Atomausstieg: Schlamperei macht sich bezahlt

Symbolbild: moritz320/Pixabay

Energiekonzerne nutzen Merkels schlecht organisierten Wiedereinstieg in den Atomausstieg, um Forderungen durchzusetzen. Das Wirtschaftsministerium steht ihnen hilfreich zur Seite

Der Bund wird den Betreibern der Atomkraftwerke 2,43 Milliarden Euro für das Abschalten ihrer Anlagen zahlen. Das berichtet unter anderem die Berliner Zeitung. Demnach einigte sich die Bundesregierung nach zehn Jahren Verhandlungen vor verschiedenen Schiedsgerichten mit RWE, Vattenfall, Eon und EnBW auf diese Summe, die als Ausgleich für entgangene Gewinne und umsonst getätigte Investitionen gilt.

Der langsame Ausstieg

Wir erinnern uns: SPD und Grüne hatten zu Anfang des Jahrtausends den langsamen Ausstieg aus der Atomkraftnutzung beschlossen. Die kommerziellen Anlagen bekamen Restlaufzeiten und -Strommengen zugewiesen, mit denen sie nach und nach bis Ende der 2020er Jahre vom Netz gegangen wären.

Nicht wenige in der Anti-AKW-Bewegung hatten seinerzeit diese langen Fristen – nach dem Jugoslawien-Krieg – als weiteren Verrat der Grünen an ihren Prinzipien gesehen. Die Industrie hatte es zähneknirschend geschluckt und im Hintergrund Druck für eine Revision des Ausstiegsgesetzes gemacht.

Ihr Ruf wurde erhört. Union und FDP machten 2009 Wahlkampf mit dem Versprechen, die alten Meiler länger laufen zu lassen und den Ausstiegsbeschluss zu kassieren. Gegen massiven Protest aus der Bevölkerung wurden die AKW-Laufzeiten wieder erheblich ausgedehnt. Bis 2035 und länger wollte die seinerzeitige schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit sie laufen lassen.

Parallel dazu wurde übrigens der Ausbau der Solarenergie durch zu rasche Absenkung der Einspeisevergütung für Neuanlagen abgewürgt und etliche Zehntausend Arbeitsplätze in der Industrie und im Handwerk vernichtet.

Der schnelle Ausstieg: Fukushima

Nicht einmal ein Jahr hatte der Beschluss Bestand. Nach dem es am 11. März 2011 im japanischen Fukushima zur mehrfachen Reaktorhavarie kam und große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt wurden, gab es erneut massive Proteste in der deutschen Bevölkerung, die eine Stilllegung der AKW forderten.

Da die Regierung ohnehin schon unter starkem Druck stand und bedingt unter anderem durch Wirtschaftskrise und Polizeigewalt in Stuttgart in einem tiefen Umfrageloch saß, gab die Bundeskanzlerin ungewohnt schnell nach: Ein Teil der älteren AKW wurde sofort stillgelegt – manches von ihnen lieferte ohnehin seit Jahren keinen Strom mehr – und für die übrigen wurden Restlaufzeiten gesetzlich fixiert, die im Wesentlichen dem alten Ausstiegsgesetz entsprachen.

Viele Fragen offen

Das neue Gesetz war allerdings, wenn auch mit überwältigender Mehrheit im Bundestag verabschiedet, juristisch ziemlich unsauber formuliert, wie damals unter anderem auf Telepolis angemerkt wurde. Wenig überraschend standen die Betreiberkonzerne dies ausnutzend schon einige Wochen später mit ihren Entschädigungsforderungen vor der Tür.

In der Anti-AKW-Bewegung war entsprechend die Skepsis zunächst groß, zumal viele Fragen offen blieben. So wurde zum Beispiel weiter hochradioaktiver Atommüll in das Zwischenlage im niedersächsischen Gorleben eingelagert, wo es noch im Sommer 2011 erneut massiven Widerstand gegen diese Atommülltransporte gab.

Weitermachen

Wie unvollkommen und schlampig der Abschied aus der Atomindustrie - Merkels Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg - organisiert wurde, zeigt sich auch daran, dass in Deutschland weiter Brennelemente für Atomkraftwerke hergestellt und exportiert werden.

Sollte ein französisch-russisches Gemeinschaftsprojekt Erfolg haben, könnte dies auch noch sehr lange der Fall sein. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa haben die französische Framatome und die russische TVEL am 12. Februar einen Antrag beim Bundeskartellamt gestellt, künftig die im west-niedersächsischen Lingen produzierende Brennelementefabrik der Framatome-Tochter Advanced Nuclear Fuels gemeinsam führen zu wollen.

Unterdessen ist noch bemerkenswert, wie die Einigung zustande kam. Die verschiedenen Bundesregierungen gehören bereits seit den 1970er Jahren oder noch länger zu den vehementesten Befürwortern der internationalen Absicherung von Großkonzernen.

Schiedsgerichte

Dafür wurden in verschiedenen Vertragswerken wie dem der Welthandelsorganisation WTO oder auch die Energie-Charta der EU - die RWE gerade nutzt, um gegen den Kohleausstieg der Niederlande zu klagen - Schiedsgerichte vorgesehen. Zugleich werden die Rechte von ausländischen Unternehmen fixiert.

Zu letzteren gehört unter anderem auch ein ziemlich fragwürdiger Rechtsanspruch auf zu erwartende Gewinne. Das heißt, die Unternehmen haben bei Enteignung oder erzwungener Stilllegung nicht nur einen Anspruch, den Wert der Anlagen, Immobilien etc. ersetzt zu bekommen, sondern auch die Gewinne, die ihnen nun entgehen, müssen abgegolten werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Schiedsgerichtsverfahren höchst intransparent sind. Sie finden für gewöhnlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und Deutschland wird im Falle einer gegen die Bundesrepublik gerichteten Klage für gewöhnlich vom besonders unternehmerfreundlichen Wirtschaftsministerium vertreten.

Angesichts der Nähe zu den Energiekonzernen, die dieses Ministerium in den letzten Jahren immer wieder gezeigt hat, könnte man durchaus den Eindruck bekommen, RWE hat über die Entschädigung mit sich selbst verhandelt.