Zwei Lager, zwei Visionen: Wer profitiert von den Wahlprogrammen?
Bild: Ibrahim Boran /Unsplash
Während einige Parteien die oberen Einkommen entlasten, setzen andere auf mehr Gerechtigkeit für mittlere und niedrige Einkommen. Die fiskalischen und gesellschaftlichen Konsequenzen im Überblick.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung die Wahlprogramme der Parteien untersucht, die die besten Chancen haben, in den Deutschen Bundestag gewählt zu werden.
Die Berechnung beruht auf Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP). Die detaillierten Ergebnisse finden Sie hier und hier.
Konsequenzen für Privathaushalte
Die Untersuchung zeigt – grob vereinfacht - eine Zweiteilung der Parteienlandschaft. Die in den Wahlprogrammen vorgeschlagenen Reformen von FDP, CDU/CSU und AfD entlasten höhere Einkommensklassen deutlich.
Die Pläne von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Linken und BSW bringen hingegen besonders für untere und mittlere Einkommen einen Zuwachs beim Einkommen.
| Veränderung des verfügbaren Jahreseinkommens Ehepaar zwei Kinder, Alleinverdiener | |||||||
| Bruttoeinkommen (in Euro) | SPD | Linke | B’90/Grüne | FDP | CDU/CSU | AfD | BSW |
| 40.000 | 860 | 6.150 | 870 | –1.520 | 300 | –440 | 1.010 |
| 60.000 | 1.300 | 6.980 | 960 | 4.800 | 850 | 5.400 | 1.790 |
| 80.000 | 1.400 | 7.050 | 810 | 4.050 | 1.440 | 9.630 | 1.600 |
| 120.000 | 1.520 | 5.180 | 670 | 7.890 | 2.770 | 12.310 | 1.220 |
| 180.000 | 2.200 | –800 | 100 | 11.990 | 5.840 | 19.190 | 0 |
| Quelle: ZEW | |||||||
Der Ökonom Achim Truger, der die Bundesregierung als Wirtschaftsweiser berät, kommentiert diese Vorschläge so:
Union und besonders AfD und FDP wollen vor allem höhere und höchste Einkommen stark entlasten und Bezieher unterer bis mittlerer Einkommen wenig bis gar nicht. (…) Dagegen wollen SPD, Grüne, Linke und BSW untere und mittlere Einkommen moderat entlasten und die höchsten Einkommen dafür mehr belasten.
Achim Truger, SZ
Konsequenzen für den Bundeshaushalt
Für die Untersuchung der fiskalischen Effekte berücksichtigte das ZEW-Forscherteam die Reformvorschläge der Wahlprogramme zu Steuern, Mindestlohn und Sozialleistungen. Auch hier offenbart sich eine Zweiteilung der Parteienlandschaft.
Das ZEW kommentiert dies mit folgenden Erwägungen:
Demnach wüchse der Gesamtetat nach den Plänen von SPD, Linken, Bündnis 90/Die Grünen sowie des BSW. Für die Privathaushalte bedeutet das spiegelbildlich eine Mehrbelastung. Nach den Programmen von Union, FDP und AfD würde der Gesamthaushalt schrumpfen, die Privathaushalte hätten dafür mehr Geld zur Verfügung.
Der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger findet es "erstaunlich, dass Parteien, die an der Schuldenbremse festhalten wollen, großzügige Steuergeschenke für Spitzenverdiener versprechen".
Konsequenzen für die Ungleichheit
Das ZEW hat die Wahlprogramme auch auf ihre Auswirkungen auf die Ungleichheit untersucht. Nicht überraschend: Einmal mehr finden sich auch hier zwei Lager:
Bei SPD, Grünen und Co. sinkt das sogenannte Gini-Maß, das die Ungleichheit misst (je höher das Gini-Maß, desto mehr klafft die Gleichheit einer Gesellschaft auseinander). Die Einkommen werden also bei diesen Parteien gleicher.
Setzen sich dagegen Friedrich Merz, Markus Söder und Christian Lindner durch, steigt das Gini-Maß um 2,3 Prozent beziehungsweise 4,7 Prozent.
SZ
Zudem: Die AfD würde das Gini-Maß um 2,7 Prozent steigen lassen (siehe dazu Abbildung 39, S.52).
Berücksichtigt man die wissenschaftlich belegten katastrophalen Folgen einer größeren Ungleichheit auf körperliche und seelische Gesundheit sowie auf das gesellschaftliche Zusammenleben, sollten die Wahlprogramme gerade auch in dieser Hinsicht zu denken geben. Da dies wiederholt auf Telepolis thematisiert worden ist, hier nur eine kurze Zusammenfassung über dieses so fundamentale Thema.
• Armut hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit und führt zu einer deutlich geringeren Lebenserwartung. Daten aus Großbritannien zeigen beispielsweise, dass reiche Menschen im Schnitt neun Jahre länger leben als arme. In Glasgow beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen armen und reichen Männern sogar 27 Jahre.
• Ungleichheit macht krank.
• Ungleichheit ist die Mutter aller Probleme. Vom Maß der Ungleichheit hängen das Ausmaß einer ganzen Reihe von Aspekten ab: die Gleichberechtigung von Frauen, die Mathematik- und Lesefähigkeiten der Schulkinder, Mobbing, die Scheidungsrate sowie die Anzahl von Teenager-Schwangerschaften, Akte von Aggression, von Kindesmisshandlungen, Mord und Amokläufen, Anzahl der Gefängnisinsassen. Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch, Spiel- und Kaufsucht. Fehlende Solidarität, Misstrauen, fehlende Verträglichkeit und Hilfsbereitschaft. Und last but not least: Die soziale Mobilität.
• Extremer Reichtum schadet auch dem Klima.
• Ungleichheit ist schließlich auch schädlich für die Demokratie.
• Extremer Reichtum ist eine schwere Belastung für die Demokratie.
• Die Armutsquote hat schließlich einen direkten – nachweisbaren – Zusammenhang mit dem Stimmanteil rechtsextremer Parteien.
Es wird schlimmer
Die Bedeutung von Ungleichheit ist so grundlegend und existentiell, dass man eigentlich erwarten müsste, dass diese Frage im zentralen Fokus des Wahlkampfs steht. Insbesondere weil auch neuste Daten belegen, dass Ungleichheit immer mehr zunehmen und gravierendere Folgen haben wird.
So offenbaren die von Oxfam publizierten Daten, dass weltweit und in Deutschland paradiesische Zustände für Milliardäre und Superreiche herrschen, während der Kampf gegen Armut stagniert.
Zudem wird ohne staatlichen Eingriff in Deutschland die soziale Schere noch weiter auseinandergehen; die desaströsen Nebenwirkungen werden entsprechend zunehmen. Daher warnt das New Economic Forum:
Die Konzentration der Vermögen an der Spitze der Reichsten wird in den kommenden Jahren ohne politisches Zutun noch einmal deutlich zunehmen. Simulations-Rechnungen zufolge würde der Anteil der reichsten zehn Prozent der Deutschen an den Gesamtvermögen von zuletzt knapp über 60 Prozent bis 2027 auf etwa 67 Prozent steigen.
Auf dem Rücken des Großteils der Gesellschaft
Doch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz wollen FDP, AfD und CDU/CSU die Ungleichheit vorsätzlich noch verschärfen. Mit allen oben aufgeführten verheerenden Folgen für die Menschen. Und dies nur deswegen, um einer Minderheit der Spitzen- und Besserverdiener Steuergeschenke zu servieren.
Unausgesprochen steht hinter der Entscheidung dieser Parteien, die damit ihrer langjährigen Wirtschaftspolitik folgen, die Überzeugung, dass die Entlastung für Spitzen- und Besserverdiener der gesamten Gesellschaft zugutekommt.
Aber das Wirken des sogenannten Trickle-Down-Effekts ist spätestens seit dem Monumentalwerk "Das Kapital des 21. Jahrhunderts" des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty sattsam bewiesen: Dieser Effekt ist lediglich ein Phantom; es hat reichlich wenig mit der politischen Wirklichkeit zu tun.
Oder, um mit Paul Krugman, Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, zu sprechen: "Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt nun seit 30 Jahren – vergeblich."
CDU/CSU, FDP und AfD warten weiter.