Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Deutsche Selbstgerechtigkeit in allen Varianten
- Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Deutsche Selbstgerechtigkeit in allen Varianten
- Kontroverse um Waffenlieferungen und moralischer Narzissmus
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Gratismutige Geschichtsverdreher, Standort-Deutschland-Jammerer und Putin-Fans mit Seeräuber-Jenny-Syndrom: Ist dieses Land noch zu retten? Ein Kommentar.
Ab wann haben die Grünen wirklich mehr geahnt als Sahra Wagenknecht, die noch wenige Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor zwei Jahren überzeugt war, dass Putin keine Grenzen verschieben wolle?
Bis zur Bundestagswahl 2021 rechneten die Grünen wohl auch nicht damit – sonst müssten sie den Bruch von Wahlversprechen schon einkalkuliert haben: "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete" war eine der Parolen, mit denen die Grünen damals in den Wahlkampf zogen.
Die Reaktion auf den Krieg: Zwischen Schock und Doppelmoral
Nach dem Schock des 24. Februar 2022 wurde oft wüst beschimpft, wer sie daran zu erinnern wagte und wissen wollte, was an diesem Krieg so vollkommen anders sei als an anderen Kriegen, die – je nach Herkunft und Freundeskreis – auch für Menschen in Deutschland sehr präsent sein konnten.
Dennoch wurde ihre Erwähnung als Whataboutismus gegeißelt, wenn es darum ging, warum auf diesen einen Krieg so vollkommen anders reagiert werden musste.
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Sicher: Dieser Krieg birgt eine viel größere Eskalationsgefahr für Europa und die Welt als beispielsweise die türkischen Bombenangriffe in Nordostsyrien – und in der Ukraine sind in den letzten zwei Jahren auch deutlich mehr Menschen durch Kriegshandlungen gestorben. Soviel ist sicher, auch wenn sich beide Seiten mit der genauen Zahl gefallener und verwundeter Soldaten bedeckt halten.
Eskalationsgefahr und Blutzoll: Argumente der Friedensbewegung
Beides – die Eskalationsgefahr und der hohe "Blutzoll" – sind aber auch Argumente der verpönten Friedensbewegung, die meint, dass im Sinne aller direkt und indirekt betroffenen Menschen viel stärker auf Diplomatie gesetzt werden sollte.
Verpönt ist auch der Hinweis auf die Nato-Osterweiterung und Nato-Manöver in der Ukraine, die zwar nie Mitglied des Militärpakts war, aber somit Gefahr lief, als eine Art inoffizielles Mitglied und als Aufmarschgebiet der Nato an der Grenze zu Russland gesehen zu werden. Dabei hatten vor rund zehn Jahren selbst FDP-Politiker wie der heutige deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff vor dem "falschen Eindruck" gewarnt, den solche Manöver erwecken könnten.
Aber eine Vorgeschichte, in der die Nato auch nur ansatzweise etwas falsch gemacht hatte, durfte es angesichts der russischen Aggression einfach nicht mehr geben. Ihre Erwähnung galt fortan als "Putin-Versteherei" – und Putin darf niemand verstehen, auch wenn sich westliche Geheimdienstexperten bis heute den Kopf zerbrechen, wie der russische Präsident wirklich tickt.
Verstehen vs. Verständnis: Wer will Putin unberechenbar?
Hätte sich nicht auch Wagenknecht eine Blamage erspart, wenn sie das frühzeitig verstanden hätte? Ein berechenbarer Gegner ist bei zunehmenden Spannungen zwischen Atommächten wie der Nato und Russland schließlich besser als ein unberechenbarer. Aber das gab in der anfangs so stark emotionalisierten Debatte scheinbar keinem und keiner das Recht, eine weitere Eskalation vermeiden zu wollen.
Eine Schützengraben-Mentalität machte sich in deutschen Abgeordnetenbüros und Redaktionen sowie an Homeoffice-Schreibtischen breit. Es konnte keine zwei Meinungen geben, ohne dass eine davon Feindbegünstigung war; wer vor einer Eskalation warnte, war im Zweifel ein Sprachrohr des Feindes.
Gratismutig: Der Vorwurf des Lumpen-Pazifismus
Der Vorwurf des "Lumpen-Pazifismus" machte die Runde, in den Raum geworfen von dem Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo, für dessen Frisur die Antidiskriminierungsstelle der Bundeswehr nur noch den richtigen Helm organisieren müsste, damit er sich demnächst persönlich an der Nato-Ostflanke bewähren kann. Immerhin ist er noch knapp unter 50. Aber das wird wohl nichts.
Die alte Stahlhelm-Fraktion der CDU/CSU hätte sich seither eigentlich fast entspannt zurücklehnen können. Militarismus war plötzlich Punkrock! Campino, Sänger der Toten Hosen, erklärte 2022 kurz vor seinem 60. Geburtstag freimütig, dass er heute "wahrscheinlich nicht mehr" den Wehrdienst verweigern würde.
Gratismut, moralischer Narzissmus und Maulheldentum an der Heimatfront haben Hochkonjunktur. Was dabei vergessen wird, ist: Der Vorwurf der Feigheit an Friedensbewegte kann nur dann irgendeine Substanz haben, wenn deren Angst vor einer Eskalation zum Dritten Weltkrieg und womöglich zum Atomkrieg gerechtfertigt ist. Sonst müsste eher von einer Phobie die Rede sein, was aber auch Skrupel und Besonnenheit auf russischer Seite voraussetzen würde.
Wenn die Gefahr real ist, muss aber auch die Frage erlaubt sein, ob es das wert ist – und das wollen die wenigsten Schreibtisch- und Social-Media-Feldherren zu Ende denken.
Deutschlands Weg zur Kriegstüchtigkeit und das richtige Mindset
Jetzt soll Deutschland also "kriegstüchtig" werden, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das Kind beim Namen genannt hat. Die Bundeswehr fordert "Investitionen in Personal, Material und Mindset". Wenn der Gegner ins Mindset investiert, heißt das hier Propaganda – die Nato nennt es "Strategische Kommunikation".
Dass ausgerechnet die AfD sich daran erinnert, wie sehr man als Deutscher in einem Krieg mit Russland auf die Fresse fliegen kann und vorerst keine gesteigerte Lust darauf hat, vor allem nicht für "fremde Interessen", verkompliziert die Sache für antimilitaristische Linke. Denn nun werden sie nicht nur mit Putin, sondern auch noch mit der AfD in einen Topf geworfen.
"Verhandlungen", "Frieden" und "Diplomatie" sind im Zuge der von Bundeskanzler Olaf (SPD) verkündeten "Zeitenwende" nach dem 24. Februar 2022 zu Bäh-Worten mutiert – und Geschichtsrevisionismus ist trendy. Denn auch, wer Wortspiele wie "Putler" für übertrieben hält, setzt sich dem Verdacht aus, mit Putin zu sympathisieren. Als ob es keine Kriegsverbrechen unterhalb der Dimension von Auschwitz gäbe.
Aus den "Putler"-Analogien spricht hier die unfassbar selbstgerechte deutsche Sehnsucht, dass doch endlich mal ein ausländischer Staatschef mindestens genauso schlimm sei wie Hitler. Insofern ist selbst Putin noch zu etwas "gut" und "befreit" nebenbei ganz unfreiwillig Deutsche von der Last ihrer Vergangenheit.