Frankreich: "Autoritär agierende Polizei ohne Kontrollinstanz"
Festnahmen von unabhängigen Journalisten bei Gelbwesten-Demonstrationen
Von den politischen Forderungen der Gelbwesten-Demonstrationen ist in Medien keine Rede mehr. Die samstäglichen Akte der Gilet jaunes tauchen noch in den Medienberichten auf, aber das politische Moment des Teils der Protestbewegung, der sich auf den Straßen zeigt, ist vergangen.
Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen seit mehreren Wochen schon Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung und Gewalt. Die Gelbwesten-Demonstrationen werden im Spiegel der Medienberichte vor allem mit Gewalt assoziiert. Das Etikett klebt an ihnen, auch wenn ein genauerer Blick zeigt, dass die Ordnungsmächte daran wesentlich mitwirken.
Lieber woanders hingehen
Am vergangenen Samstag, dem 23. in der Folge, konnten bei schönstem Wetter nach offiziellen Angaben nur mehr knapp 28.000 in ganz Frankreich dazu mobilisiert werden, sich auf der Straße zu zeigen. Die "Gelbe Zahl" (Nombre jaune), die eine eigene Zählweise postuliert, kam am 21. April zwar auf eine Schätzung von immerhin etwa 100.000, was Unverdrossenheit und Konstanz anzeigt, aber an die früheren Zahlen nicht heranreicht.
Die Schwierigkeiten, mit denen die Zählung seit einiger Zeit neu zu tun hat, hängt mit dem veränderten Ansatz der Sicherheitskräfte zusammen, denen sowohl ein verschärftes, von Rechtswissenschaftlern kritisiertes Gesetz gegen Randalierer ("Casseurs") zu neuen Möglichkeiten verhalf, wie auch eine von oben angewiesene härtere Gangart nach den Ausschreitungen vom Acte 18, die noch einmal weltweit Schlagzeilen gemacht hatten (Paris: Panik auf den Boulevards). Macron war damals extra frühzeitig von seinem Skiurlaub zurückgekehrt, um eine andere Vorgehensweise anzukündigen.
Der Leiter der Ordnungskräfte in Paris wurde Tage später entlassen, u.a., wie später berichtet wurde, weil er nicht genügend entschieden auf den Einsatz der gefährlichen "nicht-tödlichen Waffen" gepocht hatte. Der Krisenstab tagte, brachte die Armee als Verstärkung ins Spiel und die Kategorie "Aufrührer" für die Gelbwesten.
Seit dem neuerlichen Ausbruch der Gewalt, für die die Zerstörungen des Restaurants Le Fouquet's das Symbolbild abgaben, wurden markante Strecken und Orte für Gelbwesten-Demonstrationen gesperrt, allen voran die Champs Elysées in Paris wie auch der Triumphbogen, die Menge musste sich neue Wege suchen und auch neu verteilen.
So kam es dazu, dass sich laut Medienberichten manche Demonstranten in anderen Städten die gelben Westen auszogen, um überraschend an für sie nicht genehmigten Orten wiederaufzutauchen. Das führte auch dazu, dass die Schätzungen der Teilnehmer schwieriger wurden, wie am Rande angemerkt wurde.
Plausibler noch für die abnehmenden Teilnehmerzahlen ist die Erklärung, dass sich wahrscheinlich nicht wenige Gelbwesten reiflich überlegt haben, ob sie zu Demonstrationen gehen und riskieren, dass sie in eine Auseinandersetzung geraten, bei denen es alles andere als harmlos zugeht (um hier auch die andere Seite der Gewalt zu erwähnen: Auch ein von Demonstranten initiierter Hagel aus Pflastersteinen und Stöcken ist nichts, was viele zur Demo lockt).
"Einseitige Berichterstattung"
Die Gilets jaunes empörten sich seit längerem schon darüber, dass ihr Protest im Medienspiegel auf Gewaltausschreitungen reduziert wurde, während die Polizeigewalt, die schon früh außerordentliche Ausmaße angenommen hatte, aus dem öffentlichen Blick verdrängt wurde. Am Montagabend signalisierte der Journalist David Dufresne den 684ten Akt der Gewalt vonseiten der Sicherheitskräfte an das Innenministerium.
In sozialen Medien, Interviews und Berichten beklagten Gelbwesten und Unterstützer eine einseitige Berichterstattung. Die Proteste würden diffamiert, verzerrt dargestellt, ausgerichtet nach Interessen der Regierung, werfen sie den großen Medien vor. Der Verdacht, dass es sich um eine konzertierte politische Aktion handele, gehört längst zum Kontertanz der Argumente, wenn es um die Gelbwesten geht. Die Schlagzeilen des vergangenen Samstags verhaken sich exakt an diesem heiklen Punkt, an dem die sogenannte "vierte Gewalt" einer funktionierenden Demokratie und der Umgang mit Medien und Medienvertretern zur Debatte steht.
Journalisten, die anders arbeiten
Am vergangenen Wochenende fielen nämlich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Journalisten auf und sorgten für Aufsehen. Einige Journalisten wurden festgenommen und in Polizeigewahrsam gebracht, zwei, Gaspard Glanz und Alexis Kraland, haben sich als unabhängige Journalisten, die beide unkonventionell aus nächster Nähe berichten und damit "die Polizei stören", einen Namen gemacht. Der Vorwurf an die Verantwortlichen lautet auch hier, dass dies kein Zufall sei. Von manchen kommt sogar der Vergleich mit autokratischen Systemen.
Zu denken geben die Vorfälle, rühmt doch Macron zu jeder Gelegenheit die Demokratie in der französischen Republik, in der Gewalt keinen Platz habe. Glanz war deutlich als Pressevertreter zu erkennen. Eine Polizistin, die ihn ansprach, kannte ihn sogar. Zur Festnahme führte eine Auseinandersetzung in Folge einer Beschwerde des Journalisten bei den aufgereihten Polizisten, nachdem auf ihn mit einer Granate gezielt worden war, als er sich mit einem Polizisten unterhielt. Daraufhin wurde er gestoßen, was mit dem Zeigen des Mittelfingers beantwortete. Danach kam es zu einer Überwältigung des Journalisten, der gefesselt wurde und aufs Revier gebracht wurde.
Er musste bis Montagabend in Polizeigewahrsam bleiben, obwohl Anwälte eingeschaltet worden waren; am Montag wurde er dem Richter vorgeführt, der ihm untersagte, bis Oktober dieses Jahres an samstäglichen Demonstrationen in Paris teilzunehmen.
Vorgeworfen wird ihm unter anderem "Beleidigung einer Amtsperson" sowie die "Teilnahme an einer Versammlung, die darauf aus ist, Gewalttaten zu begehen oder Schäden zu verursachen" - nicht nur für Mediapart ist dies ein "schwerer Angriff auf die Informationsfreiheit". Auch der in Frankreich bekannte Intellektuelle Geoffroy de Lagasnerie verurteilt das autoritäre Vorgehen der Polizei und betont die Notwendigkeit einer unabhängigen Presse.
Fotoapparat als "Waffe"
Auch der andere Journalist, Alexis Kraland, dessen Fotoapparat von der Polizei als "Waffe" bezeichnet wurde, musste Schläge einstecken und viel Zeit in den Händen der Polizei verbringen. Auch ihm wird die Teilnahme an der Demonstration vorgeworfen, er sieht sich als Berichterstatter.
Wie wichtig unterschiedliche Sichtweise auf die Gelbwesten sind, demonstrierte am Wochenende der Spiegel und ntv. Deren Berichterstattung über die Demonstrationen am vergangenen Samstag konzentrierten sich auf einen "Höhepunkt des Hasses": auf Gesänge aus den Reihen der Gilets jaunes, die Polizisten zum Selbstmord auffordern. Bildmaterial dazu von der französischen Publikation Obs zeigt einen Ausschnitt der Demonstration, die den empörenden Vorfall bestätigt.
Umso wichtiger sind die Zeugenberichte, die zeigen, in welchem Rahmen sich solche Akte abspielen. Im Umgang mit Medienvertretern haben Teile der Gelbwesten übrigens auch schon brutale Angriffe gegen Journalisten ausgeübt, deren Berichterstattung ihnen missfiel. Auch das gehört zum Gesamtbild eines Protestes, der noch immer keine eindeutige Struktur hat.