Stand Amri bereits kurz nach dem Anschlag als Täter fest?

Im Untersuchungsausschuss des Bundestages erschüttert ein Kriminalbeamter aus Nordrhein-Westfalen die offizielle Version des Attentates vom Breitscheidplatz

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bisher heißt es offiziell, um die Mittagszeit des 20. Dezember 2016 habe festgestanden, dass der Tunesier Anis Amri der Fahrer des LKW gewesen sei, der gegen 20 Uhr am Vortag, also am 19. Dezember, in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin gesteuert wurde. Zwölf Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Amri konnte entkommen.

Diese Version wurde in der Sitzung des Untersuchungsausschusses im Bundestag am 26. September durch einen Kriminalbeamten aus Nordrhein-Westfalen erschüttert. Er habe bereits am frühen Morgen des 20. Dezember 2016, "spätestens zwischen 4:00 und 8:30 Uhr" in seiner Dienststelle, dem Landeskriminalamt in Düsseldorf, erfahren, dass Anis Amri der Täter sein soll. Der Zeuge hatte in den Jahren 2015 und 2016 als Sachbearbeiter in der Ermittlungskommission Ventum mit dem Tunesier zu tun.

Sollte sich das bestätigen, wäre nicht nur eine Frage aufgeworfen, sondern eine Vielzahl: Wie schnell sind die Ermittler tatsächlich auf Amri gekommen? Warum vertritt nahezu der gesamte Sicherheitsapparat seit nun fast drei Jahren eine falsche Version? Was hat es mit den persönlichen Dingen Amris auf sich - Handys, Papiere, Portemonnaie -, die erst am 20. Dezember im und am LKW aufgefunden worden sein sollen und als Beleg gelten, dass er der Täter war? Woher stammen sie tatsächlich? Hat man Amri entkommen lassen?

Und schließlich: Wenn Sicherheitskräfte schon kurz nach der Tat wussten, dass Amri beteiligt war, rückt damit das Szenario näher, dass sie womöglich auch wussten, dass dieser Anschlag bevorstand. Diese Wahrheit wiederum wäre Anlass genug, sie zu unterdrücken.

Der Zeuge, Kriminaloberkommissar E., war Sachbearbeiter in der Ermittlungskommission (EK) Ventum des nordrhein-westfälischen LKA, die gegen eine zentrale Gruppierung von nominellen Islamisten ermittelte: das Netzwerk des mutmaßlichen deutschen IS-Vertreters Abu Walaa, bürgerlich: Ahmad Abdulazis A.A. Abu Walaa und vier weitere Personen wurde im November 2016 festgenommen. Seit zwei Jahren läuft in Celle der Prozess gegen die fünf.

Anis Amri hatte Verbindungen zu der Gruppierung und wurde von den Ermittlern zum sogenannten "Nachrichtenmittler" gemacht, sprich: sein Telefon wurde angezapft. Er wurde aber nicht als Beschuldigter geführt und auch nicht im November 2016 mit den anderen zusammen festgenommen. Zu dieser Fragwürdigkeit, die bis heute nicht plausibel beantwortet ist, später mehr.

In der Abu-Walaa-Gruppierung hatte das Düsseldorfer LKA mindestens zwei V-Personen (VP) plaziert. Eine war jene VP 01 namens "Murat", die engen Kontakt zu Amri pflegte. Die Ermittler waren also im Bilde.

Kriminaloberkommissar (KOK) E. war bereits in Düsseldorf vom dortigen Untersuchungsausschuss vernommen worden. Dabei wurde er mit einem bemerkenswerten Zitat bekannt. Als er gefragt wurde, was er nach dem Anschlag gedacht habe, antwortete er: "Hoffentlich ist es nicht dieser Amri."

Jetzt, im Untersuchungsausschuss des Bundestages, knüpfte der Abgeordnete Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) genau an dieser Stelle an. Wann E. denn dann erfahren habe, dass es doch dieser Amri sei, wollte er wissen. Zeuge E.: "Nach wenigen Stunden. Der Informationsfluss war da."
Mitglied des Bundestages (MdB) Notz: "Wann?"
Zeuge E.: "Am selben Abend oder am Tag danach."
MdB Notz: "Wo haben Sie es erfahren? In der Dienststelle?"
Zeuge E.: "Ja, ich wurde zeitnah in der Behörde vorstellig."
MdB Notz: "Als Sie ankamen, hieß es da schon: Es war Amri?"
Zeuge E.: "Weiß ich nicht mehr."
MdB Notz: "Das überrascht mich jetzt."
Zeuge E.: "Warum?"
MdB Notz: "Wenn Sie gehofft hatten, dass es nicht Amri ist, dann muss es doch in Ihrer Erinnerung sein, wie Sie erfahren haben, dass er es doch ist."
Zeuge E.: "Ich habe es gelesen, aus der Informationssteuerung. Ich gehe davon aus, dass das aus Berlin gesteuert wurde."
MdB Notz: "Wann kam die Information?"
Zeuge E.: "Ich müsste den Zeitraum einschränken, wann ich ungefähr da war."
MdB Notz: "Wann haben Sie es spätestens erfahren?"
Zeuge E.: "Es war dunkel. Zwischen 4:00 und 8:30 Uhr am nächsten Tag."
MdB Notz: "Am Morgen des 20. Dezember. Wissen Sie, wie die Behörde auf Amri gekommen ist?"
Zeuge E.: "Man hat Dokumente von ihm am LKW gefunden."
MdB Notz: "Offiziell heißt es, sie wurden am Mittag des 20. Dezember gefunden. Wenn Sie sagen, Sie haben morgens davon erfahren, wäre das eine neue Information."
Zeuge E.: "Das ist dann so. Ich kann nur aus meiner Erinnerung zitieren."

Vorgelegt werden müssten nun die Behördendokumente, aus denen hervorgeht, wann die Information "Anis Amri ist der Täter vom Breitscheidplatz" an die verschiedenen Sicherheitsbehörden übermittelt wurde.

Dass das zu einem früheren Zeitpunkt gewesen sein könnte, als es bisher dargestellt wird, könnte auch jene Szene ergeben, die von einer Überwachungskamera gegenüber der Berliner Fussilet-Moschee festgehalten wurde. Amri war in der Moschee regelmäßig zu Gast. Um 1:07 Uhr in der Tatnacht sollen zwei Polizeibeamte in das Gebäude gegangen und um 1:11 Uhr wieder herausgekommen sein. Suchten sie Amri?

Sonderbehandlung für Anis Amri

Der nordrhein-westfälische Kriminalbeamte, der im Untersuchungsausschuss des Bundestages nur als "Herr E." vorgestellt wurde, ohne Vorname, berichtete in seiner mehrstündigen Vernehmung noch mehr Dinge, die nicht so richtig zur offiziellen Version vom falsch eingeschätzten Einzeltäter Amri passen wollen. Das betrifft zum Beispiel Amris Zugehörigkeit zur Gruppierung um Abu Walaa. Nach Einschätzung der Ermittler war Amri Teil dieses Konstrukts und habe dort auch geäußert, einen Anschlag begehen zu wollen. Er habe auch persönlich mit dem Anführer Abu Walaa zu tun gehabt, der zum Beispiel eine Reise Amris abgesegnet habe. Ohne Zustimmung Abu Walaas, so der Kriminalbeamte, habe niemand aus der Gruppe etwas unternommen.

Amri galt den Ermittlern aus NRW, die im Auftrag des Generalbundesanwaltes tätig waren, gar als die gefährlichste Person im Abu-Walaa-"Netzwerk". Ein Begriff, den die Ermittler selber pflegten. Auf die Frage der Abgeordneten Martina Renner (Linke), ob es in dem Netzwerk andere Personen gab, die ähnlich eingeschätzt wurden, dass sie einen Anschlag begehen könnten, antwortete der Zeuge KOK E., ihm sei keine bekannt. Und dann wörtlich: "Amri hatte schon eine besondere Rolle, besonders in der Schlagzahl."

Umso seltsamer, dass Amri auch auf Seiten der Behörden eine Sonderbehandlung erfuhr. Etwa zehn Personen umfasste die Abu-Walaa-Gruppe, darunter mindestens zwei Informanten einer deutschen Sicherheitsbehörde sowie ein Informant, der für einen jordanischen Dienst tätig war. Doch nur fünf Personen wurden wegen Terrorverdachtes als Beschuldigte geführt - nicht darunter die Spitzel, ebenso wenig Amri. Gegen den jordanischen Zuträger läuft ein eigenes Verfahren.

Warum gab es kein Verfahren gegen Amri? Warum wurde er nicht in das Ermittlungsverfahren gegen Abu Walaa einbezogen, wollte Renner wissen. Antwort KOK E.: "Er war ja einbezogen, als 'Nachrichtenmittler'."
MdB Renner: "Warum nicht als Beschuldigter?"
Zeuge E.: "Die Staatsanwaltschaft hat keinen Anfangsverdacht gesehen. Kein Anfangsverdacht, kein Ermittlungsverfahren. Das ist oft so: Jemand begeht Straftaten, aber es gibt trotzdem kein Strafverfahren. Die Bewertung wird an anderer Stelle getroffen."

Sprich: In diesem Falle durch die Bundesanwaltschaft. Das ist umso irritierender, als die Karlsruher Behörde Amri ja verdächtigte, einen Anschlag vorzubereiten und zusammen mit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin parallel ein "Terrorverfahren" gegen ihn führte. Doch konkret wurde es nie.

Auch in NRW ging die ungewöhnliche Behandlung der Person Amri, immerhin eingestuft als "islamistischer Gefährder", später gar als "Foreign Fighter" sowie als potentieller Terrorist in die Anti-Terror-Datei eingestellt, weiter. Er wurde aus der Ermittlungskommission Ventum, die das Abu-Walaa-Netz bearbeitete, gar wieder herausgenommen. Wer ihn dann in NRW wie bearbeitete, ist unklar. Als Abu Walaa und die vier Mitbeschuldigten Anfang November 2016 festgenommen wurden, war Amri selbstverständlich nicht darunter.

Er soll in einer fremden Ermittlungskommission namens "Eiba" gegen zwei islamistische Brüder, die in der Eifel lebten und deren Nachname mit "Ba." beginnt, "geparkt" worden sein. Amri soll dort aber "keine Rolle" gespielt haben, sagte sowohl der Zeuge KOK E., als auch sein Kollege Kriminalhauptkommissar (KHK) Z., der vor ihm im Ausschuss befragt wurde und der ebenfalls in der EK Ventum gegen Abu-Walaa und Co. ermittelt und mit Amri zu tun hatte.

Beide, Z. und Amri, sind am selben Tag, dem 1. Juni 2016, aus der EK Ventum "ausgeschieden". Z., weil er einen anderen Fall bearbeiten sollte - und Amri, weil er nun in der EK Eiba geparkt werden sollte. Z. formulierte es so: "Das Verfahren [Eiba] führte der Kollege, der mir den Amri abgenommen hat."

Rolle von Amri in Nordrhein-Westfalen?

Überzeugend sind die Auskünfte nicht. Auch, weil im Amri-Untersuchungsausschuss von Nordrhein-Westfalen im November 2018 ein LKA-Vertreter gänzlich andere Aussagen zur EK Eiba gemacht hatte, nachdem die Abgeordneten zum ersten Mal auf diese Ermittlungskommission gestoßen waren.

Er hatte zwar mit der EK Eiba nicht zu tun, wusste aber, dass Amri und seine Gefährlichkeit dort durchaus im Fokus standen. Das deckt sich im Übrigen mit der Aussage des Leiters der EK Ventum vor dem Amri-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses in Berlin, Maruhn, der erklärte, Amri sei "aufgrund seiner Gefährlichkeit" Ende Mai 2016 aus der EK Ventum herausgenommen und in eine andere EK verlagert worden.

Doch seit der Leiter der EK Eiba in Düsseldorf vernommen wurde, wird in der Causa zurückgerudert. Amri habe dort überhaupt keine Rolle gespielt, es sei nur um die Brüder "Ba." gegangen. Sie wurden im Januar 2019 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu Haftstrafen verurteilt. Die Akten der EK Eiba, anhand derer sich diese Angaben überprüfen ließen, hat bisher kein Untersuchungsausschuss angefordert.

Insgesamt stellt sich die Frage: Was hatten die Ermittlungsbehörden, Bundesanwaltschaft und LKA, mit Amri in Nordrhein-Westfalen vor?

Noch weitere Widersprüche und Ungereimtheiten stützen den Verdacht, dass Amri irgendeine Rolle spielte. Dazu gehört der abenteuerlich klingende Konflikt zwischen dem kriminalpolizeilichen Staatsschutz in Krefeld und dem LKA in Düsseldorf. Im März 2019 hatte der Krefelder Kriminalkommissar Wolfgang D. im U-Ausschuss des Bundestages ausgesagt, er habe im November 2015 einen Anruf aus dem LKA bekommen und sei in Sachen Amri zurückgepfiffen worden. Für die Krefelder Ermittler hatte sich der Verdacht ergeben, dass Amri, bekannt damals als "Mohamed Hassa", IS-Anhänger sei. Amri war damals in einer Asylunterkunft in Emmerich untergebracht.

Bei dem Anruf aus Düsseldorf sei gesagt worden, sie sollten die Finger von der Person lassen, das könnte den Maßnahmen des LKA entgegen laufen. Der Anrufer sei der KOK E. gewesen.

Der bestritt das nun vehement. Wenn er so etwas höre, komme er sich vor wie in einem schlechten Hollywoodfilm. E. warf dem "Kollegen" in Krefeld gar vor, "offensichtlich etwas konstruiert" zu haben. E.s Kollege im LKA, KHK Z., hielt es dagegen grundsätzlich für "nicht abwegig", dass untergeordnete Polizeibehörden, die an einer Person ebenfalls dran sind, in Staatsschutzverfahren aufgefordert werden könnten, "die Beine still zu halten." Doch E. blieb dabei: Er habe nicht in dieser Weise gegenüber dem Krefelder Kommissariat interveniert.

Es steht Aussage gegen Aussage. Das deutet daraufhin, dass es in diesem Komplex etwas zu verbergen geben muss. Der Ausschuss will diesem Widerspruch weiter nachgehen. Er hat zum Beispiel die Möglichkeit einer Gegenüberstellung und direkten Konfrontation der beiden Zeugen.

Immer wieder V-Leute

In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und vor allem in Berlin war Amri von mindestens zehn Informanten oder V-Leuten der verschiedensten Sicherheitsbehörden umgeben. Die VP 01 namens "Murat" hatte direkten Kontakt zu ihm. Bisher nicht identifiziert ist eine V-Person, die bei einem Vorfall am 18. Februar 2016 in Berlin mit im Spiel gewesen sein müsste.

Amri fuhr an jenem Tag mit dem Fernbus von Dortmund nach Berlin. Unterwegs traf er in Hannover einen Bekannten namens "Bilel". Vielleicht Bilel Ben Ammar. Ob der ihn dann nach Berlin begleitete, ist unklar. Bei der Ankunft wurde Amri dann von der Polizei offen kontrolliert. Das war nicht im Interesse des LKA von NRW, das Amri verdeckt beschattete. Aus den Akten ist der Satz bekannt geworden, durch die offene Kontrolle sei der "weitere Einsatz der VP [Vertrauensperson] gefährdet". Um wen es sich handelte, ist nicht aufgedeckt. Die VP 01 war es jedenfalls nicht. Vor dem U-Ausschuss in Berlin hatte der EK Ventum-Leiter Maruhn im Februar 2018 ausgesagt: "Von uns saß keine VP neben ihm im Bus."

Der Sachbearbeiter in der EK Ventum, KOK E., hatte damals einen Vermerk zu dem Vorfall geschrieben, der die Gruppe um Abu Walaa aufgescheucht hatte. Amri habe seine Kontaktleute informiert, Handys wurden entsorgt, Erkenntnisse seien erloschen, der Schaden sei "immens" gewesen. Man könne eine konspirativ agierende Person, wie Amri, nicht offen ansprechen, wie es das LKA in Berlin getan habe. Es gebe andere Möglichkeiten, ihn aufzuklären, zum Beispiel durch "Personen, die mit ihm reisen, von denen er nichts weiß" - so E. wörtlich. Gab es ein solches Szenario tatsächlich? Saß eine Person im Bus, von der Amri nicht wusste, die aber als verdeckter Überwacher oder als VP auf ihn angesetzt war? Und deren Einsatz durch die Kontrollaktion dann gefährdet wurde.

Vom Zeugen E. erfährt man dann noch eine weitere Neuigkeit: Es gibt ein zweites sogenanntes Behördenzeugnis, mit dem Informationen über Amri an andere Sicherheitsbehörden lanciert wurden.

Das bisher bekannte erste ist von Januar 2016. Mit ihm übermittelte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an mehrere Sicherheitsbehörden Informationen zu Amri und anderen Tunesiern. Unterschrieben ist das Schriftstück vom Amtschef selber, Hans-Georg Maaßen. Der Weg des BfV-Behördenzeugnisses sei gewählt worden, heißt es offiziell, um zu kaschieren, von welcher Behörde genau eine verdeckt gewonnene Information stamme. Ob das die wahre Intention des Dokuments war, bleibt allerdings zweifelhaft, denn Informationsquellen lassen sich einfacher kaschieren. Das Ausschussmitglied Konstantin von Notz vermutet, dass durch das Dokument aus dem Hause Maaßen, zumal mit der Unterschrift des Chefs, den Sicherheitsbehörden signalisiert worden sein könnte, dass in der Causa Amri das BfV die Führungsrolle beansprucht.

Von wann und von wem nun das zweite ihm bekannt gewordene Behördenzeugnis stammte, konnte E. nicht mehr sagen. Er wusste aber, dass es um Informationen des tunesischen und des marokkanischen Nachrichtendienstes zu Amri gegangen sei. Bekannt war bisher, dass über marokkanische Stellen Informationen an deutsche Behörden weitergegeben wurden. Möglicherweise stammten sie von marokkanischen Quellen in Deutschland. Neu ist nun, dass auch Tunesien vertrauliche Informationen geliefert haben soll. Sollte das zutreffen, warum wurde dieser Sachverhalt dann den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vorenthalten? Gab es im Umfeld von Amri auch tunesische Quellen?

Das aufgetauchte Video bleibt Thema

Die öffentliche Sitzung des Ausschusses hatte mit mehrstündiger Verspätung begonnen, weil die Abgeordneten erfahren hatten, dass ihnen das BKA Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen vorenthalten hatte. Es geht um ein 38 Sekunden langes Video unmittelbar nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Darin sei eine verbale und körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei Männern zu erkennen, ehe das Video abbricht. Schon Ende August hatte Focus über das Video berichtet (Es gärt im Amri-Komplex).

Das Magazin hatte gemutmaßt, dass es sich bei einem der Männer um Sascha Hüsges gehandelt habe, der erst nach dem Attentat durch einen Schlag mit einem harten Gegenstand auf den Kopf schwer verletzt wurde und bis heute im Koma liegt.

Mittlerweile will das BKA Hüsges zweifelsfrei identifiziert haben. Dieses Ermittlungsergebnis wurde dem Ausschuss, obwohl es seit Tagen vorlag, erst jetzt mitgeteilt. Daraufhin wollten sich die Abgeordneten persönlich überzeugen und den Film in Augenschein nehmen. Er soll auch der Öffentlichkeit noch zur Verfügung gestellt werden. Fraglich ist aber vor allem, warum das BKA die Videosequenz erst nach über zweieinhalb Jahren so gründlich auswertet wie jetzt. Von Interesse ist der Vorfall am Tatort deshalb, weil er zur Hypothese passen kann, dass der LKW-Attentäter Helfer hatte, die ihm die Flucht ermöglichten.

Zuvor war in interner Sitzung der Ausschussvorsitzende Armin Schuster (CDU) zurückgetreten. Seine offizielle Begründung: Er komme kaum noch zu etwas anderem. Schuster sitzt auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium vor, das die Geheimdienste kontrollieren soll. Anzunehmen ist aber, dass sein Ausstieg auch mit den harten Kämpfen zu tun hat, die dieser Ausschuss von Anfang an mit dem Bundesinnenministerium und vor allem dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führen musste. Für den Sicherheitspolitiker, der einst im Innenministerium tätig und außerdem Polizeidirektor bei der Bundespolizei war, offensichtlich ein dauerhaftes Dilemma. Im Herbst 2018 war Schuster gar als Nachfolger Maaßens auf dem Chefsessel im BfV gehandelt worden.

Neuer Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Breitscheidplatz ist der Berliner Abgeordnete Klaus-Dieter Gröhler, ebenfalls CDU.