Spaniens trübe Klärgeschäfte

Mit EU-Finanzierung sollen erneut 400 Kläranlagen im Land gebaut werden, dabei verfallen längst etliche fast fertiggestellte Anlagen

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Pünktlich zum Beginn der Badesaison hatte die Europäische Umweltagentur Daten zur Wasserqualität verschiedener Länder veröffentlicht. Zwar erfüllten fast 95% aller Badeplätze in Europa die Mindest-Wasserqualität. Doch mit Estland, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Irland und Spanien wurden die EU‑Mitgliedstaaten mit dem höchsten Anteil an Badegewässern mit "schlechter" Wasserqualität klassifiziert, wo das Baden bisweilen eklig oder gesundheitsgefährdend sein kann.

Mit viel Geld aus der EU wurde über Jahre in Spanien schon versucht, die Wasserqualität zu verbessern. Weil seit mehr als einem Jahrzehnt die Brüsseler Vorgaben nicht umgesetzt worden waren, wurde das Land im Jahr 2011 vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg auf Klage der EU-Kommission verurteilt, weil in 38 Städten mit mehr als 15.000 Einwohnern nicht korrekt geklärt wurde. Eine Strafzahlung zwischen 20 und 50 Millionen Euro droht, die noch nicht festgelegt ist.
Doch 2011 und 2012 folgten weitere Klagen, weil 39 Städte Abwässer ohne angemessene Behandlung in empfindliche oder potenziell empfindliche Gebiete einleiten. Dazu kommt, dass weitere 900 Kleinstädte gegen EU-Normen verstoßen.

Die EU hat die Entwicklung in Spanien ohnehin verschlafen, denn die entsprechenden Kanalisationen und Kläranlagen sollten eigentlich schon seit 1998 in Betrieb sein. Doch bis heute werden die Gesundheit von Menschen, die Binnengewässer und die Meeresumwelt gefährdet. Und die Umweltschutzorganisation WWF zeigt mit erschütternden Bildern auf, dass noch immer Abwässer ungeklärt auch in Naturschutzgebieten wie den Nationalpark Coto de Doñana fließen, ein Weltkulturerbe. Dabei wurden auch im Umfeld des andalusischen Naturparks etliche Kläranlagen gebaut, die zum Teil fast fertiggestellt wurden.

Doch wie überall in Spanien wurden auch hier meist 2011 die Arbeiten eingestellt, mit deren Bau nach der ersten Klage in Luxemburg gegen Spanien begonnen worden war. Allein unweit der Hauptstadt Madrid können in der Provinz Guadalajara fünf Kläranlagen besichtigt werden, die zu fast 90% fertiggestellt waren. Und diese Arbeiten wurden eingestellt, weil die Baufirma elf Monat kein Geld erhielt. Unbezahlte Rechnungen stapelten sich in den Schubladen der Behörden, mit denen das Defizit aufgehübscht wurde.

Allein in die Kläranlage in Torrejón del Rey-Galápagos wurden fast neun Millionen Euro der angesetzten 11,3 Millionen Euro verbaut, bevor der Baustopp 2011 kam. Von der Gesamtsumme hatte die EU mit fünf Millionen mehr als die Hälfte beigesteuert. Doch weil nach dem Baustopp nicht einmal Maßnahmen zur Sicherheit getroffen wurden, ist auch dieses Klärwerk in Torrejón längst geplündert worden. Sogar die Kabel und alles Metall wurden herausgerissen, das als Altmetall verkauft werden kann. Das muss in einem Land nicht verwundern, in dem knapp zwei Millionen der noch bei Arbeitsämtern gemeldeten Arbeitslosen nicht einmal mehr das auf sechs Monate befristete Sozialgeld erhalten. Und die müssen irgendwie versuchen zu überleben.

Allein in der Provinz Guadalajara war der Bau von 14 Kläranlagen eingestellt worden. Doch die sollen nun doch fertiggestellt werden, kündigte das Ministerium für Infrastrukturmaßnahmen der Regionalregierung Kastilien-La Mancha vergangene Woche an. Und nachdem der Skandal verwaister und geplünderter Anlagen durch die Umweltorganisation WWF an die Öffentlichkeit kam, soll es nun schnell gehen. Der Bau werde sogar noch vor der Sommerpause beginnen, erklärte Ministerin Marta García de la Calzada an. Die Lage sei 2011 extrem gewesen, "Schulden in Höhe von 500 Millionen Euro im Wasserbau, vor allem bei Kläranlagen", hätten gedrückt.

Klar ist, dass es nicht mehr bei einst veranschlagten Kosten bleibt. Und nun wird erneut in Brüssel die Hand aufgehalten. Die Zentralregierung in Madrid hat angekündigt, im ganzen Land 400 neue Kläranlagen zu bauen oder begonnene Anlagen fertigzustellen. In Kastilien-La Mancha sollen es insgesamt 78 sein. Doch das ist nur gut die Hälfte der Anlagen, die 2011 in den verschiedensten Durchführungsphasen in der Region des Don Quijote gestoppt worden waren.

Und während Spanien auf neue Millionenstrafen wegen Verstößen gegen die Wasserreinhaltung wartet, stehen die in keinem Vergleich zum Geldregen, den Madrid für den Bau der Klärwerke aus Brüssel erwartet. Denn die Zentralregierung veranschlagt Investitionen in einer Gesamthöhe von fast 1,1 Milliarden Euro und davon soll mit 700 Millionen mehr als die Hälfte aus EU-Fonds ins Land fließen. So soll erneut spanisches "Wachstum" aus Brüssel finanziert werden. Und wie in Torrejón del Rey-Galápagos soll erneut Geld für viele Anlagen fließen, in die schon Millionen geflossen sind.

Dabei fragen sich viele nicht nur in dieser Region, wo dieses Geld geblieben ist, wenn die Baufirma lange nicht bezahlt wurde. Und der Bau und Betrieb von Kläranlagen ist ein Bereich, in dem reichlich Korruption ausgemacht wird. So ermittelt das EU‑Betrugsdezernat Olaf längst genauso, wie es Anklagen von Richtern gibt. Meist laufen die Ermittlungen gegen führende regionale Mitglieder der in Spanien regierenden konservativen Volkspartei (PP), deren Korruptionsskandale bekannt sind. Der inhaftierte ehemalige Schatzmeister hat gestanden, dass sich die Partei "in den letzten 20 Jahren" illegal über "Baufirmen und anderen Unternehmen" finanziert hat, die dafür "im Gegenzug an öffentliche Aufträge" kamen.

Auf der Anklagebank muss sich derzeit zum Beispiel der Lokalfürst in Ourense José Luis Baltar für diverse Vorgänge vor Gericht verantworten. Er soll Aufträge im nordspanischen Galicien auch ohne Ausschreibungen per Fingerzeig vergeben haben und viele Posten ohne jedes Auswahlverfahren besetzt haben. Ein Teil der so gebauten Kläranlagen ist nie in Betrieb gegangen oder sie leiten Abwässer wegen Konstruktionsfehlern weiter weitgehend ungereinigt in die Landschaft.