Der Fall des Kurden Ömer Bilin, der schnell abgeschoben werden soll

Erneute Geschenke der Bundesregierung vor dem Erdogan-Besuch - Ein Kommentar

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Es scheint mittlerweile zur Gepflogenheit der Bundesregierung zu gehören, der türkischen Regierung vor Wahlen oder vor gegenseitigen Staatsbesuchen Geschenke zu unterbreiten. Mittlerweile finden diese Peinlichkeiten nicht mehr nur in der Türkei statt, sondern auch in Deutschland. Die Geschenke, die das Gemüt von Erdogan besänftigen sollen, senden völlig falsche Signale und haben mitunter verheerende Folgen. Leidtragende sind die anderen 50 Prozent der Bevölkerung aus der Türkei, die nicht hinter dem Erdogan-Regime stehen. Einem geflüchteten Kurden in Frankfurt wurde sein Asylantrag abgelehnt. Ist das ebenfalls ein weiteres Geschenk oder der Beginn, die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu deklarieren?

Angefangen hat es im Januar 2018 damit, als der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) den "Teejungen" bei einem Besuch von dem Außenminister Cavusoglu spielte, um "Gut Wetter" für die Freilassung von Deniz Yücel zu machen.

Im Juni diesen Jahres, zwei Wochen vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei, durchsuchte die Berliner Polizei die Vereinsräume eines kurdischen Kulturzentrums und dazu gleich noch illegal die benachbarten Räume des kurdischen Büros für Öffentlichkeitsarbeit "Civaka Azad" - es gab dafür keinen Durchsuchungsbefehl (Wahlkampfhilfe für Erdogan). Sieben Tage vor dem Ende der Stimmabgabe für türkische Staatsbürger im Ausland, verhinderte die Stadtverwaltung Erlangen eine Unterstützungsinitiative der Partei "Die LINKE" für die oppositionelle HDP.

Nun, einen Monat vor dem Erdogan-Besuch in Berlin, scheinen die bundesdeutschen Behörden die Bundesregierung mit weiteren Geschenken für Erdogan unterstützen zu wollen. Schließlich ist er "not amused", dass selbst die der Bundesregierung nahestehenden Zeitungen in Deutschland darüber berichten, dass er nach Umfragen in der bundesdeutschen Bevölkerung nicht erwünscht ist.

Er wird es auch nicht verstehen können, dass die Bundeskanzlerin ihre Hofpresse nicht gänzlich unter Kontrolle hat und diese ihr in diesem Fall nicht nach dem Mund redet. Pressefreiheit eben. Obwohl es auch in Deutschland dazu jede Menge zu kritisieren gäbe. Auch die Waffenlieferungen an die Türkei gehen weiter, obwohl diese täglich gegen die oppositionelle Bevölkerung in der Türkei und gegen Kurden in Syrien eingesetzt wird.

Andrea Nahles (SPD) will der wirtschaftlich am Rande des Staatsbankrotts stehenden Türkei finanziell unter die Arme greifen und riskiert, dass die SPD sich weiter selbst abschafft.

Nun scheint es, dass sich die Bundesregierung die Politik Erdogans gegen die kurdische Bevölkerung zu eigen macht. Letzte Woche lehnte die Frankfurter Asylbehörde das Asylgesuch eines kurdischen Politikers als unbegründet ab. Ömer Bilin floh am 10. August 2018 aus der Türkei nach Deutschland. Am Frankfurter Flughafen stellte er einen Asylantrag. Dort wurde vom Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) der Antrag mit der Begründung abgelehnt, es gäbe keine Folter in der Türkei, daher drohe ihm auch keine Folter. Sein Rechtsanwalt, Berthold Fresenius bezeichnet diese Begründung als zynisch und sieht darin im Vorfeld des Erdogan-Besuches ein Geschenk an den Diktator.

Der Fall Bilin

Ömer Bilin setzte sich, wie viele in seiner Familie, für die oppositionelle Partei HDP sowie für die Anerkennung der Kurden als ethnische Minderheit in der Türkei ein. Wie in fast allen kurdischen Familien gibt es auch in dieser Familie Verwandte, die sich der kurdischen Arbeiterpartei PKK angeschlossen haben. Der Riss geht durch fast alle kurdischen Familien: der eine Teil ist konservativ und ans Regime angepasst, der andere Teil hofft seit Republikgründung auf Anerkennung und Würdigung ihrer Sprache und Kultur.

In der Türkei wird die PKK von der türkischen Regierung als Terrororganisation betrachtet, während die kurdische Bevölkerung sie überwiegend als Befreiungsbewegung im Kampf um Anerkennung als ethnische Minderheit betrachtet. Die deutsche Regierung hat sich allerdings die Position Erdogans zu eigen gemacht.

Schon vor längerer Zeit flohen Bilins Brüder ebenfalls vor den Repressionen der türkischen Regierung nach Deutschland. Auch sein Cousin, der in der HDP an exponierter Stelle aktiv war, floh vor kurzem nach Deutschland. Zwei Verwandte wurden in der Türkei verhaftet und in den (bekanntermaßen nicht zimperlichen) Verhören nach Ömer, dem "Terroristen", befragt. Zwei Rechtsanwälte der Familie bestätigten, dass es einen Suchbefehl gegen ihn gibt.

Ömer Bilin wurde schon einmal vor 10 Jahren von türkischen Sicherheitskräften festgenommen, gefoltert und auf einem Feld angeschossen liegen gelassen. Aber der Mann überlebte, weil er sich in ein nahegelegenes Dorf retten konnte und ihm dort geholfen wurde.

Obwohl es bekannt ist, dass in der Türkei gefoltert wird, dass es illegale Hinrichtungen und "Verschwindenlassen" von Oppositionellen gibt (siehe Angriff auf die Mütter), dass seit zwei Jahren immer mehr türkische Staatsbürger aus Angst vor Verhaftung, Folter und Mord nach Deutschland fliehen, lehnte das Bamf am 17.8. den Asylantrag ab und ordnete damit die Abschiebung an. "In dem Bescheid des Bundesamtes wird ernsthaft die Behauptung aufgestellt, die Regierung der Türkei habe alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung in der Türkei zu unterbinden", schreibt ANF. Die Begründung im Ablehnungsbescheid wirft die Frage auf, aus wessen Feder, mit welcher Gesinnung, die Begründung stammt.

Überforderung des Bamf oder politisches Kalkül?

Aktuell muss sich das Bamf mit vielen Asylanträgen aus der Türkei beschäftigen. Viele kritische Wissenschaftler, Politiker der oppositionellen HDP, Künstler, Fotografen und Journalisten sind nach Deutschland geflohen. Sie leben verstreut in allen Teilen der Bundesrepublik in Flüchtlingsunterkünften. Wer Glück hatte, bekam ein Stipendium an einer Universität oder eine Anstellung bei bundesdeutschen Medien und ist für diesen Zeitraum erst mal sicher. Wenn jedoch dieses Urteil Schule machen sollte, sind diese Menschen in Deutschland nicht mehr sicher. Dann ist Deutschland zur Außenstelle von Erdogans totalitärem Regime geworden.

Der angebliche Skandal um falsch ausgestellte Asylbescheide vom Bamf hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst und erweckt nun den Eindruck einer inszenierten Kampagne, damit Innenminister Seehofer (CSU) seine repressive Asylpolitik gegen die Kanzlerin durchsetzen kann. Der ehemaligen Leiterin der Bremer Asylbehörde wurde vorgeworfen, zwischen 2013 und 2016 bis zu 1200 Asylanträge bewusst zugunsten der Antragssteller entschieden zu haben. Tatsächlich gab es seit dem Jahr 2000 offenbar nur 165 Verstöße zugunsten der Antragsteller. In tausenden Fällen wurde allerdings ein Asylantrag abgelehnt. Das ist durch Gerichtsentscheidungen dokumentiert, schreibt die NRZ.

Im Fokus standen in Bremen Asylbescheide von ezidischen Flüchtlingen. Die CDU erklärte in der Vergangenheit nach dem Genozid an den Eziden 2014, sich für den Schutz dieser kurdischen religiösen Minderheit besonders einzusetzen. Davon ist heute nichts mehr übrig.

Nun steht das Bamf unter Druck, sich "politisch korrekt" zu verhalten. Nur, was ist politisch korrekt? Nach welchen Kriterien sollen die Mitarbeiter entscheiden? Manch ein Mitarbeiter wird verwirrt sein: Die Gülen-Anhänger, die Erdogan als Terroristen und Verantwortliche des Putschversuchs im Juli 2016 bezeichnet, bekommen meist Asyl, da ihnen Folter in der Türkei droht. Die USA liefern den Kopf der Bewegung, den Prediger Gülen, ja auch nicht aus.

Die Weißhelme aus Syrien aber, die auch von der Türkei gesponsert wurden, dürfen auch Asyl bekommen. Das ist im Sinne Erdogans. Dafür liefern wir die oppositionellen Kurden und Türken aus, denn es droht ja keine Folter in der Türkei. Mittlerweile werden die Kurden in den Medien auch mit ihren Forderungen nach kultureller und politischer Anerkennung in den Medien mehr wahrgenommen als früher. Man kann sie nun nicht mehr so einfach als Separatisten für die Öffentlichkeit präsentieren, weil sie ja gar keinen eigenen Staat mehr fordern, sondern nur noch um eine kulturelle Autonomie und ein demokratisches, föderales System, wie wir es haben, kämpfen. Solche Gedanken mögen einigen Mitarbeitern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) durch den Kopf gehen.

Aber: Was sind das mittlerweile für Mitarbeiter beim Bamf, beim Verfassungsschutz, beim LKA? Diese Behörden mussten in den vergangenen Jahren viele neue Mitarbeiter einstellen. Doch woher kommen diese Leute? Welche Grundhaltung haben diese gegenüber Geflüchteten und der Politik der Herkunftsstaaten?

Das mag alles provokativ klingen, aber so ist die Gemengelage zur Zeit. Dies zeigt auch der jüngste Fall des LKA-Angestellten, der das ZDF-Team auf einer Pegida-Demonstration in Sachsen bedrängte und die Reaktion der Polizisten darauf. Dass der Chef des Verfassungsschutzes der AfD Tipps gab, damit sie nicht im VS-Bericht erscheinen, bleibt konsequenzenlos.