Zur Sicherheit der fünf zugelassenen Covid-19-Impfstoffe

Seite 5: Schlussfolgerungen

1. Die Empfehlung zur Durchführung einer Impfung zur Prävention gegen Covid-19 beruht vor allem auf einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung. Dabei spielt die Sicherheit der Impfung eine entscheidende Rolle.

2. Da die sehr seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen nach Impfung mit den beiden Vektor-Impfstoffen Vaxzevria und Jcovden (u. a. zentrale Sinusvenenthrombose, Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS), Guillain-Barré-Syndrom) im Vergleich zu den möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen nach mRNA- Impfstoffen zu Recht als gravierender eingeschätzt werden, ist es in Deutschland mittlerweile zu einem faktischen Stopp der Verimpfung der Vektor-Impfstoffe zugunsten der mRNA-Impfstoffe gekommen. Zusätzlich kommt in sehr geringem Umfang der neue proteinbasierte Impfstoff Nuvaxovid zum Einsatz.

3. Neben sehr seltenen anaphylaktischen Reaktionen, die bei allen zugelassenen Impfstoffen vorkommen, sind die wichtigsten schwerwiegende Nebenwirkungen der beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax das Auftreten einer Myokarditis und/oder Perikarditis nach der Impfung. Diese unerwünschte Wirkung tritt sehr selten auf und wird mit weniger als 1 Fall bei 10.000 Geimpften angegeben. Auch nach Nuvaxovid sind einzelne Fälle einer Myokarditis und/oder Perikarditis gemeldet worden.

4. Eine Myokarditis nach Impfung mit mRNA-Vakzinen ist bekanntlich bei männlichen Kindern und Jugendlichen und bei jungen Männern unter 30 Jahren, gemessen an den Hintergrundinzidenzen, deutlich häufiger, wie sich auch aus den von mir im Kapitel "Notwendige Ergänzungen" in meinem letzten Artikel über den 18. Sicherheitsbericht zusammengestellten alters- und geschlechtsspezifischen Melderaten ergibt.9

5. Eine Konsequenz aus diesen Daten ist für mich, dass ich eine Impfung mit mRNA-Vakzinen gegen Covid-19 bei gesunden Kindern und Jugendlichen und ebenfalls auch bei gesunden Männern unter 30 Jahren weiterhin für fragwürdig halte.10 Diese Konsequenz ergibt sich auch aus den oben aufgeführten Befunden im Abschnitt "Nebenwirkungen und AESI bei Kindern und Jugendlichen", zumal das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 in dieser Altersgruppe sehr gering ist. Außerdem hat sich mittlerweile die Einschätzung bewahrheitet, dass Infektionen mit der Omikron-Variante prinzipiell einen leichteren Verlauf aufweisen.

6. Dagegen fällt für ältere Erwachsene (z. B. ab 60 Jahren) und Personen mit Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf unabhängig vom Lebensalter (z.B. chronische Herz-Kreislauf- und Lungenkrankheiten, Diabetes mellitus oder Adipositas, Tumorerkrankungen und Therapie mit Immunsuppresiva) die individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung eindeutig positiv zugunsten einer Impfempfehlung mit den mRNA-Vakzinen bzw. Novaxovid aus.

7. Wichtige Gesichtspunkte für diese Einschätzung ergeben sich auch aus einer Analyse über die Auswirkungen der Impfungen auf das Corona-Sterbegeschehen vom Mai 2022. Dort wird gezeigt, dass hauptsächlich die über 60-Jährigen hinsichtlich der Lebenserwartung von der Impfung profitieren.

8. In ca. einem Prozent der Verdachtsfallmeldungen der Nebenwirkungen, das entspricht 3.023 Fällen, wurde ein tödlicher Verlauf in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zu einer Covid-19-Impfung mitgeteilt. In 120 Einzelfällen, in denen Patienten an bekannten schwerwiegenden Impf-Nebenwirkungen wie TTS, Blutungen aufgrund einer Immunthrombozytopenie oder Myokarditis im plausiblen Abstand zur jeweiligen Impfung verstorben sind, hat das PEI im Rahmen einer Einzelfallbewertung den ursächlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Covid-19-Impfung als wahrscheinlich oder möglich bewertet. Diese Angaben stehen in Übereinstimmung mit bisherigen diesbezüglichen Meldungen von Seiten des PEI.11

9. Grundsätzlich ist anzumerken, dass es sich bei den angegebenen Melderaten der Nebenwirkungen um relativ "weiche" wissenschaftlichen Daten handelt, die von den etablierten Meldesystemen in Deutschland und anderen Ländern stammen. Es sind retrospektive Meldedaten, die hinsichtlich der wissenschaftlichen Beweiskraft geringer zu bewerten sind als Daten aus prospektiven Studien.

10. Eine weitere Einschränkung bei der Interpretation der vorliegenden Daten ergibt sich daraus, dass von einer systemischen Untererfassung ("underreporting") der Meldungen ausgegangen werden muss. Wie groß diese Dunkelziffer allerdings ist, kann derzeit jedoch nicht seriös beantwortet werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass schwerwiegende Nebenwirkungen wie eine Myokarditis oder solche, die kurz nach einer Impfung auftreten, eher gemeldet werden als leichte und erst spät auftretende Nebenwirkungen oder solche, bei denen die Ärztinnen und Ärzte keinen Zusammenhang mit der Impfung herstellen.12

11. Deshalb sind die Häufigkeitsangaben des PEI von Nebenwirkungen nicht in Stein gemeißelt, und es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn weitere seriöse wissenschaftliche Untersuchungen, auch mit anderen Forschungsmethoden, zur Frage der Häufigkeit von schwerwiegenden Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen durchgeführt, vorgelegt und einer kritisch diskutiert werden. Mir sind aber keine harten Daten aus prospektiven Studien bekannt, die die Ergebnisse des PEI aufgrund der Analyse der Melderaten grundsätzlich in Frage stellen.

12. Eine wichtige offene Frage bei der Beurteilung und Behandlung von möglichen Nebenwirkungen der Covid-19-Impfungen ist das im letzten Abschnitt meines obigen Textes erwähnte "Post-Vac"-Syndrom. Handelt es sich dabei vorwiegend um eine psychosomatische Störung oder um eine organische Erkrankung, wie kürzlich in einer Fernsehdokumentation behauptet wurde? Hier besteht Klärungsbedarf.

13. Abschließend sei noch angeführt, dass der von mir seit vielen Jahren sehr geschätzte Arzneimittelbrief sich in seiner aktuellen Oktober-Ausgabe im Rahmen eines informativen Leserbriefs mit dem Long Covid- und Post-Covid-Syndrom und dessen Behandlung beschäftigt.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.