"Triell" vor der Bundestagswahl: Baerbock gegen Enteignung
Keine Unterstützung der Kandidatin der Grünen für den Berliner Volksentscheid zur Enteignung der großen, gewinnorientierten Wohnungskonzerne. Ein Kommentar
Manches ließe sich zum sogenannten Triell, dem Dreikampf der Kanzler-Kandidatinnen und -Kandidaten, gestern Abend im ZDF sagen. Ein besonderes Trauerspiel aber war der Abschnitt zur Klimapolitik, von der sich Moderatorin und Moderator sensationell schlecht informiert zeigten. Aber dazu später in der Telepolis-Klima- und Energiewochenschau mehr.
Hier soll zunächst auf die Äußerung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock eingegangen werden, die die Enteignung von Wohnungskonzernen, wie sie in Berlin am 26.09. per Volksentscheid zu Abstimmung steht, "verhindern" will. (Etwa ab 01:06:00, hier der entsprechende Ausschnitt auf Twitter.)
Unklar bleibt dabei, ob sie – wie die Berliner SPD-Politikerin Franziska Giffey – dafür wirbt, ein etwaiges Votum der Berlinerinnen und Berliner für die Enteignung aller großen, nichtgenossenschaftlichen Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen missachten will, oder ob das nur die etwas ungeschickte Werbung für alternative Maßnahmen war.
Die Grünen wollen nämlich nach Baerbocks Worten per Bundesrecht künftig den Städten die Möglichkeit geben, die Mieten zu deckeln.
Die ehemalige Bundesfamilienministerin Giffey tritt bei den zeitgleich zur Bundestagswahl und Volksabstimmung stattfindenden Wahlen zum Berliner Landesparlament, dem Abgeordnetenhaus, als Kandidatin der SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin an. Im August hatte sie die Enteignung zur roten Linie erklärt.
Sie wolle keine Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen und kann sich offensichtlich auch keine Koalition mit Parteien vorstellen, die gegebenenfalls den Willen der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen bereit sind.
Die Berliner Grünen sind in dieser Frage hingegen eher unsicher, und die Grüne Jugend wirbt eifrig für ein Ja am großen Wahlsonntag. Meinungsumfragen räumen dem Vorhaben gute Chancen ein, aber das Rennen verspricht knapp zu werden.
Auf jeden Fall war vor Baerbocks gestriger Äußerung von den Grünen keine Werbung für ein Nein zu hören, vermutlich wohl wissend, dass dies in Berlin bei der Mehrheit der eigenen Klientel nicht besonders gut ankäme.
Mieten für die Dividende
Baerbock hat da jedoch offensichtlich die eher bürgerliche Anhängerschaft im Westen der Republik im Auge, muss sich dann aber fragen lassen, wie es denn nun mit Klimaschutz und vor allem der von der Fridays-for-Future-Jugend eingeforderten Klimagerechtigkeit aussieht.
Denn gerecht kann man es ja wohl kaum nennen, wenn Menschen zu Tausenden aus ihren angestammten Stadtteilen und Kiezen, wie der Berliner sagt, verdrängt werden, weil sie sich die immer weiter steigenden Mieten nicht leisten können.
Gerecht ist es wohl nicht zu nennen, wenn, wie der Mieterverein schreibt, Mieterinnen und Mieter im Geschäftsjahr 2020 im Durchschnitt monatlich beachtliche 195 Euro oder rund 40 Prozent der Miete für die Dividende der Aktionäre aufbringen mussten. Bei Vonovia waren es im gleichen Zeitraum, so der Verein in seinem Mitgliedermagazin, 191 Euro im Monat.
Man mag einwenden, das habe nichts mit Klimaschutz zu tun, doch ganz so einfach ist es nicht. Denn international sind sich viele Soziologen und Ökonomen, die sich mit Klimaschutzszenarien beschäftigen, darin einig, dass wirksamer und rascher Klimaschutz nur in Gesellschaften funktionieren kann, in denen es halbwegs gerecht zugeht und die Polarisierung zwischen Arm und Reich nicht zu stark ist.
Haben größere Teile der Gesellschaft das Gefühl, vor allem sie hätten die Lasten des Klimaschutzes zu schultern, während die Reichen keinen angemessenen Beitrag leisten, dann werden die politischen Reibungskräfte zu groß.
Kein Klimaschutz ohne Gerechtigkeit
Das kann man unter anderem im zusammenfassenden Bericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) aus dem Jahre 2018 nachlesen, der der Frage nachging, auf welchem Niveau die globale Erhitzung möglichst gestoppt werden sollte. Das konnte man aber auch an den Protesten der Gelben Westen 2018 und 2019 in Frankreich sehen.
Zum anderen hat die Frage der großen Mietwohnungsbestände auch direkt manches mit Klimaschutz zu tun. Der Gebäudesektor gehört zu den großen Quellen für Treibhausgas. Maßnahmen, die der Wärmesanierung dienen sollen, werden vor allem genutzt, um die Mieten in die Höhe zu treiben und Altmieter aus den Wohnungen zu drängen. Gleichzeitig ist der Klimaschutzeffekt in diesem Sektor bisher nur dürftig und der Nachholbedarf besonders groß.
Bekommen Mieterinnen und Mietern sowie der Stadtgesellschaft ein Mitspracherecht bei der Verwaltung der Wohnungen, wie es den Initiatorinnen und Initiatoren des Volksentscheides vorschwebt, könnte umgesteuert werden.
Wenn die Interessen der in den Häuser Wohnenden im Vordergrund steht, dann könnten Kostensenkung und Klimaschutz Hand in Hand gehen und vielleicht auch noch der Ausbau der Fotovoltaik auf den Dächern beschleunigt werden.
Doch dieser öffentlichen Kontrolle eines wesentlichen Teils des Lebens und eines auch für die Klimapolitik wichtigen Sektors erteilt Baerbock eine Absage. Bleibt also die Frage an die Grünen, wie haltet ihr es nun mit der Klimagerechtigkeit?