Absolutismus als progressive Regierungsform und das weiterbewegende Prinzip in der Mitte

André Müller sen. veröffentlicht seine Gespräche mit Peter Hacks

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Der Dichter Peter Hacks wird oft mit Bertolt Brecht und mit Goethe verglichen, womit man einmal Hacks massiv und einmal Goethe ein wenig Unrecht tut: Hatte Brecht („bei Brecht gibt es immer Zwangsläufigkeiten und keine Entscheidungen“- Hacks) noch die ihm unleidliche bürgerliche Gesellschaft (mit der ihr eigenen Dialektik von Herr und Knecht) zum Gegenstand, widmete sich Hacks in seinen Dramen der “sozialistischen Klassik“ jenen gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die Widersprüche der Klassenherrschaft seiner Ansicht nach bereits aufgehoben waren, um anderen höherentwickelten Antagonismen (wie z. B. „der Kollision des gesellschaftlich Richtigen mit dem anthropologisch-utopisch Richtigen“ - Hacks) Platz zu machen.

Zwar ist die Bezugnahme auf Goethe bei Hacks unübersehbar, jedoch ist sein Werk (wie das aller) allein schon an Umfang bescheidener ausgefallen (wobei aber Hacks das Verdienst zukommt, mit seinen Goethe-Bearbeitungen und –Essays wieder erste Verständnisschneisen für die deutsche Klassik in Zeiten postmoderner Verwirrung geschlagen zu haben). Dafür ist Peter Hacks einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter überhaupt.

Er wurde in jüngerer Vergangenheit vor allem von Frank Schirrmacher wiederentdeckt und gefeiert (der seitdem prompt in der FAZ Sätze schreibt, die im Abstraktionsprozess des Denkens eine Gerichtetheit auf das paradoxe Wesentliche verraten, deren Reichweite generell in einen Bereich fällt, der auch als Vorstufe zur Erkenntnis bezeichnet werden kann, auch wenn er anschließend wie gewohnt die falschen Schlüsse zieht). Kein Wunder: Den volkstümlichen Schlager deutscher Dichtkunst á la Enzensberger, Biermann, Grass, Walser übertrifft Hacks an Kunst, Geist, Witz und Stil mit so olympischer Leichtigkeit, dass diese im Vergleich zu ihm als genau jene [zensiert] dastehen, die sie ja auch tatsächlich sind.

Auch bekommt es der vergnügte Leser z. B. in seinen gesammelten Essays “Die Maßgaben der Kunst“ mit einem geschliffenen Deutsch zu tun, wie es seit Heinrich Heine keines mehr gegeben hat, wiewohl das von Hacks jenes des großen Ironikers noch überragt. Hacks war aber nicht nur ein herausragender Schreiber, sondern auch ein begnadeter Redner, wovon wir uns in “Gespräche mit Hacks“ von André Müller überzeugen dürfen.

Der bundesdeutsche Theaterwissenschaftler, Shakespeare-Forscher und Romanschriftsteller war einer der engsten Freunde von Hacks, der (ohne dessen Wissen) seit 1963 die Gespräche mit ihm protokollierte. Das Ergebnis ist ein Feuerwerk an klugen Gedanken, Aphorismen und Bonmots, die es locker mit denen von Oscar Wilde aufnehmen können und eine gelungene Einführung in das Werk von Peter Hacks (auch wenn der Hintergrund der Gespräche dem Außenstehenden vielfach recht dunkel bleibt), die außerdem wesentliche Einblicke in das geistige Leben der DDR bietet, welches hier so gar nicht den üblichen Klischées entspricht.

Z. B. konnte Hacks mit der gängigen Linken wirklich nicht viel anfangen („Sie begreifen jede Wahrheit immer so abstrakt, dass sie unanwendbar wird“) und hielt dafür den Absolutismus, der ihm die Entdeckung des Bewusstseins in den Bereichen der Gesellschaft und Politik war, für eine progressive Regierungsform, ohne deren Agierenskunst auch die sozialistische Gesellschaft nicht auskommen konnte: Denn während sich die gesellschaftliche Ordnung im Feudalismus (als eine “ewige, von Gott gegebene“ Befehlsgewalt) und Kapitalismus (als “natürliche“ Herrschaftsform, in welcher die Menschen sich einem chaotischen, ihren Einzelwillen entzogenen Vergesellschaftungsprozess über den Markt unterordnen müssen) spontan produziert und reproduziert, müssen nach der Ansicht von Hacks im Absolutismus und Sozialismus die Widersprüche in der Klassenzusammensetzung der Gesellschaft bewusst und künstlich ausgeglichen werden.

Weiter hatte für ihn der Kommunismus nicht die Aufgabe, den Mangel, sondern den Reichtum zu vergesellschaften, und er versprach sich davon nicht Gleichmacherei und Askese, sondern im Gegenteil wachsende Selbstbestimmung und Würde, insofern der Kommunismus die Basis sowohl der Emanzipation vom platten Egoismus als auch vom abstrakten Altruismus liefert, die nur die zwei Seiten der selben Medaille sind:

"Hacks: 'Der Kommunismus muss zur Enthaltsamkeit zwingen, schon weil man alles haben kann. Es geht nur eine bestimmte Anzahl in ein Zimmer, und man kann aus was weiß Gott für Gründen nur eine bestimmte Menge Zimmer bewohnen.' – 'Eben', erwiderte ich, 'man wird also nur die Bilder auswählen, die man braucht. Kommunismus muss die Überwindung von einseitigen Haltungen wie Enthaltsamkeit und Sucht nach Reichtum sein. Kommunismus, das ist die Mitte, und in der Mitte, die ja auch beide unterschiedlichen Teile enthält, wohnt allein auch das weiterbewegende Prinzip.'"

André Müller sen., Gespräche mit Hacks. 1963 – 2003, Berlin 2008, 464 Seiten, 24.80 EUR, ISBN 978-3-359-01687-8