Vorreiter im Klimaschutz gesucht

Bild: NOAA

Die Energie- und Klimawochenschau: Von bescheidenen Ergebnissen der Klimaverhandlungen in Bonn und vorsichtig optimistischen Wissenschaftlern

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Auch im September haben sich die Temperaturrekorde des Jahres 2015 fortgesetzt. Nach den Auswertungen des NOAA war der zurückliegende Monat nicht der zweitwärmste, sondern der wärmste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Die globale Durchschnittstemperatur lag 0,9 Grad Celsius über dem Mittel für das 20. Jahrhundert und 0,12 Grad über der des Septembers 2014.

Über einem großen Teil der Landflächen war es deutlich wärmer als gewöhnlich, nur in Teilen Westeuropas fiel der September kühler aus als im Durchschnitt. Zum globalen Rekord tragen auch die Temperaturen an der Meeresoberfläche bei, die ebenfalls höher als je zuvor gemessen waren, zum Teil bedingt durch ein starkes El-Niño-Phänomen, wobei auch hier die Temperaturen höher ausfielen als beim letzten starken El Niño 1997.

Eine Folge von El Niño dürfte auch die Vielzahl von Wirbelstürmen im Pazifik sein (Wer zahlt für Klimaschäden?). Nun bildete sich mit Patricia auch ein extrem starker Hurrikan im Nordostpazifik, der kurzzeitig auf die mexikanische Küste zuraste, sich über Land aber schnell abschwächte und zu einem Tropensturm herabgestuft wurde. Die Schäden fielen deutlich geringer aus als befürchtet. Trotzdem brach der Wirbelsturm mit Windgeschwindigkeiten von zeitweise 325 Kilometern pro Stunde bisherige Rekorde.

In Bonn ist am Wochenende die letzte Vorverhandlungsrunde für die Klimakonferenz in Paris zu Ende gegangen, die vom 30. November bis zum 11. Dezember stattfinden wird. Das Ergebnis einer Woche Klimadiplomatie ist einigermaßen bescheiden. Der Vertragsentwurf ist nun wieder auf 51 Seiten angewachsen und enthält eine Vielzahl von Optionen. Wie im Voraus befürchtet, blieb die Frage strittig, wer für Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und Schäden und Verluste aufkommen soll. Uneinigkeit herrscht darüber, welche Länder zu den Industriestaaten zählen und daher zahlen sollen. Zur Gruppe der G77, die von den Industriestaaten eine stärkere finanzielle Verantwortung für Klimafolgen fordern, gehören zwar größtenteils arme Länder, aber auch das am meisten Treibhausgase emittierende China und der Ölstaat Vereinigte Arabische Emirate.

Auch ob die Begriffe "Verluste und Schäden" (loss and damage) in dem Vertragstext auftauchen werden, ist noch zu klären. Der auf dieses Thema bezugnehmende Artikel 5 ist bislang nur optional, in einer anderen Version würde er einfach entfallen.

Eine letzte Chance, vor dem Gipfel zu einer Annäherung zu kommen, bietet noch die Pre-COP, ein Treffen von Ministern aus 80 Staaten vom 8. bis zum 10. November in Paris.

Klimaziele schnell nachbessern

Trotz der wenig ergebnisreichen Vorverhandlungen und der Tatsache, dass die bislang eingereichten Klimaziele der Staaten nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu beschränken, gibt es dennoch Wissenschaftler, die noch Optimismus verbreiten. Ein Verbund von 16 Forschungsinstituten hat die eingereichten Länderziele (INDCs) analysiert und kommt unter anderem zu dem Schluss, "dass die INDCs zu einer Beschleunigung und Festigung der Klimaschutzbemühungen in den weltweit größten Volkswirtschaften führen werden".

Besonders bei der erneuerbaren Stromproduktion und im Bereich Energieeffizienz würden Fortschritte erzielt. Andere Maßnahmen zum Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft blieben jedoch hinter dem für ein 2-Grad-Szenario Notwendigen zurück, etwa "CCS, Elektrofahrzeuge, hochentwickelte Biotreibstoffe oder nachhaltige Stadtplanung". Um die Staatengemeinschaft auf den richtigen Kurs zu bringen, müssten die INDCs in naher Zukunft verschärft werden:

Das Pariser Abkommen kann eine Brücke zwischen den INDCs und der Einhaltung der 2°C Grenze schlagen, indem es einen berechenbaren und glaubwürdigen Mechanismus für regelmäßig verschärfte Ziele und Strategien in Fünfjahresschritten entwickelt, mit einer ersten Verschärfung bis spätestens 2020. (...)

In diesem Szenario kann eine Stärkung von Klimaschutzmaßnahmen und Verpflichtungen bis 2020 die Emissionen bis 2030 um weitere 5 Gt CO2-Äquivalente unter das bereits von den INDCs erreichte Emissionsniveau senken, und erlaubt damit einen leichter zu realisierenden und weniger teuren Übergang zur Einhaltung der 2°C-Grenze.

Vorteile hätten die INDCs auch für die einzelnen Länder, weil sie für sauberere Luft sorgen würden und die Abhängigkeiten von Energieimporten reduzieren.

Auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung veröffentlichte am Montag einen konstruktiven Vorschlag, wie sich Bewegung in die Klimaverhandlungen bringen und die Zwei-Grad-Grenze einhalten ließe:

"Wenn die Europäische Union oder die USA als Pionier der weltweiten Klimapolitik handeln würden, so könnte die Blockade der Verhandlungen über eine gerechte Lastenteilung aufgebrochen werden", so Malte Meinshausen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Universität Melbourne. "Unsere Analyse zeigt, dass sie ihre gegenwärtigen Emissionsreduktions-Ziele ungefähr verdoppeln müssten - was natürlich eine erhebliche Anstrengung erfordern würde. Aber dies scheint eine der wenigen Möglichkeiten zu sein, um die globale Erwärmung am Ende wirklich auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen, und damit eine drastische weitere Zunahme von Wetterextremen und Meeresspiegel-Anstieg abzuwenden."

Das klingt plausibel, die politische Realität lässt jedoch Zweifel aufkommen. Am Freitag haben 24 US-Bundesstaaten sowie Bergbauunternehmen und Kohleverbände gegen Obamas Klimaschutzplan geklagt. Der Klimaschutzplan sieht vor, die Kraftwerksemissionen im Jahr 2030 um 32% gegenüber dem Jahr 2005 zu reduzieren.

In Europa macht das Ergebnis der polnischen Parlamentswahlen nicht gerade Hoffnung auf eine fortschrittliche Klimapolitik. Der Parteivorsitzende der Wahlsiegerin "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), Jarosław Kaczyński, sprach sich im Wahlkampf gegen die Klimaziele der EU aus und auch die künftige Premierministerin Beata Szydlo tritt für die Erhaltung des polnischen Kohlesektors ein.

Prognose: Steigender Strombedarf

Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich zwar mit den Betreibern auf die Kraftwerksreserve geeinigt (Braunkohle: Geschenke für Kraftwerksbetreiber), das zähe Ringen um die Abschaltung von Braunkohlekraftwerken hat aber gezeigt, wie wenig ambitioniert Klimaschutz hierzulande funktioniert.

Nun hat der Think-Tank Agora Energiewende auf ein mögliches Problem bei der Einhaltung des deutschen Klimaziels hingewiesen, nämlich den voraussichtlich steigenden Stromverbrauch. Die beim Fraunhofer IWES beauftragte Studie "Wie hoch ist der Energieverbrauch in der Energiewende" zeigt eine große Bandbreite von Szenarien, in denen der prognostizierte Stromverbrauch im Jahr 2050 zwischen 450 und 800 Terawattstunden variiert. Um einen Anteil von 80 % Erneuerbaren am Stromverbrauch 2050 zu erreichen, muss der Bedarf richtig eingeschätzt und der Ausbau entsprechend vorangetrieben werden.

Die große Bandbreite erklärt sich durch verschiedene Faktoren: So würden verschiedene Emissionsarten wie der internationale Verkehr bislang nicht in die Emissionsbilanz einfließen. Dies könnte sich aber mit verschärften Anforderungen ändern, entsprechend sollte die Infrastruktur anpassungsfähig bleiben. Werden etwa Emissionen aus dem internationalen Luft- und Seeverkehr eingerechnet, müssen die Emissionen an anderer Stelle gespart werden und damit ein Anteil von über 80% erneuerbaren Energien erreicht werden. Aber auch ohne den internationalen Verkehr in die Bilanz einzubeziehen, muss der Verkehr weitgehend elektrifiziert werden und fossile Brennstoffe durch Nachwachsende Rohstoffe oder synthetische Brennstoffe ersetzt.

Weitere Unsicherheiten ergeben sich im Wärmesektor. Auch hier werden verstärkt strombasierte Technologien zum Einsatz kommen, wie Wärmepumpen, Power-to-Heat oder Power-to-Gas. Wird in Zukunft mehr Wärme aus Strom erzeugt, dann beeinflusst wiederum die Gebäudedämmung den Stromverbrauch.

Die Möglichkeiten, fossile Brennstoffe durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, seien hingegen schon nahezu ausgeschöpft. Beim Flächenpotenzial in Deutschland gibt es nur noch geringen Spielraum. Das Deutsche Biomasseforschungszentrum rechnet mit einem Potenzial von 3 Millionen Hektar, wobei 2,3 Millionen Hektar bereits genutzt werden. Bei weiteren Biomasseimporten stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit und globalen Gerechtigkeit. Bei einer gleichen Verteilung des Bioenergiepotenzials pro Kopf der Weltbevölkerung hätte Deutschland seinen Anteil schon heute überschritten.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass mit einem 20prozentigen Anstieg des Stromverbrauchs von heute 545 Terawattstunden auf 620 Terawattstunden im Jahr 2050 auszugehen sei. Der angestrebte jährliche Zubau von je 2,5 Gigawatt Wind- und Solaranlagen, sowie 15 Gigawatt Windkraft Offshore würde nicht ausreichen, um auf einen erneuerbaren Anteil von 80% zu kommen. Insgesamt sollten bis zum Jahr 2050 jeweils rund 130 Gigawatt Windkraft- und Photovolatikleistung installiert sein. Derzeit sind es jeweils knapp 40 Gigawatt.