Coronavirus: Warum Herr Drosten jetzt endlich schweigen sollte

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Die gemächlichen Ratschläge des Top-Virologen, der das Regierungsnarrativ vorgegeben hat, erfreuen sich großer Beliebtheit - Ein Kommentar

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Vorweg: Christian Drosten von der Berliner Charité, Mitentdecker des SARS-Virus und Entwickler des Corona-Tests in Rekordzeit, ist ein internationaler Top-Virologe, dazu ein integrer, sympathischer Wissenschaftler, der im Gegensatz zu Politikern Vertrauen erweckt. Aber genau das ist das Problem. Das Verheerende ist, dass er aus dem Bauch heraus argumentiert, ohne mit Zahlen umgehen zu können. Und dass die Leute auf ihn hören.

Drosten orientiert sich an der Idee "Flatten the Curve", die, wie hier gezeigt, auf dem fatalen Irrtum beruht, man könne den Ausbruch ohne ganz radikale Maßnahmen "etwas verlangsamen". Dies wird Deutschland in eine noch schlimmere Katastrophe führen, als sie Italien mit dem Zusammenbruch seines Gesundheitssystems gerade erlebt. Mich erreichen fast stündlich verzweifelte Lagebeschreibungen von Ärzten aus Italien, die dies bestätigen.

Wer kann das so ignorieren, obwohl es glasklar ist, dass Deutschlands Infektionszahlen den italienischen gerade acht Tage hinterherhinken? Ganz Deutschland ist so verrückt.

Natürlich ist Drosten nicht der einzig Verantwortliche, aber er war es, der in einer Talkshow die Idee in die Welt gesetzt hat, man könne 70 Prozent der Bevölkerung sich infizieren lassen. Es ist bezeichnend für unsere Mediendemokratie, dass eine unbedacht dahingesagte Zahlenspielerei in einer Talkshow offizielle Leitlinie der Bundesregierung geworden ist, und allenthalben nachgeplappert wird, auch von der AfD. Dabei genügt ein Mausklick, um zu sehen, dass es Ländern wie China, Südkorea, Taiwan und Singapur gelungen ist, nach erheblichen Ausbrüchen die Infektionsrate im Promillebereich (!) einzudämmen, auch Russland handelt vernünftig. Dazu bemerkt frontal21 lapidar, die Seuche sei in China "zum Stillstand gekommen". Etwa von alleine? Es ist beispiellose Ignoranz, dass Deutschland sich nicht daran orientiert, welche Maßnahmen in diesen Ländern getroffen wurden und sich von dortigen Experten beraten lässt.

Sogar einem SPIEGEL-Redakteur, der nach einem China-Besuch verschämt seine Gesichtsmaske wieder abnimmt (dumm genug), dämmert allmählich, dass Deutschland in einer Parallelwelt lebt. Befeuert wird die irrationale Coronaparty im Land durch ehemalige Experten wie Dr. Wodarg, der die Welt durch seine Brille "Böse Pharma versucht WHO-Impfstoff zu verkaufen" sieht. Faktenresistent behauptet er 10 Prozent falsch-positive Resultate, in krassem Widerspruch zu den 250.000 südkoreanischen oder 80.000 russischen Tests, (bei 59 Fällen, d.h. weniger als ein Promille überhaupt positiven). Wodargs Erfahrung mit Big Pharma mag zutreffend sein, aber sie auf die jetzige Situation zu verallgemeinern, ist nichts weniger als schizophren.

Gestern erreichte mich der Rundbrief eines sonst von mir geschätzten Journalisten mit der Aufforderung, Artikel gegen die "Corona-Hysterie" zu schreiben. Den Bericht eines Mailänder Arztes (s. 2. Absatz hier), den ich ihm zuschickte, ignoriert er, weil ein Staat, der Freiheitsrechte einschränkt, ist erst mal grundsätzlich böse. Es machen zwar alle Staaten auf der Welt, aber egal, wir in Deutschland wissen es besser.

Man kann zwar zu gegebener Zeit darüber nachdenken, woher das Virus kam und ob Zeit und Ort des Auftretens Zufall waren. Aber in den jetzigen Schutzmaßnahmen schon die große Verschwörung zu sehen, ist ungefähr so klug, wie am 11.9.2001 vor den zusammenstürzenden WTC-Gebäuden nicht wegzulaufen.

Die Bundesberuhigungspille

Da qualifizierter Widerspruch zum Regierungsnarrativ selten ist, erfreuen sich die gemächlichen Ratschläge von Christian Drosten im NDR großer Beliebtheit. Wer sie verfolgt, bemerkt bald, dass er meist kurze Zeit später als sinnvoll erachtet, was vorher noch unnötig war (z.B. Schulschließungen in Nr. 11 und Nr.12). In Nr. 13 sieht er den Kneipenbesuch kritisch, um es dann mit der Banalität "lieber Bier aus der Flasche als gezapft" zu relativieren. Er vermittelt das absolut Notwendige mit einer Woche Verspätung, anstatt wenigstens zwei Tage vorauszudenken.

Deutschland ist früh dran! Nein, es hat einen Testrückstand, bzw. nicht einmal Überblick. Prof. Kekulé erklärt bei Anne Will, dass die Zahlen weit unterschätzt sind, aber Drosten wiederholt: "Wir haben in Deutschland diesen Ausbruch sehr früh bemerkt, weil wir diese breite Diagnosekapazität haben."

Und das tolle deutsche Gesundheitssystem! Man wird wohl erst handeln, wenn es an die Wand fährt. Nur: wir werden damit noch mehr Tote haben. Denn besser ein schlechtes Gesundheitssystem, das um den Faktor 5 überfordert ist, als ein gutes, das um den Faktor 5 überfordert. Das ist die fatale Wirkung, die exponentielles Wachstum der Infektionen mit einer um zehn Tage zeitverzögerten Erkrankung erzeugt - wenn man erst im Moment der Überforderung gegensteuert.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

In der allabendlichen halbstündigen Seelenberuhigung gibt es keinen einzelnen nützlichen Ratschlag, etwa: Wie beschaffe ich mir eine Maske, um den dominierenden Infektionsweg einzudämmen? Was sollte ich im öffentlichen Raum noch anfassen? Welches Thema Drosten auch immer anfasst, relativieren, herunterspielen: Ibuprofen? "Denke nicht dass man da forschen muss." Die Methodik eines Fachartikels, der die Virusstabilität auf Oberflächen quantitativ untersucht, beurteilt er schon mal aus dem Handgelenk: "wird dargestellt, dass es schlimm sei", "da jetzt Zahlen dranzuhängen, ich finde das verzerrt", Zahlen sind ja nicht seine Stärke.

Wir sollen "aufhören, ins Ausland zu schauen", weil in anderen Ländern "ist die öffentliche Wahrnehmung dieser Erkrankung so gravierend", Ja, warum wohl? Weil Ärzte Menschen zum Sterben nach Hause schicken müssen? Aber "im Moment ist es noch nicht so gravierend in Deutschland". Erst morgen. Aber wer wird denn vorausdenken wollen. "Diese Angst ist im Moment wirklich überflüssig.".

Konfrontiert mit Evidenz, die gegen ihn spricht: "zu China kann ich ganz wenig sagen". Nun, man kann sicher sagen: China lässt sich von anderen Leuten als Drosten beraten, und sie sind erfolgreich damit! Immerhin, Drosten denkt so weit voraus, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: "Man sollte seine Zeit nicht verschwenden durch Fehlerzuweisungen." Die frühen Warner hätten "dies nicht auf einer richtigen Datenbasis gemacht".

Es kann leider sein, dass der Top-Wissenschaftler Drosten mit seinen verspäteten Erkenntnissen eine tragische Figur wird. Dabei muss man ihm eigentlich nur einmal aufmerksam zuhören: "Es gibt Leute, die verstehen mehr von Ausbreitung", "Zahlen kenne ich dazu nicht". Gefragt nach einem Pandemie-Plan vom Robert-Koch-Institut von 2012: "Ich kenne dieses Papier gar nicht. Also ich kenne natürlich den Pandemie-Plan, aber ich kenne nicht das Papier von 2012, in dem irgendetwas beschrieben wird." Schließlich: "Man muss sich nicht zu Hause einschließen." Doch. Vielleicht schon. Und Drostens hier leider selbsterfüllende Prophezeiungen abschalten: "Wir kriegen ja sowieso in großer Zahl diese Infektion.". Nein. Wir dürfen nur diesem Unsinn nicht länger zuhören.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien 2019 im Westend-Verlag.

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