BKA ermittelt zu Kriegsverbrechen in Syrien

Viele "ausländische Kämpfer" kehren in ihre Heimatländer zurück, allein 40 Deutsche sollen aus kurdischen Gefängnissen überstellt werden. Interpol und Europol sammeln "Gefechtsbeweise"

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Die Polizeiorganisation Interpol sucht im Internet nach gerichtsverwertbaren Beweisen zu "ausländischen Kämpfern". Durchsucht werden vor allem Soziale Medien, Interpol nutzt dabei ein Verfahren mit Gesichtserkennung. Die Ermittler wollen Medieninhalte finden, in denen Verdächtige oder Kontaktpersonen auftauchen. Laut einem Dokument, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch online gestellt hat, betreibt auch die Polizeiagentur Europol unter dem Namen "FACE" ein solches Projekt.

Interpol fordert die 194 Mitgliedstaaten auf, bei Ermittlungen gegen "ausländische Kämpfer" vermehrt in seinen Datenbanken zu suchen. Dies beträfe die Datei für gestohlene oder als vermisst gemeldete Ausweisdokumente sowie die Fahndungsdatenbank mit internationalen Haftbefehlen. Eine Suche in Interpol-Dateien kann auch nach unbekannten Personen erfolgen. Hierfür können die Interpol-Zentralstellen Fingerabdrücke nutzen, seit Kurzem ist die Suche auch mit biometrischen Fotos möglich (Interpol startet neues System zur Gesichtserkennung).

Verstärkte Abfrage von Datenbanken

Eine UN-Resolution fordert, dass die Interpol-Mitgliedstaaten das Generalsekretariat über einen Fund zu "ausländischen Kämpfern" informieren. Hierfür soll der sogenannte "I-24/7"-Interpol-Kanal genutzt werden. Bei Interpol werden die Informationen dann in einer eigenen Datei zu "ausländischen Kämpfern" gespeichert. Mindestens 25 Staaten halten sich Interpol zufolge nicht an die Informationspflicht.

Auf umgekehrtem Wege teilt auch Interpol den nationalen Zentralbüros mit, wenn die Organisation Kenntnis über verdächtige Staatsangehörige findet. Die Behörden aus den europäischen Interpol-Staaten sollen diese Informationen anschließend in das Schengener Informationssystem (SIS II) einstellen. Dies betrifft nicht nur Ersuchen zur Festnahme. Die Europäische Union hat kürzlich beschlossen, Ausschreibungen von "ausländischen Kämpfern" in der Polizeidatenbank mit der Bezeichnung "Terrorismusbezug" zu versehen. Die Gesuchten können über eine Schengen-Fahndung diskret verfolgt oder beim Antreffen durchsucht werden.

Allerdings erfolgt die Nutzung des SIS II nach Meinung von Interpol nicht in vollem Umfang. Laut jüngsten Zahlen nehmen diese Ausschreibungen allerdings drastisch zu, vor allem Polizeibehörden und Geheimdienste aus Frankreich nutzen die heimlichen Fahndungen intensiv.

Die Abfragen aus der Europäischen Union sollen beträchtlich ansteigen. Im Programm der "Interoperabilität" können tausende Polizei- und Grenzbehörden eine Suchmaschine nutzen, die bei jeder Ausweiskontrolle auch Interpol-Datenbanken abfragt. Die Generalversammlung von Interpol hat diese verstärkte Nutzung vor zwei Jahren in einer Resolution beschlossen. Auch Asyl- und Grenzbehörden sollen demnach Zugriff auf die Interpol-Datenbanken erhalten.

Gemeinsame Polizeioperationen in MENA-Staaten

Vor allem nordafrikanische Länder sind nicht vollständig an Interpol angeschlossen. Die dortigen Regierungen werden deshalb bei der Einrichtung von Verbindungsstellen an Häfen, Flughäfen und Landgrenzen unterstützt. Die Europäische Union finanziert unter dem Namen "Sharaka" ein entsprechendes Programm, im Mittelpunkt stehen die MENA-Staaten (Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko und Tunesien). In "Shakara" führt Interpol auch gemeinsame Polizeioperationen mit den teilnehmenden Ländern an deren Grenzübergängen durch.

Interpol entsendet außerdem einen Verbindungsbeamten zur EU-Mission EUNAVFOR MED im Mittelmeer. Damit soll sichergestellt werden, dass die über Nordafrika kommenden Geflüchteten ebenfalls mit den Interpol-Datenbanken abgeglichen werden. Interpol arbeitet dabei eng mit dem Militär bei EUNAVFOR MED zusammen und verarbeitet militärische Informationen. Zusammen mit Europol hat Interpol ein sogenannte "Kriminalitätsinformationszelle" eingerichtet, um die Personendaten überhaupt verarbeiten zu dürfen. Die entsprechenden Dokumente müssen dafür in ihrer militärischen Geheimhaltung herabgestuft werden.

"War Crimes Unit" bei der Generalbundesanwaltschaft

Viele "ausländische Kämpfer" sind Staatsangehörige aus EU-Mitgliedstaaten, nach der Niederlage des Islamischen Staates (IS) kehren sie teilweise in ihre Heimatländer zurück. Insgesamt sollen sich 500 Kämpfer und 900 Anhängerinnen sowie 1.200 Kinder und Jugendliche aus 44 Ländern im Gewahrsam von kurdischen Milizen befinden, die Zahlenangaben sind aber nicht belegt. Unter ihnen sind einem Pressebericht zufolge 40 deutsche IS-Angehörige. Die kurdische Demokratische Föderation Nordsyrien drängt darauf, dass diese nach Deutschland zurückkehren und vor Gericht gestellt werden. Die Bundesregierung hingegen erkennt die Autonomieregierung völkerrechtlich nicht an und will nicht direkt mit ihr über die Auslieferung verhandeln.

Das Völkerstrafgesetzbuch fordert die "internationale Solidarität bei der Strafverfolgung". Das bedeutet, dass Staatsanwälte aus Deutschland auch Verbrechen in anderen Staaten verfolgen können. Die Generalbundesanwaltschaft hat hierfür eine "War Crimes Unit" eingerichtet. Im November führte die Einheit Ermittlungen gegen 14 in Syrien befindliche Deutsche wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder wegen einer Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Damit beauftragt ist die Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen beim Bundeskriminalamt (BKA). Sie arbeitet eng mit den Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter und dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammen. Informationen stammen aber auch von Nichtregierungsorganisationen.

Um "ausländischen Kämpfern" den Prozess zu machen, braucht es Beweismittel, die nun in den Kampfgebieten gesammelt werden. Zur Feststellung von Tätern in Syrien durchforstet die BKA-Zentralstelle die sogenannten "Caesar-Dateien". Dabei handelt es sich um mehr als 50.000 Fotos, die das BKA vermutlich mit Gesichtserkennung forensisch auswertet. Weitere Fotos, aber auch Fingerabdrücke oder Tatortspuren kann das BKA von Interpol erhalten.

Militärische Informationen zur Strafverfolgung

Interpol hat bereits vor einigen Jahren das Projekt "Gallant Phoenix" gestartet, das vom US-Militär in Syrien und im Irak gesammelte Fingerabdrücke, DNA-Spuren, forensische Daten oder Abhörprotokolle an Polizeibehörden verarbeitet (Datentausch mit dem US-Militär: BND lehnt ab, Europol springt ein). Sie werden deklassifiziert und dann an das FBI, Interpol und Europol weitergegeben. In aufbereiteter Form könnten die militärischen Beweismittel dann auch an das BKA geschickt werden. Laut dem bei Statewatch online verfügbaren EU-Dokument sind in "Gallant Phoenix" erste Daten an die teilnehmenden Behörden aus 71 Mitgliedstaaten geflossen. Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst ist einem Medienbericht zufolge inzwischen Teil der Kooperation.

Zusammen mit der NATO und der Europäischen Union hat Interpol außerdem ein Schulungsprogramm zur Verwertung von "Gefechtsbeweisen" gestartet. Es richtet sich an Militärs aus dem Irak und soll dortige Straftaten von ISIS-Anhängern aufklären helfen. Ein erstes Seminar fand in der Akademie der Europäischen Gendarmerietruppe in Italien statt. Im Januar trafen sich zivile und militärische "Praktiker und Experten" aus 25 Ländern mit Interpol, Europol und der NATO in Malta. Ein ähnliches Projekt will Interpol jetzt für die Sahel-Region einrichten.

Es ist nicht bekannt, wie viele Personen irrtümlich als "ausländische Kämpfer" verdächtigt werden oder ob mit Programmen wie "Gallant Phoenix" auch europäische Angehörige von Milizen verfolgt werden, die sich in Syrien gegen den "Islamischen Staat" stellen. Die Frage könnte bald über eine Studie der Agentur für justizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union beantwortet werden. Sie soll jetzt prüfen, ob die militärischen Informationen aus den Kampfgebieten tatsächlich hilfreich für die Strafverfolgung waren.

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