Deutschland rüstet auf

Bild: ISAF

Der Wehretat soll schrittweise Nato-Vorgaben erfüllen. Von der Leyen stellt das deutsche Engagement heraus

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Es geht um viel Geld - für die Rüstungsindustrie, nicht zuletzt für die US-amerikanische Rüstungsindustrie; es geht aber auch viel um Symbol und Zeichen und über allem steht die Bündnistreue. Der deutsche Botschafter bei der Nato hat gestern in Brüssel ein Dokument an den Generalsekretär der Allianz, Stoltenberg, übergeben. Darin, so berichtet der Spiegel, bekenne sich die Bundesregierung verbindlich dazu, die Wehrausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen.

Dieser Anstieg soll auch nach 2024 fortgesetzt werden, wird versprochen. Das ist aber leichter gesagt, als getan, weil Finanminister Scholz schon jetzt Einwände erhebt.

"Ernsthaftes Bemühen"

Informationen des Nachrichtenmagazins zufolge laufen die Versprechungen, die im deutschen Bericht an die Nato gemacht werden, auf Mehrausgaben von etwa 17 Milliarden bis 2024 hinaus. Im Spiegelbericht heißt es: "Faktisch müsste der Verteidigungsetat von aktuell 43,2 Milliarden Euro je nach Entwicklung des Inlandsprodukts auf etwas mehr als 60 Milliarden Euro steigen."

Quelle des Spiegelberichts ist augenscheinlich das eingangs genannte Dokument, das als "Strategic Level Report" bezeichnet wird und dessen Hauptzweck als das Anzeigen ernsthafter Bemühungen beschrieben wird: "Die jährlichen Berichte sollen beweisen, dass man sich ernsthaft bemühe, die Ausgaben anzuheben."

Enormer Ausgabensprung

Der Bericht hat nur drei Seiten. Konkret sei er nicht, so der Spiegel. Es würden keine Zwischenschritte erläutert, wie das Budget von Jahr zu Jahr gesteigert würde, keine genauen Zahlen. Es ist eine erneute Absichtsbekräftigung. Davor gab es schon andere. Auch die Richtungsangabe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts wurde bereits im Sommer vergangenen Jahres ins Spiel gebracht. Da prophezeite der Faktenfinder der Tagesschau vor, dass 1,5 Prozent in 2024 nicht erreicht würden, "wenn die Bundesregierung nicht einen enormen Ausgabensprung hinlegt".

Allerdings ging man da noch von einem kräftigeren Wirtschaftswachstum aus. Der Bericht des Faktenfinder der Tagesschau erschien kurze Zeit nach der Haushaltsdebatte des Bundestages. Die Größenordnung sieht so aus:

In der vergangenen Woche beschloss der Bundestag eine deutliche Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr auf 38,9 Milliarden Euro im Jahr 2018. Am Freitag verabschiedete das Kabinett nun die Eckwerte für den Haushalt des Jahres 2019. Der Wehretat wächst um vier Milliarden Euro auf 42,9 Milliarden. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung heißt das: das Budget steigt von 1,24 Prozent auf 1,31 Prozent. Damit könnte die Steigerung jedoch ein Ende finden. Die Eckwerte des Finanzministers für 2020 sehen auch 42,9 Milliarden Euro vor, für 2021 43,8 Milliarden und für 2022 43,8 Milliarden Euro.

Faktenfinder Tagessschau

Die Verteidigungsministerin von der Leyen visiert, wie weiter oben erwähnt, für 2024 ein Budget von 60 Milliarden an. Nimmt man die Eckwerte des Finanzministers, wie sie der Faktenfinder am 10. Juli 2018 nach der Haushaltsdebatte darlegt, so fehlen vom Eckwert 2022 bis zum Zielwert von der Leyens für 2024 gut 16 Milliarden Euro. Das wäre tatsächlich ein ziemlicher Sprung und obendrein nicht einmal hoch genug, weil die Zielmarke bei etwa 1,5 Prozent des BIP liegt.

[Einschub: Finanzminister Scholz (SPD) legt sich quer. Er setzt auf Sparen. Wie es in der SZ berichtet: "Das Finanzministerium hat mit den Planungen des Haushaltes für 2020 und bis 2023 begonnen. Um die ausgabefreudigen Ressortkollegen aufs Sparen einzustimmen, hat Scholz ihnen von dem absehbaren Finanzloch berichten lassen. Bis 2023 steigen die Steuereinnahmen weniger stark als bisher angenommen, weshalb der Haushalt mit 24,7 Milliarden Euro weniger wird auskommen müssen." Das sorge für Ärger, heißt es da. "Vor allem bei von der Leyen."]

Laut den Zielvorstellungen, welche die Nato im August 2014 beschlossen hatte, sollten die Mitglieder der Allianz "ein Minimum von 2 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Verteidigung ausgeben".

Der Etat der Bundesregierung erreicht diesen Wert nicht, weswegen die Verteidigungsministerin die Zahlen so aufbereitet, dass die Bemühungen betont werden. "Das bestehende Bekenntnis bedeute bereits einen Anstieg um 80 Prozent zwischen 2014 und 2024 (in absoluten Zahlen von rund 33 auf 60 Milliarden Euro)", resümiert die Schweizer NZZ das Framing der Bundesregierung.

Es geht nicht nur ums Geld

Von der Leyen betont außerdem, dass es nicht nur auf das Geld ankomme, sondern auch auf das Engagement. "Man kann eine Menge für die eigenen Armeen ausgeben, aber gleichzeitig nichts für die Nato tun", zitiert der Spiegel von der Leyen. Gemeint seien "die vielen Verpflichtungen an, die Deutschland innerhalb der Nato eingegangen ist".

Warum die Beflissenheit, die Bündnistreue so herauszustellen? Beim Businessman Donald Trump ist offensichtlich, warum er so sehr auf die 2 Prozent-Marke drängt, darauf dass die Nato-Bündnispartner mehr einzahlen: Es geht ihm um die US-Rüstungsindustrie und die Arbeitsplätze, die damit verbunden sind. Das Nato-Bündnis selbst steht bei Trump, zumindest nach seinen Auftritten dort und seinen Aussagen dazu zu urteilen, in keiner besonderen Wertschätzung. Er ist kein Politiker, der solche Bündnisse hoch bewertet. Er überträgt das Konkurrenzsystem der Wirtschaft auf die Politik.

In der deutschen Regierung ist das Nato-Bündnis dagegen eine Form, innerhalb der man eine neue Machtpositionierung probiert. Dafür will man einen bestimmten Preis schon zahlen. Die Grenzen liegen dort, wo der soziale Friede aus der Balance kommen könnte: Wenn sich die Rüstungsausgaben beim Topf für andere Gemeinschaftsleistungen bemerkbar machen würden, etwa bei Sozialleistungen.

Mehrausgaben für die Bundeswehr dürften der Öffentlichkeit angesichts der unzähligen Nachrichten über marode Ausstattung bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehbar erscheinen (aber die Nato will ja Investitionen, nicht Ausgaben für den Erhalt des Status quo). Anderseits haben die Berichte über die vielen Millionen, die von der Leyen ohne große Effekte an Beratungsfirmen vergab, nicht den Eindruck erweckt, dass man der Bundeswehr unbedingt viel Geld in die Tasche stecken muss.

Von der Leyen versucht die Aufrüstung mit der großen deutschen Weltpolitik, mit dem Herauskehren einer besonderen Verantwortung. Dabei sekundiert Heiko Maas, der beim Thema Venezuela im großen Chor der Interventionisten mitsingt und beim Thema Syrien äußert er sich kritisch zum Abzug der USA.

Haltepunkt russische Bedrohung

Im Hintergrund der viel von Konventionen und wenig von eigenen Konzeptionen bestimmten politischen Ausrichtung beider Regierungspolitiker markiert Russland den Haltepunkt. Das Feindbild der aggressiven russischen Politik liefert das Selbstverständnis für das Engagement Deutschlands. Zum Engagement gehört, wie es aussieht, wieder stärker als in Jahrzehnten zuvor die Aufrüstung. Das ist in seiner Logik gefährlich.

So wie das Wirtschaftssystem der letzten Jahre es nicht schaffte, Gesellschaften aufzubauen, sondern sie vielmehr zu spalten, so unterwandert es auf internationaler Ebene Bündnisse, wie es Trump anzeigt. Daraus entstehen Konkurrenzsituationen, die mit der allseitigen militärischen Aufrüstung noch einen beunruhigenden Zacken dazu bekommen.