Tweet und weg

Twitter nun Tweets, die nach 24 Stunden verschwinden. Super Idee

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Ausgerechnet jetzt, wo Snapchat eigentlich schon wieder auf dem absteigenden Ast ist und sich sowieso immer weniger Kids um die Plattform kümmern, nimmt sich Twitter das Tool zum Vorbild und versucht sich an einem Feature, mit dem die Vorbild-Filtergören aus Kalifornien groß wurden: Man will jetzt Tweets testen, die nur 24 Stunden zu finden sein sollen.

"Test" heißt natürlich nicht, dass man jetzt weltweit nach 24 Stunden wieder alles vergessen kann. Nein, nein. Als Probeland hat man sich hier Brasilien ausgesucht. Angeblich, weil die dortigen Twitteruser am kommunikativsten sind. Wie jetzt? Heißt das, in Brasilien tauscht man dermaßen viel über Twitter aus, dass eine Löschung nach 24 Stunden fast ein wenig wie ein Abräumen des übervollen Frühstücktisches daher kommt? Na, wenn da mal einer nicht zu sehr in Klischees gedacht hat bei Twitter. Klar, die plappernden Südamerikaner mit ihren blauen Papageien im Blut quasseln so viel, da räumt man am besten mal täglich die Bude durch, und das werden die vermutlich dann auch noch gut finden.

Und wenn da einer mal nicht zu kurz gedacht hat. Wenn das Feature sich in Brasilien als Hit erweist und deshalb mit fliegenden Fahnen in die USA oder nach Europa oder weltweit zum Einsatz kommt, dann sind doch Tür und Tor dem Vergessen geöffnet. Nicht dass ich mir um unsere Digitaldemenz Sorgen mache. Wegen der kann man mir ja heute schon dreihundert Mails schreiben, die ich doch nie in der Inbox lese. Löschen oder nicht.

Nein, es scheint mir dann ein Feature auf Twitter Platz zu finden, das die perfekte Steilvorlage für "Habe ich doch nie gesagt." bietet. Da muss man nicht an einen bestimmten US-Präsidenten oder an eine bestimmte Rechtsaußenpartei in Deutschland denken, um das nackte Schaudern zu bekommen. Sobald sich eine gewisse Äußerung nach 24 Stunden nicht mehr nachvollziehen lässt, sind gewisse Herren und Damen fein heraus, sobald ihnen wegen eines daneben gegangenen Tweets auf die Finger geschlagen werden soll.

Twitter meint, man teste das Feature für solche, die ein wenig scheu sind und sich deshalb nicht trauen zu tweeten. Das sei ihnen zu öffentlich, aber mit dem Wissen, dass auch der größte Hirnfurz (gut, so hat es Twitter nicht ausgedrückt) nach 24 Stunden wieder verschwunden ist, ist man da vielleicht nicht mehr so verkrampft.

Diesen sensiblen Zeitgenossen darf ich vielleich sagen, dass das nun mal so ist, wenn man sich an ein – potentielles – MIllionenpublikum in einem weltweiten Medium wendet. Wenn Du auf der Bühne stehst, gibst Du etwas von Dir, das für ein Publikum gedacht ist. Und die applaudieren oder attestieren Dir Stümperei. Damit musst Du und sollst Du in einem Massenmedium leben. Sonst geh lieber in ein stilles Kämmerchen und schreibe all das Gesagte in Dein Tagebuch. Das ist auch schön. Kurze Schmetterarien, die nach 24 keiner mehr memorieren kann, sollte es nicht geben. Nicht hier.

Schon alleine wegen den Heinis, die uns jeden Tag die Ohren vollgröhlen und dann nichts gesagt haben wollen. Ich sage jetzt mal "Hanau". Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran.