"Cum-Ex"-Serie: Der böse Olaf Scholz und die guten Staatsanwälte
"Die Affäre Cum-Ex - Episode 3". Foto: ©ZDF und Nikola Predović.
ZDF-Double-Feature: Die Dokumentation: "Systemfehler: Der Cum-Ex Skandal" siegt über die Fiktion "Die Affäre Cum-Ex". Fakten schlagen Moral.
"Wo lebst du eigentlich? Was ist vollkommen ohne Risiko?"
Dialogauszug
"Keiner liebt den Verräter, aber die Welt liebt den Verrat", sagte angeblich Julius Caesar. Ein bisschen so ähnlich geht es einem mit der ZDF-Serie "Die Affäre Cum-Ex", die jetzt in acht Teilen einen Teil des möglicherweise größten Wirtschaftsverbrechens der europäischen Geschichte in einer Mischung aus ernstem moralischem Fernsehen und flockiger Komödie nachzuerzählen versucht.
Das Publikum will vielleicht in Wirklichkeit böse Menschen hinter Gittern sehen, auf der Leinwand und dem Serienbildschirm schaut man aber lieber gerissenen Schurken beim cleveren Betrügen zu.
Man träumt sich selbst lieber auf die amoralischen Protzpartys der Superreichen, als spießige Ermittler in Strickjacken in die Kantine zu begleiten, wie sie auch beim Vanillepudding noch versuchen, hinter die Tricks der Superbanker und ihrer Top-Anwälte zu kommen.
"Die Fiktion kann man sich eigentlich auch sparen"
Philipp Bovermann brachte das doppelte Dilemma dieser Fiktion in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt:
Was macht man mit Leuten, die Milliarden aus der Staatskasse klauen, vermutlich bis heute, für die sich aber kaum jemand ernsthaft interessiert? ... Die Fiktion kann man sich eigentlich auch sparen, wenn es um avancierte Finanzbetrügereien geht. Die Realität ist genauso irre.
Wahrscheinlich sogar noch viel irrer. Denn "Cum Ex" ist kompliziert. Sehr, sehr kompliziert. Sogar den amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz lässt da sein Gedächtnis im Stich.
Schließlich brauchte es ein überaus verwirrendes Geflecht aus Investoren, Bankern und Anwälten, um mehr als 140 Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen zu klauen, salopp gesagt durch – illegale – doppelte Kapitalertragsteuerrückzahlungen bei – legalen – Stichtagsgeschäften mit – legalen – Leerverkäufen.
Auch hier trägt die Digitalisierung die Hauptschuld, weil sie die bis in die 1980er-Jahre auf Papier ablaufenden Börsengeschäfte virtualisiert und um ein Vielfaches beschleunigt hat.
Nie ohne den ständigen Unterton moralischer Empörung
"Wollen Sie die Welt zu einem besseren Ort machen?" – "Ja."
Dialogauszug
"Wie ja?" – "Ja, ich will die Welt zu einem besseren Ort machen."
Auf Grundlage der Recherchen des "Correctiv"-Journalisten Oliver Schröm und unter der souveränen Regie von Jan Schomburg erzählt die deutsch-dänische ZDF-Serie von dem unglaublichen Finanzskandal zwar nicht ohne Längen, verwirrende Schauplatzwechsel und unwichtige Details, aber doch immer einigermaßen kurzweilig.
Allerdings auch nie ohne den ständigen Unterton moralischer Empörung: Mit einem Schriftzug "Inspiriert von wahren Ereignissen. Leider" geht es bereits gleich zu Beginn los, damit der moralisch orientierungslose ZDF-Zuschauer ja nie an der aufrechten Gesinnung der Macher zweifeln kann oder gar auf den Gedanken kommen könnte, sie hegten klammheimliche Sympathien für die Hauptfiguren, ihre Gier, den Luxus und teure Anzüge.
Man will dann noch irgendwie in jedem Fall auf der richtigen Seite stehen. Deswegen erfahren wir nichts wirklich von den Charakteren der Schlüsselfiguren, hochbegabter Fondsmanager und Finanzjuristen, die die ganzen Cum-Ex-Tricks einfädelten.
Und was wir erfahren ist vor allem kurios, aber nie aufschlussreich: Justus von Dohnányi, der den Erfinder der Cum-Tricks spielt, den ehemaligen Finanzbeamten Bernd Hausner, der im wahren Leben Hanno Berger heißt, ein Frankfurter Top-Anwalt, der alle Steuer-Tricks kennt, bekommt in den ersten Folgen den Running-Gag regelmäßiger Gänge zur Autowaschanlage und die Anschaffung einer eigenen Autowaschanlage im Garten ins Drehbuch geschrieben, bevor diese Szenen ab der Mitte der Serie genauso fallen gelassen werden, wie Hausners Familie.
Und sein junger Adlatus Sven Lebert (Nils Strunk; Vorbild: Kai-Uwe Steck) wird als etwas naiver Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen geschildert, dessen Vater ihm einmal vorhält: "In meinem Leben ist das Betrug", worauf der Sohn antwortet:
Im Finanzmarkt ist das alles anders, da gehen die mit dem echten Leben nicht hin.
Ansonsten hat keine der deutschen Hauptfiguren ein nennenswertes Privatleben – das bleibt den Protagonisten der recht sinnlosen dänischen Nebenhandlung vorbehalten –, alle tun, was sie tun müssen und agieren ungebrochen mit vorhersehbaren Resultaten vor sich hin.
Poolpartys mit Escortgirls
Wirklich interessant wird es immer dann, wenn in eher spärlichen Szenen die gute und die böse Welt aufeinander klatschen, fassungslos einander anschauen und Dialoge entstehen, wie dieser zwischen der deutschen Staatsanwältin und ihrem Schweizer Kollegen, der Verdächtige nicht so einfach ausliefern möchte:
"Das ist ein für mich verstörendes Rechtsverständnis."
"Wissen Sie, wie egal es mir ist, ob sie das verstört oder nicht?"
"Ja, ja, ich glaube das weiß ich schon."
"Na dann."
Interessant ist es auch, wenn die Serie zeigt, wie die Strukturen alltäglicher Finanzwirtschaft funktionieren: Dass es Leute gibt, die die Politik beeinflussen, die die Gutachten kaufen und so versuchen, an der Gesetzgebung mitzuschreiben.
Aber das Bild der Superreichen ist dann doch – vermutlich dem moralischen Furor geschuldet – etwas enttäuschend in seiner Klischeelastigkeit.
Den Machern sind keine besseren Bilder für Reichtum eingefallen, als spießige Trüffelpasta, als ein pakistanischer Broker, der sich nackt auf seinen Luxussportwagen legt und unveröffentlichte "Prince"-Aufnahmen sammelt und ein britischer Geldproll, der auf Malle Poolpartys mit russischen Escort-Girls feiert und auf dem Grill Okapis brutzelt – oh weh, das müssen ja wirklich böse Menschen sein! Und Nietzsche liest der Mann auch noch ... Ach du liebe Güte!
Nur für den Spiegel sind das "krasse Szenen der Enthemmung".
"Ich bin im Recht. Denn alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt"
Dass sie einem großen Politiker wie Scholz ans Bein pissen können, das ist alles, was sie wollen.
Hausner, "Die Affäre Cum-Ex"
Die Serie macht es sich allzu einfach mit ihrer sehr schlichten Kapitalismus-Kritik, die so tut, als sei jeder Finanzinvestor ein Krimineller.
Am Ende der acht Folgen gibt es auch noch ein paar unbewiesene Behauptungen und zwei, drei schale Witze über Olaf Scholz, die genau das bestätigen, was der gemeine, halb informierte Zeitungsleser sowieso über den Zusammenhang zwischen Scholz und Cum-Ex denkt.
Im Tagesspiegel wird daraus "die unrühmliche Rolle von Olaf Scholz" – was aber vorerst üble Nachrede bleibt, solange sie juristisch nicht zu beweisen ist. Dies ist der einzige und vollkommen unnötige Moment, in dem die Serie einseitig, aber nicht dramaturgisch motiviert, ihren fiktionalen Rahmen hinter sich lässt.
"Kommt Scholz da heil raus?", heißt es irgendwann. "Das ist das Ende seiner Karriere", lautet die Antwort. "Schmunzel, schmunzel" stand an solchen Stellen in den lustigen Taschenbüchern unserer Kindheit.
Die Doku: "Systemfehler: Der Cum-Ex-Skandal"
Dann besser gleich die Wirklichkeit. Fast unterhaltsamer und jedenfalls spannender ist nämlich die parallel gesendete ZDF-Dokumentation "Systemfehler: Der Cum-Ex-Skandal" von Judith Lentze.
Dem Film gelingt es erstaunlich gut, mit ein paar Animationen und Expertenstatements die komplizierten Finanzgeschäfte anschaulich zu vermitteln. Und die echten Menschen sind nicht weniger fesselnd als ihre Darsteller, eher mehr.
Es ist auch einfach lustig, wenn Hauptkronzeuge Kai-Uwe Steck erklärt: "Ein US-amerikanischer Pensionsfonds wird bei einer deutschen Steuerbehörde sowieso nie hinterfragt" und als dann genau das geschah, weiter ausführt:
Herr Berger fasste es persönlich als Affront auf, wenn ein Finanzbeamter sich überhaupt erdreistete, seine Erstattungsanträge im Zweifel zu stellen.
Keine Erstattung bedeutet: Sabotage! Kettenreaktion: die Investoren haben kein Geld bekommen, weder ihre Profite noch ihr eingesetztes Kapital. In dem Moment: Kernschmelze.
Gegen so gute Formulierungen sind die Dialoge der Serie allzu weichgespült fürs ZDF-Seniorenheim.
Oder wenn es später heißt: "Der Fall der Commerzbank: Der deutsche Staat rettet eine Bank und die macht dann Geschäfte zulasten des Steuerzahlers."
Cum-Ex-Genie Hanno Berger ist zwar längst verurteilt – und das mit einer Strafe zwischen acht und 15 Jahren weit höher, als es das Mindeststrafmaß für bewaffneten Banküberfall (fünf Jahre) oder Vergewaltigung (zwei Jahre) vorsieht – doch bis heute ist er der Ansicht:
Ich bin im Recht. Denn alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt.
Worüber man immerhin diskutieren könnte.
"Die Affäre Cum-Ex" und die Dokumentation "Systemfehler: Der Cum-Ex-Skandal" sind in der ZDF-Mediathek zu sehen.