Tokyo: Stadt als Terminal und Terminal als Stadt

Seite 4: Zur Kritik der Stadtmetapher

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Die Stadtmetapher ist eine Eselsbrücke, eine Mnemotechnik, die das Eingewöhnen in eine ungewohnte Welt erleichtern soll. Man muß jedoch darauf achten, wo sie sinnvoll und wo sie überflüssig oder hinderlich ist. Die meisten Operationen in der Matrix beziehen sich auf Information. Information hatte ihre Orte, solange sie an physische Träger gebunden war. Daß sie sich davon gelöst hat, ist die Revolution des digitalen Zeitalters. Um meine Email zu beantworten, benötige ich keine grafische Repräsentation eines Postamtes; um die nahtlose, globale Bibliothek zu konsultieren keinen Lesesaal. Im Informationsraum gelten Operationen von Suche und Filterung, Sortierung und Darstellung. Deren Kriterien sind Effizienz, Treffsicherheit oder Geschwindigkeit. Jede Einkleidung in Metaphern wäre überflüssiger Zierrat.

Die Metapher von urbanen Räumen macht aber dort Sinn, wo nicht Information gefragt ist, sondern wo Menschen in Echtzeit kontinuierlich und intensiv miteinander kooperieren. Für eine reiche zwischenmenschliche Kommunikation, die Nuancen und Mehrdeutigkeiten erlaubt, ist ein Leib nötig. Und der existiert im vierdimensionalen Raum. Habitat ist nur eine schwache Vorahnung davon. Im Bereich innerbetrieblicher Computer Aided Collaboration wird an Avataren gearbeitet, die non-verbale Kommunikation ermöglichen, geht es um die Verräumlichung der Stimmen einzelner Sprecher, Blickkontakt, Emotionalität in Mimik und Stimme. Diesen virtuellen Körpern werden als Kontext, wenn nicht eine ganze Stadt, so doch Zimmer mitgegeben, Versammlungsräume, Kleingruppenarbeitsplätze, an denen die Materialien für das laufende Projekt liegenbleiben, private Büros für Zweiergespräche. Kriterien sind hierfür Emotionalität, Mehrdimensionalität und Redundanz.

Die rasante Entwicklung bei 3D-Grafikprotokollen läßt damit rechnen, daß wir die virtuellen Räumlichkeiten bald beziehen können. Bis zum Avatar mit einem menschlichen Gesicht ist allerdings noch einiges an Grundlagenforschung erforderlich. Programme, die eine menschliche Metapher verdienten, also komplex genug sind, als daß eine F-Tastenbedienung nicht doch noch effizienter wäre, sind noch nicht abzusehen. Im Bereich Agenten tut sich einiges, aber der Bibliothekar im Metaversum aus Neal Stephenson's Snow Crash, der nicht nur auf Schlüsselwörter hin Dokumente präsentiert, sondern eine natürlichsprachliche Unterhaltung über ein Thema führen kann, ist noch Science-Fiction.