bitteren Beigeschmack.
Nachdem der Exponent für den zeitlichen Anstieg der Infektionszahl Mitte Mai zumindest den Wert von 2 schon einmal unterschritten hatte, stieg er seit Ende Juni wieder an und bewegt sich jetzt zwischen 2 und 3. Die Entwicklung seit Anfang August scheint noch keine Wende zum Besseren zu sein, ich hätte dies den Menschen gewünscht.
Die Entwicklung der US-Epidemie ist auch Folge verfehlter Politik. Zu solcher kann es kommen, wenn Apologeten der Dummheit in politische Ämter gewählt werden. Einer der einflussreichsten Apologeten der Dummheit wohnt, so sagt man, in einem unterkellerten weißen Haus. Wie trügerisch doch eine Farbe sein kann.
Aber es gibt sie nicht nur jenseits des großen Teiches. Aus mir unverständlichen Gründen nennt man sie im deutschsprachigem Raum VT, und was sie verbreiten seien "Verschwörungstheorien". Bisher dachte ich, der Terminus Theorie sei ein Begriff aus der Wissenschaft. Derzeit wird bei uns wieder einmal verstärkt über Bürgerrechte gesprochen.
Soweit ich weiß, steht es nicht geschrieben, aber es gibt wohl auch das Recht auf Dummheit und deren öffentliche zur Schaustellung. Ich nehme mir das Recht, Dummheit auch Dummheit zu nennen; und: Dummheit kann gefährlich werden. Gibt es für die Menschheit noch Hoffnung auf Erfolg von Vernunft? Braucht es mehr Satiriker, die von jeglicher Bühne herab Klartext reden?