Ukrainische Helden-Ikone wird moskaukonform?

Nadja Sawtschenko im Parlament im Mai 2016. Bild: Vadim Chuprina/CC BY-SA-4.0

Nadja Sawtschenko hat sich mit den Chefs der Rebellenrepubliken Donekz und Luhansk getroffen, was als Hochverrat gilt

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Die Jeanne d'Arc der Ukraine steht in ihrem Land in der Kritik. Einst eine unbeugsame Heldin im Kampf gegen Russland droht ihr nun der Ausschluss aus dem "Obersten Rat", dem nationalen Parlament in Kiew, und ein Strafverfahren.

Nadja Sawtschenko hat Anfang dieser Woche gestanden, sich am 7. Dezember in Minsk mit den beiden Chefs der Rebellenrepubliken Donekz und Luhansk getroffen zu haben, ohne die ukrainischen Behörden informiert zu haben - dies gilt als Hochverrat. Doch die Streitbare verteidigte ihr Treffen mit Aleksander Sachartschenko und Igor Plotnitzki auf einer Pressekonferenz: "Wir müssen das Minsker Abkommen untermauern, den Krieg beenden." Auch habe sie mit den beiden Rebellenchefes über einen möglichen Gefangenenaustausch gesprochen. Die Unterredung sei "produktiv" gewesen.

Der Konflikt in der Ostukraine gilt als festgefahren. Der Waffenstillstand, der im Abkommen von Minsk von den Staatschefs Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs ausgehandelt wurde, besteht nur auf dem Papier. Staatspräsident Petro Poroschenko weigert sich mit den Vertretern der abtrünnigen Republiken, die von Russland mit Waffen wie mit Kämpfern versorgt werden, direkt zu sprechen, er würde diese sonst aufwerten. Im offiziellen ukrainischen Sprachgebrauch heißen sie "Terroristen".

Dieses Tabu hat die "Heldin der Ukraine" gebrochen, auch ihre "Vaterlandspartei" unter der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko, kritisierte sie scharf. Sawtschenko ist darauf am Dienstag aus der Partei ausgetreten.

Für Brüche und Eigenwilligkeit war die 35-Jährige schon lange bekannt. Sie war die erste Kampfpilotin der Ukraine, die erste Soldatin, die die Ukraine im Irak einsetzte. Sie erreichte den Grad eines Hauptmanns.

Als ihr die ukrainische Armee einen Einsatz gegen die Rebellentruppen in der Ostukraine versagte, kämpfte sie im Freiwilligenbataillon Ajdar und wurde von Separatisten gefangen genommen. Der Haft in Russland, ihr wurde Mord an zwei russischen Journalisten vorgeworfen, begegnete sie mit einem medial wirksamen Hungerstreik, Stinkefinger und Beleidigungen von Wladimir Putin. In Russland wurde sie als Bestie stilisiert, in der Ukraine wurde sie dafür gefeiert. Noch im Gefängnis wird sie in das ukrainische Parlament gewählt.

Nach der Freilassung durch Gefangenaustausch im Mai 2016 klang die Euphorie in Kiew jedoch rasch wieder ab. Schon Anfang Juli setzte sie sich für einen direkten Kontakt zu den Separatisten ein, was von Poroschenko generell abgelehnt wird, der nur über Mittler kommunizieren will. Zudem trat sie kurzfristig in einen Hungerstreik ein, um Druck auf die Freilassung der in den Rebellenrepubliken inhaftierten Ukrainer auszuüben.

Verdacht auf Kooperation mit Moskau

Die bockige Abgeordnete wurde bald der Kooperation mit Moskau bezichtigt. Im Oktober reiste sie auch tatsächlich dort hin, um bei einem Prozess gegen zwei Ukrainer für diese auszusagen. Schließlich setzte sie den angekündigten Kontakt mit Sachartschenko und Plotnitzki auf eigene Faust um, zugegen waren auch Beamte russischer und weißrussischer Dienste. "Ich habe dem ukrainischen Volk versprochen mich zu mühen die Gefangenen frei zu bekommen und selbst mit dem Teufel zu sprechen", so ihre Erklärung auf einer Pressekonferenz. Wobei sie zugleich einräumte, dass ihre Gegenüber keine Teufel seien.

Gegenüber den ukrainischen Sicherheitsbehörden sprach sie jedoch eher unklar und schwammig. So erinnerte sie sich nicht mehr an Namen, konnte nicht angeben, wer der Initiator des Treffens war, vermutete jedoch, dass Russland und die Separatisten gemeinsam die Initiative ergriffen haben.

Die Zeitung "Ukrainska Pravda", die als Motor der Maidan-Bewegung gilt, kritisiert wie das Gros der ukrainischen Medien ihr Verhalten. Denn nun gerate die politische Führung in Kiew noch mehr unter Druck. In der letzten Woche lehnten die Separatisten bereits erneut einen Gefangenenaustausch ab, für den 42 Ukrainer gegen 228 Kämpfer der Rebellen von der ukrainischen Seite vorgeschlagen wurden. Die Separatisten wollten jedoch nur acht Ukrainer heraus geben.

Neuen Gefangenenaustausch ausgehandelt

Nach Meinung der "Ukrainska Pravda" am Dienstag ginge es der Gegenseite vor allem um das Erlangen einer Amnestie, welche auch kürzlich von dem russischen Außenminister Sergej Lawrow wieder eingefordert worden war. Dagegen sperrt sich jedoch die Ukraine. Sollte sich die seperatistische /russische Seite nach dem Gespräch mit der Ex-Kampfpilotin bereit erklären, den Gefangenenaustausch in einem großzügigeren Zahlenverhältnis statt zu geben, hätte der Kreml die Volksheldin gegen die Machtelite in Kiew positioniert, der immer mehr der Makel anhaftet, sich nicht wirklich für die Belange des Volkes einzusetzen.

Und dies ist eingetreten - die selbsternannte Diplomatin versprach am Mittwoch einen Austausch von 256 Kombattanten der Rebellen gegen 52 Ukrainer. Sollte der Deal zustande kommen, könnte sie sich als Heldin feiern lassen, allerdings in der Gnade Moskaus. Der ukrainische Geheimdienst pokert und wäre mit 228 gegen 58 einverstanden.

Präsident Poroschenko bedauert die Kontaktaufnahme, begrüßt aber den dadurch eingefädelten möglichen Gefangenenaustausch. Bild: president.gov.ua/CC BY-4.0

In der Ukraine ist die Meinung über sie geteilt. Aus der politischen Mitte, so von der proeuropäischen "Volksfront", gilt sie als von russischen Diensten manipuliert. Poroschenko gab eher zurückhaltend sein Bedauern über ihre Minsk-Reise zum Ausdruck. Solche Aktionen würden weder ihr noch dem Land nützen, sagte er.

Bei den Rechten hält man sich noch zurück. Auf den Netzseiten der nationalistischen Partei Swobodahttps und des "Rechten Sektors" wird der Fall Sawtschenko noch nicht erwähnt.

Mit Sawtschenko entgleitet Kiew bereits die zweite weitere schillernde Persönlichkeit. Michail Saakaschwili hat Anfang November als Gouverneur von Odessa hingeschmissen und den Staatspräsident der Korruption beschuldigt. Ähnlich kritisch wie der ehemalige Präsident Georgiens äußert sich die Politikerin zur Korruption. Inwiefern sie noch Einfluss auf die Politik in der Ukraine hat, ist noch nicht abzusehen.