Zwei Drittel der Ukraine-Flüchtlinge bleiben in Deutschland

Bernd Müller
Ukrainische Frau mit ihrem Kind auf dem Arm.

(Bild: Marko Subotin / Shutterstock.com)

Ukraine-Flüchtlinge haben sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut. Die meisten sind gut ausgebildet und finden Jobs. Das Nachsehen hat ihr Heimatland?

Millionen Ukrainer haben ihre Heimat verlassen, seitdem die russische Armee im Februar 2022 in das Nachbarland einmarschierte. Rund 4,3 Millionen sind in den Ländern der Europäischen Union, Norwegen und Island registriert.

Nach Angaben des UNHCR sind knapp 6,3 Millionen Ukrainer in europäische Länder geflohen. Weitere knapp 1,2 Millionen sollen laut offiziellen Angaben in Russland Zuflucht gesucht haben, wobei nicht klar ist, wie viele sich dort wirklich aus freien Stücken aufhalten.

Demographische Zeitbombe: Düstere Prognosen für die Ukraine

Diese Zahlen – zusammen mit der wohl enormen Zahl an Kriegstoten und -versehrten – spiegeln eine demographische Katastrophe wider, die noch in Jahrzehnten in der Ukraine spürbar sein dürfte. Das Land galt schon vor dem Krieg als Armenhaus Europas, und die millionenfache Flucht dürfte einen Wiederaufbau des Landes erheblich erschweren.

Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) hatte schon 2023 gewarnt, dass die Menschen für den Wiederaufbau fehlen könnten. Auch, weil viele Frauen im gebärfähigen Alter das Land verlassen haben – was zu einem nachhaltigen Geburtenrückgang im Land führen wird. Im Worst-Case-Szenario rechnete man damit, dass die ukrainische Bevölkerungszahl im Jahr 2040 immer noch 21 Prozent unter dem Vorkriegsniveau liegen wird.

Selbst dieses Szenario ist inzwischen überholt. Das wiiw ging in seinen Berechnungen davon aus, dass die Mehrheit der Ukrainer nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren wollen. "Wir gehen davon aus, dass mehr als 20 Prozent der Flüchtlinge nicht in die Ukraine zurückkehren werden", erklärte damals die Studienautorin Maryna Tverdostup.

Rückkehrwille sinkt dramatisch

Inzwischen möchte nur noch eine Minderheit in ihre Heimat zurückkehren. Bei einer Umfrage der Asylagentur der Europäischen Union gaben im Dezember nur 20 Prozent der Befragten an, entschlossen zu sein, in die Ukraine zurückzukehren. Weitere 14 Prozent zeigten sich lediglich "geneigt" dazu.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das jetzt vorgestellt wurde. Von den rund 1,25 Millionen Ukrainer (Stand: Februar 2025), die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, planen die meisten langfristig in Deutschland zu bleiben. Von denen, die zwischen Februar und Mai 2022 in der Bundesrepublik ankamen, wollen 59 Prozent bleiben. Von denen, die später kamen, sind es sogar 69 Prozent.

Das drückt sich auch in der Familiensituation der Ukrainer in Deutschland aus. Frauen machen nach wie vor den überwiegenden Teil der erwachsenen Flüchtlinge aus. Ihr Anteil beträgt immer noch 75 Prozent. Manche konnten ihre Männer nachholen, andere haben (neue) Partner in Deutschland gefunden. Beim IAB heißt es dazu:

Inzwischen leben zwei Drittel der erwachsenen Geflüchteten in Deutschland in festen Partnerschaften, und der Anteil 20- bis 49-jähriger Frauen, die mit minderjährigen Kindern ohne einen Partner in Deutschland leben, ist von 46 im Jahr 2022 auf 20 Prozent in der zweiten Jahreshälfte 2023 gesunken.

Gut ausgebildet, aber oft unter Niveau beschäftigt

Nicht nur die Familienverhältnisse sind ein Indiz dafür, dass Deutschland für die meisten Ukrainer die neue Heimat ist, sondern auch die steigende Integration in den Arbeitsmarkt. 23 Monate nach Ankunft in der Bundesrepublik hatten bereits 31 Prozent eine Lohnarbeit gefunden – auch wenn sie oftmals unter ihrem Bildungsniveau liegt.

Schließlich haben laut IAB rund 75 Prozent einen Berufsabschluss oder haben studiert. Und mit 90 Prozent verfügen fast alle über umfangreiche Berufserfahrungen. Dennoch arbeiten sie oft in Berufen wie Reinigung, Speisenzubereitung sowie Erziehung und Sozialarbeit. Eine weitgehend unbekannte Anzahl ukrainischer Frauen ist auch in deutschen Bordellen untergekommen.

Dass die Ukrainer einer Tätigkeit nachgehen, die nicht ihrer Ausbildung entspricht, wird vermutlich nicht so bleiben. Jeder Fünfte von ihnen hat einen Antrag gestellt, um die heimischen Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen. Andere würden das auch gern tun, aber ihnen fehlen laut IAB noch die notwendigen Informationen. 61 Prozent der Geflüchteten streben einen Berufsabschluss in Deutschland an oder möchten ein Studium aufnehmen.

Der Krieg in der Ukraine hat zu einer Win-lose-Situation geführt. Die Ukraine steht vor der Herausforderung, ihren Wiederaufbau mit einer deutlich geschrumpften und gealterten Bevölkerung zu bewältigen. Gleichzeitig bietet der Zustrom der überwiegend gut ausgebildeten ukrainischen Flüchtlinge für Deutschland die Chance, den demographischen Wandel und den Fachkräftemangel zu lindern.