Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Putin, Butscha und die verschleppten Kinder

Leichname von Butscha, Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bild: Houses of the Oireachtas / CC BY 2.0 Deed

Offene Fragen lassen Raum für Spekulation und Verschwörungstheorien. Was wir über russische Kriegsverbrechen wissen. Eine Einschätzung zum Jahrestag.

Heute vor fast zwei Jahren, am 24. Februar 2022, startete Russland seine Invasion in die Ukraine. Gut ein Jahr später, am 17. März 2023, stellte der Internationale Strafgerichtshofes (IStGH) einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten aus.

Er beruht laut IStGH auf dem "begründeten Verdacht", dass Putin für Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich ist.

Warum Aufklärung wichtig ist

Etwa zeitgleich zu diesem Jahrestag wird sich Putin zur Wiederwahl als Präsident Russlands stellen. Auch das Massaker von Butscha jährt sich im März zum zweiten Mal.

Es ist Anlass für einige Fragen, die voraussichtlich ein besonderes Gewicht bei den unausweichlichen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges haben werden. Und nicht nur das: Ohne eindeutige Antworten werden sie über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Beziehungen der beiden geografischen Nachbarn zueinander prägen.

Man denke nur an das Massaker von Katyn. Bis heute belastet es das Verhältnis von Polen und Russen.

Das Massaker von Butscha

Unbestritten ist, dass Putin mit dem Befehl zum Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht mit Füßen getreten hat – auch wenn schon zu diesem, von den Medien abgehakten Fakt, abweichende formal-juristische Auffassungen im Netz zu finden sind. Das ist allerdings, schaut man sich andere Konflikte an, keine Besonderheit.

Ebenfalls weitgehend unbestritten ist, dass russische Truppen schwerste Kriegsverbrechen unter anderem in Butscha begangen haben. Diese zu untersuchen, reiste am 17. Mai 2022 ein 42-köpfiges Ermittlerteam des IStGH in die Ukraine, nachdem bereits am 12. April 2022 ein aus 18 Experten bestehendes französisches Ermittlerteam eingetroffen war.

Laut Chefankläger Karim Ahmad Khan handelt es sich um das größte Ermittlerteam, das bislang vom Internationalen Strafgerichtshof entsendet wurde. Auch das Bundeskriminalamt sammelt im Auftrag des Generalbundesanwaltes seit März 2022 Beweise zu möglichen Kriegsverbrechen.

Hinweise auf Zwischen- oder Abschlussberichte zu den Untersuchungen in Butscha sind trotz des hohen punktuellen Aufwandes bisher nicht im Netz zu finden. Vielleicht liegt es an der Fülle der Ermittlungen zu anderen Verbrechen.

Zeitnahe Erfassung von Beweisen

Auch wenn Schlussfolgerungen im Nachhinein durch Politiker infrage gestellt werden: Die zeitnahe Erfassung von Beweisen, wie er in Butscha und z.B. im Fall des Abschusses von MH 17 erfolgte, ist der erste und entscheidende Schritt, nicht nur um Täter zur Verantwortung ziehen zu können, sondern auch um falschen Darstellungen zu begegnen.

Wegen ihrer Relevanz wäre ein Fokus auf Butscha und die deportierten Kinder wünschenswert. Butscha betrifft in besonderem Maße nicht nur die Zukunft, sondern auch die unmittelbare Vergangenheit.

Neben dem unsagbaren menschlichen Leid hat gerade dieses Massaker den nachfolgenden Kriegsverlauf politisch, militärisch und medial geprägt. Immerhin wurden die Istanbuler Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine vom März 2022 ausdrücklich auch mit Hinweis auf dieses Ereignis abgebrochen.

Erinnert sei an die Forderung des UNO-Generalsekretärs António Guterres vom 28. April 2022 nach einer gründlichen Aufklärung und Feststellung der Verantwortlichkeiten.

Wo ist die Liste mit den Namen der Opfer?

Bei den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat ist das Thema, nicht überraschend, weiterhin hochaktuell. So sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der Sitzung des UNO-Sicherheitsrats am 22. Januar 2024:

Unsere zahlreichen Forderungen, zumindest die Namen derjenigen zu nennen, die angeblich vom russischen Militär getötet wurden, blieben unbeantwortet. Ich habe persönlich mit dem UN-Generalsekretär über dieses Thema gesprochen, aber ohne Erfolg.

Was ist hier Propaganda und was ist Wahrheit? Im Internet findet sich noch kein Hinweis auf eine Liste mit den Namen der Opfer.

Die wird sicherlich im Rahmen eines Berichtes irgendwann vorgelegt werden. Es ist schwer vorstellbar, dass im Zuge der umfangreichen Ermittlungen des IStGH sowie der ukrainischen Behörden keine solche Liste für die zukünftige Strafverfolgung erstellt worden ist.

Diverse Behauptungen

Zu klären sind auch Behauptungen, dass es sich bei den Opfern zum Teil um russische Soldaten gehandelt hat. Übrigens hat auch die russische Seite Ermittlungen eröffnet.

Laut dem britischen Guardian hat der Beschuss mit sogenannter Flechette-Munition, die schwere Verletzungen hinterlässt, vor dem Rückzug der Streitkräfte stattgefunden. Das Medium stützt sich dabei auf Augenzeugen-Berichte. Nach Ansicht eines zitierten Experten könne das nur auf russische Artillerie zurückzuführen sein.

Es gibt Stimmen, die in Butscha eine False-Flag-Operation der ukrainischen Seite sehen, die das Ziel hatte, die zeitgleich in Istanbul laufenden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu torpedieren.

Ebenfalls wichtig zu wissen wäre, warum der IStGH Putin und andere russische Verdächtige nicht auch und zuerst wegen der Verbrechen in Butscha mit einem Haftbefehl sucht. Da der vorliegende Haftbefehl wegen eines "begründeten Verdachts" ausgestellt wurde, sollte man annehmen, dass dies im Fall Butscha ebenfalls möglich ist.

Damit könnte der IStGH einen weitreichenden und vielleicht sogar präventiv wirksamen Präzedenzfall für andere Konflikte schaffen.