Die Klimakrise klopft an die Tür

Foto: Feuerwehr Hagen

Die Naturkatastrophe in Westdeutschland ist eine erneute Mahnung, endlich den Klimawandel ernst zu nehmen, statt weiter Braunkohle aus der Erde zu holen und dafür auch noch Dörfer zu zerstören

Überlaufende Talsperren an Wupper und anderen Flüssen. Ein Damm droht zu brechen. Heulende Sirenen, die talabwärts die Anwohnerinnen und Anwohner warnen. Evakuierte Stadtteile.

Über hunderttausend Haushalte ohne Strom, teilweise auch ohne Trinkwasser. Weggerissene Häuser in der Eifel. Land unter in Westdeutschland. Im Binnenland, weit weg vom Meer. Bäche werden zu reißenden Strömen, der Rhein tritt über seine Ufer, Menschen ertrinken in ihren Kellern. Ein Horrorszenario (Flutkatastrophe trifft Menschen und Infrastruktur).

Mit einem Mal ist die Klimakrise nicht mehr nur die Hungerkatastrophe im Süden Madagaskars oder die irren Waldbrandserien in Nordamerika, Australien und Sibirien. Mit einem Mal klopft sie an die Haustür, bedroht uns und unsere Nachbarn.

"Bernd"

"Bernd" ist schuld. Ein scheinbar ganz normales Tiefdruckgebiet, das einfach nicht weiter ziehen will und sich tagelang über Mitteleuropa dreht. Blockiert durch die Wellen in der Höhenströmung, dem Jetstream. Der schwächelt ein wenig, weil der Temperaturkontrast zwischen Nord und Süd abnimmt. Die Arktis erwärmt sich nämlich schneller als der Rest des Planeten.

Die Folge: Die Höhenwinde wehen nicht mehr einfach von West nach Ost, sondern in weit ausholenden Wellen mal nach Süden, dann wieder nach Norden. Die Strömung mäandert. Und: Wegen ihrer Abschwächung bleiben die Wellen öfter mal für ein paar Tage oder auch über eine Woche auf der Stelle stehen. Mit ihnen Hochdruckgebiete und Hitzewellen oder auch, wie jetzt, Tiefdruck- und Niederschlagsgebiete.

Untätigkeit

So führt "Bernd" dann in seinem Rücken immer neue feuchte Luft vom Meer heran. Warme Luft, die daher besonders aufnahmefähig für Wasser ist. Je wärmer die Luft, desto mehr Wasserdampf kann sie mitführen und als Regen über die Landschaft ausschütten. Ein exponentielles Verhältnis.

Das alles ist nichts Neues und wird von den Klimawissenschaften seit Jahrzehnten vorhergesagt. Seit rund 120 Jahren wissen wir, dass die Verbrennung von Kohle und Erdölprodukten sowie die Entwaldung das Potenzial hat, das Klima nachhaltig zu verändern. Seit über 40 Jahren mehren sich die Warnungen der Meteorologen und Klimawissenschaftler. Seit 15 oder noch mehr Jahren sehen wir in Daten der gemäßigten Breiten die Zunahme von Extremereignissen.

Doch die Regierungen – beileibe nicht nur die hiesige, aber für die sind wir als Wählerinnen und Wähler nun einmal verantwortlich – reden viel und tun wenig, verkünden womöglich gar, wie der Ministerpräsident von NRW, wer sich auf die Wissenschaft berufe, führe irgendwas im Schilde. Das Geld wird nun mal, auch im Jahre 2021 noch, vor allem mit alten Technologien gemacht, mit Erdöl und Kohle, mit Stahl und Beton, mit Benzin- und Diesel-PKW.

Fragen

Andere Sünden tragen ein Übriges zur aktuellen Katastrophe bei. Die Versiegelung der Landschaft geht, obwohl seit Langem als Problem erkannt, unvermindert weiter. Immer neue Straßen, Gewerbegebiete und Einfamilienhaussiedlungen behindern das Wasser beim Versickern. Auch wurde in den vergangenen Jahrzehnten mancherorts an Stellen gebaut, an denen es wegen der Hochwassergefahren besser unterblieben wäre.

Derweil ist am Donnerstagnachmittag die Situation an einigen Talsperren noch immer brenzlig und hier und da werden noch Menschen vermisst. In den nächsten Tagen wird es ans große Aufräumen gehen, und es bleibt zu hoffen, dass die Versicherungen und staatliche Hilfen den Betroffenen eine ausreichende Stütze sein werden.

Und dann werden Fragen zu stellen sein, und man muss hoffen, dass sich der Bundestagswahlkampf endlich von den frauenfeindlichen Schmutzkampagnen ab- und inhaltlichen Fragen zuwendet. Allen voran der, wie der sehr zügige klimaschonende Umbau der Industriegesellschaft gelingen und wie man die Verursacher für die angerichteten Schäden zumindest indirekt haftbar machen kann, anstatt die Last einmal mehr auf den Schultern der unteren Einkommensschichten abzuladen.