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"Wir wiederholen die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre"

Der linke Bundestagsabgeordnete und Liedermacher Dieter Dehm (links) war in Hannover Gastgeber seiner beiden prominenten Politikerkollegen. Foto: Stefan Korinth

Yanis Varoufakis und Oskar Lafontaine warnen gemeinsam vor Krieg und Wirtschaftsdiktatur

Zum Auftakt des Kommunalwahlkampfs in Hannover hatte die Partei "Die Linke" zwei prominente Redner zusammen auf eine Bühne in der Innenstadt gebracht: den früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis und den saarländischen Oppositionsführer Oskar Lafontaine. Sie warnten vor Abschottungstendenzen, vor einer Wirtschaftsdiktatur und vor einem großen Krieg.

Der frühere Vorsitzende der Linken Oskar Lafontaine und der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sprachen in Hannover gemeinsam bei einer Wahlkampfveranstaltung der Linken. Foto: Stefan Korinth

Der Kapitalismus habe zwei große Krisen erlebt: Die Weltwirtschaftskrisen ab 1929 und ab 2007, erklärte Varoufakis. Beide Male sei die Wall Street in New York kollabiert. Und in Folge beider Krisen seien die europäischen Staaten aufeinander losgegangen. "Werden wir die Lektion noch lernen?", fragte er. "Wir haben derzeit eine Wiederholung der 1930er Jahre. Eine Krise aus New York kommt nach Europa und fragmentiert uns." Die Europäer müssten sich dagegen stemmen und solidarisch miteinander sein.

Viele Leute würden ihm aber immer wieder sagen: "Die Europäer sind so verschieden. Portugiesen, Deutsche, Ungarn haben wenig gemeinsam." Varoufakis, der ab 2013 als Ökonomie-Professor an der Universität Texas in Austin lehrte, erwidere dann immer: "Verbringen Sie mal ein Jahr in Texas. Dann wissen Sie, wie es sich anfühlt, Europäer zu sein. Dann wissen Sie, wie nah sich Portugiesen, Griechen, Deutsche und Ungarn sind."

EU-Wirtschaftspolitik kann demokratisch nicht geändert werden

Die griechische "Koalition der Radikalen Linken" (Syriza) sei Anfang 2015 nicht gewählt worden, weil alle Griechen Kommunisten geworden seien, sagte Varoufakis. "Nein, wir wurden gewählt, weil Griechenland zusammengebrochen war." Doch der linke Wahlerfolg in Griechenland sei für die EU und ihre Kürzungspolitik irrelevant gewesen. "Wahlen dürfen nicht die Wirtschaftspolitik Griechenlands ändern", habe ihm der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gesagt. Dieses Denken komme der kommunistischen Partei Chinas schon sehr nahe, kommentierte Varoufakis.

Die EU-Wirtschaftspolitik habe zwar versagt. Doch man könne sie ganz offensichtlich nicht demokratisch ändern. Aus der Krise erwachse immer mehr Autoritarismus und dieser wiederum befeuere die Krise weiter. Diese Negativspirale sei eine große Gefahr für ganz Europa. Das EU-Establishment sei unmenschlich, weil es ineffizient sei, kritisierte der 55-Jährige.

Oligarchenkapitalismus auch in Europa und USA

Weltweit herrsche heute ein Oligarchenkapitalismus, ergänzte Oskar Lafontaine in seiner anschließenden Rede. Dabei sei die westliche Variante klar stärker als der Oligarchenkapitalismus des Ostens. Im Kampf zwischen den USA und Russland gehe es nicht um Demokratie. Der russische Präsident Wladimir Putin sei das Feindbild der USA, weil er anders als sein Vorgänger Boris Jelzin die russischen Rohstoffe nicht den USA überlassen wollte. "Es geht immer nur um Rohstoffe, um Leitungen und Absatzmärkte, nicht um Frauenrechte."

Die Kriege weltweit resultierten letztlich aus wirtschaftlichen Auseinandersetzungen. Der Westen verrate permanent seine angeblichen Werte, so Lafontaine. "Wir plündern die armen Länder aus, wir überschwemmen diese Länder mit unseren subventionierten Landwirtschaftsprodukten, wir fischen die Weltmeere leer und Länder, die sich nicht fügen, werden mit Krieg überzogen."

Es sei erbärmlich, wie die Bundesregierung vor dem "Terrorpaten Erdogan" und vor den USA kusche, kritisierte Lafontaine. Die Kanzlerin sei weder in der Lage, gegen das Abhören durch die "weltweite Stasi" (NSA) noch gegen die von deutschem Boden betriebenen Drohnenmorde der USA aufzustehen. Die EU brauche endlich eine eigenständige Außenpolitik.

Mehrheitsinteressen setzen sich nicht durch

Der westliche Oligarchenkapitalismus entfache nicht nur Kriege, er gefährde auch die Demokratie in Europa. Demokratie bedeute, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen, erläuterte der frühere Vorsitzende der Linken. Wer heute aber auf Steuern, Arbeitnehmerrechte, Rente oder Kriege schaue, der sehe, dass meist gegen die Interessen der Mehrheit entschieden werde. "Wir haben keine Demokratie in Europa." Wenige Reiche entschieden, wo es lang gehe. "Die Interessen der Wirtschaft stehen über allem."

Auch Lafontaine warnte vor einer gegenseitigen Abschottung europäischer Länder. "Wir brauchen keine Re-Nationalisierung, sondern eine Re-Demokratisierung." Dabei beginne Demokratie in den Betrieben. Menschen müssten dort selbstbewusst für ihre Interessen streiten dürfen. "Wir brauchen Belegschaftsunternehmen", forderte Lafontaine. Viel mehr Gesetze müssten zudem statt im "Lobbyistensumpf" in Brüssel wieder vor Ort in Städten und Gemeinden gemacht werden dürfen.

Der Kapitalismus sei es, der Europa destabilisiert, unterstrich Lafontaine. Selbst Konservative hätten das inzwischen erkannt. So habe selbst der aktuelle Papst schon betont, dass diese Wirtschaft tötet. Die Wirtschaft versuche auch mit Abkommen wie TTIP oder CETA weiter die Demokratie auszuhebeln. Die linken Politiker riefen zur Teilnahme an den Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen während des anstehenden Besuchs des US-Präsidenten Barack Obama Ende April in Hannover auf.

"Merkel zeigt kein Herz für Flüchtlinge"

Auch zum Thema Flüchtlinge äußerten sich Lafontaine und Varoufakis: Nur da sich etablierte Parteien nicht um die Interessen der Mehrheit kümmerten, habe die Partei Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Flüchtlingsthema eine Chance bekommen, meinte Lafontaine. Die Zerstörung des Sozialstaates habe der Rechtsradikalisierung den Weg bereitet. Wer Menschen vieles kürzt, kann nicht erwarten, dass sie Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, erklärte er. Dementsprechend folge auch die AfD einem antisozialen Programm.

Aber auch Angela Merkel und die Wirtschaftseliten zeigten kein "Herz für Flüchtlinge", sagt er. Die Kanzlerin sei unglaubwürdig, weil sie sich für bedürftige Menschen in Deutschland nicht einsetze. Sie schließe Steuererhöhungen für Reiche aus, stattdessen wolle sie wegen der Flüchtlinge über Ausnahmen vom Mindestlohn diskutieren. Die Wirtschaft sehe in den Asylsuchenden auch lediglich billige Arbeitskräfte.

Die deutsche Kanzlerin habe einen skandalösen Vertrag mit der Türkei geschlossen - einem Land, in dem der Präsident die Polizei in Zeitungsredaktionen schicke, sagte Varoufakis. Griechenland werde nun gezwungen, Flüchtlinge in die Türkei zu deportieren. Europa sollte Flüchtlinge stattdessen versorgen. "Wir sind stark genug, mit dem Problem umzugehen." Europa sei besser dran, wenn es den Menschen helfe und sie hereinlasse.

Auch die linke spanische Europa-Abgeordnete Maite Mola, die bei der Veranstaltung kurz sprach, kritisierte das Abkommen mit der Türkei. Es sei illegal und verkaufe die Menschen. Zudem gebe es keine Kontrolle darüber, was mit den Milliarden für Erdogan tatsächlich passiere. Die Türkei sei eine Diktatur, die mit dem Islamischen Staat paktiere. Die europäische Gemeinschaft solle das Geld lieber dafür aufwenden, Frieden im Nahen Osten herzustellen, sagte die Vizevorsitzende der Europäischen Linken.

Sie lobte die griechische Bevölkerung, die trotz der neoliberalen EU-Kürzungspolitik das Wenige, das sie habe mit Flüchtlingen teile. Griechenland sei ein einziges riesiges Flüchtlingslager. "Das ist eine humanitäre Krise."

Weltpolitik hat Auswirkungen auf Kommunen

Mit der Einladung europaweit bekannter Linker zu dieser Veranstaltung wolle die "Die Linke" daran erinnern, dass internationale politische Entscheidungen große Auswirkungen auf die Situation in Städten und Gemeinden vor Ort hätten, erläuterte der hannoversche Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm. Krieg sei die Fluchtursache Nummer eins. Merkels "Wir schaffen das" sei deshalb Bigotterie. Gegen Kriege tue sie nichts. Die Kommunen aber müssen sich letztlich um Flüchtlinge kümmern.

Das Geld für Militäreinsätze etwa solle besser in die Entwicklungshilfe fließen und so Bleibegründe in den Heimatländern schaffen. Die Linke wolle als einzige Partei die großen Fragen von Krieg, Frieden und Kapitalismus auch in Kommunalwahlen zur Sprache bringen, sagte Dehm. Die Partei möchte auf Kommunalebene zudem neue Bündnisse gegen Krieg und dessen Profiteure aufbauen, heißt es in einer Ankündigung. "Wir müssen die Kommunalwahl politisieren."


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