Eine Erfolgsgeschichte der Muslimbruderschaft

Die Geschichte des politischen Islams in Deutschland. Die Altherren-Riege (Teil 2)

Am 6. März 1960 wurde die Münchner "Moscheebau-Kommission" offiziell gegründet, später zunächst in "Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland", dann in "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" (IGD), und zuletzt in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) umbenannt Präsident dieser einflussreichen Organisation war bis 1968 Said Ramadan, der allerdings seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegte und sich von Vertrauten wie Ali Ghaleb Himmat und Fazal i-Yazdani weitestgehend vertreten ließ.

Die IGD gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), die Mitgliedschaft ruht seit dem 1.12.2019, wie der ZMD in einer Pressemitteilung bekannt gab. Demnach soll die Mitgliedschaft ruhen, bis die Vorwürfe des Verfassungsschutzes, die DMG stehe der MB nahe, entkräftet seien. Bis heute scheinen diese Vorwürfe allerdings nicht aus der Welt geschafft …

Said Ramadan folgte bis 1973 Fazal i-Yazdani als Vorsitzender, dann übernahm Ali Ghaleb Himmat den Vorsitz der Moscheebau-Kommission, bzw. IGD. Diesen gab er 2002 an Samir Falah ab, da die von ihm und u.a. Youssef Nada gegründete Al-Takwa-Bank laut Spiegel in den Verdacht geriet, Al-Quaida unterstützt zu haben. Youssef Nada soll laut Informationen von Ian Johnson (siehe Literaturverzeichnis am Ende des Artikels) die Finanzspritze in Höhe von einer Million D-Mark besorgt haben, die den Bau des IZM schließlich möglich machte.

Das Geld kam von Muammar al-Gaddafi, dem libyschen Revolutionsführer, dem laut Stefan Meining (siehe Literatur) die Verbindung der Münchner Gruppierung zur Muslimbruderschaft vermutlich nicht bekannt gewesen sei. Wie Ali Ghaleb Himmat lebt auch Youssef Nada in der italienischen Enklave Campione d'Italia, brachte es durch den Kauf von Zement an Saudi Arabien und Libyen zu einem beträchtlichen Vermögen und galt als hochrangiger Funktionär der MB.

2009 sorgte er für einen MB-internen Disput, nachdem er das Schiitentum als islamisch anerkannte. Beide Strömungen - Sunnitentum und Schiitentum - sind einander bekanntermaßen nicht immer sonderlich grün, die gemeinsamen Feinde Israel und die ägyptische Regierung unter Mubarak machten Annäherungen möglich. Allerdings arbeiten in Deutschland Schiiten und Sunniten seit Ende der 1950er Jahre zusammen.

Said Ramadan verlegte Anfang der 1960er Jahre seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz und gründete dort das "Islamische Zentrum Genf". Er hatte die erste Niederlassung der MB in Jerusalem gegründet und kämpfte 1948 als Freiwilliger in Palästina, um die Gründung Israels zu verhindern. Das "Islamische Zentrum Genf" war laut Stefan Meining das "Hauptquartier der Opposition gegen die Nasser-Regierung", wie er in seinem Buch "Eine Moschee in Deutschland - Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam in Deutschland" schreibt. Das Zentrum wird heute von Said Ramadans Sohn Hany geleitet, der unverschleierte Frauen schon mal mit einer 2-€-Münze vergleicht, die von allen gesehen werde und von Hand zu Hand ginge.

Ob es die Gründung des Zentrums in Genf war, die seine Zeit stark beanspruchte, oder ob Said Ramadan aus anderen Gründen das Interesse an der aktiven Mitarbeit an dem Münchner Projekt verlor, ist nicht bekannt. Allerdings hatte er dem Münchner Journalisten Meining zufolge enge Vertraute, die das Projekt in seinem Sinne vorantrieben. Dazu gehörte Ali Ghaleb Himmat, der zum Kassenwart bestimmt wurde und so von Anfang an eine bedeutende Rolle in der Organisation spielte, die er später 30 Jahre lang leitete. Ein weiterer Vertrauter Said Ramadans war laut Stefan Meining Fazal i-Yazdani, der 1968 den Vorsitz übernahm und als Präsident der "Islamischen Gemeinde Süddeutschland" hauptberuflich den Bau der Moschee vorantrieb.

1973 übernahm Ali Ghaleb Himmat und blieb bis 2002 Präsident der heutigen DMG. 1988 gehörte er zu den Gründern der Al-Takwa-Bank, die in den erwähnten Verdacht geriet, Al-Qaida finanziert zu haben. Als stellvertretender Direktor der Bank geriet auch er unter Verdacht und war zeitweilig handlungsunfähig, weshalb er die Präsidentschaft der heutigen DMG an Ibrahim El-Zayat abgab. Im Juni 2005 stellte die Schweizer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Ali Ghaleb Himmat ein. Seine Tochter Huda Himmat war später stellvertretende Vorsitzende des Forum of European Muslim Youth and Student Organizations (FEMYSO).

Ibrahim el-Zayat, der 2002 die Präsidentschaft der heutigen DMG übernahm, ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten dieses Spektrums, er bekleidete zahlreiche Funktionen und schob Gründungen von neuen Organisationen an. Er war im Vorstand der Federation of Islamic Organisations in Europe/Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE), Verwalter der FIOE-Stiftung "European Trust", Treuhänder der vom FIOE gegründeten Institut Européen des Sciences Humaines/Europäisches Institut für Humanwissenschaften (IESH) im französischen Château-Chinon, saß im Vorstand der Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland (IRD), war Treuhänder von "Islamic Relief Worldwide" und Generalsekretär des Islamischen Konzils in Deutschland (IK), dem außer dem heutigen DMG die "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) als Vorgänger der IGMG (Islamische Gemeinschaft Millî Görüş) sowie die FIOE und die Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland (MSV) als Gründungsmitglieder angehörten. In der MSV begann Ibrahim el-Zayat seine politische Karriere.

Das IK, das Islamische Konzil in Deutschland, ist die Schnittstelle zwischen Organisationen, die als MB-nah eingestuft werden, und der IGMG, eine politische Allianz, die von den Familien el-Zayat und Erbakan personell umgesetzt wird: Ibrahim el-Zayat ist verheiratet mit Sabiha el-Zayat-Erbakan, Schwester von Mehmet Sabri Erbakan, der laut dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von April 2001 bis Oktober 2002 Vorsitzender sowie viele Jahre Generalsekretär der IGMG war.

Der Onkel der beiden, Necmettin Erbakan, ehemaliger Ministerpräsident sowie stellvertretender Ministerpräsident der Türkei, politischer Ziehvater des heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, und Gründer der Millî-Görüş-Bewegung, übersetzt "Nationale Sicht". Necmettin Erbakan war inspiriert von Hasan al-Banna und verehrte wie sein ägyptisches Vorbild Adolf Hitler, er promovierte an der Technischen Hochschule Aachen, arbeitete als Ingenieur bei der Firma Deutz und war an der Entwicklung des Leopard-Panzers beteiligt.

Möglicherweise ein Grund, weshalb diese in der Türkei so beliebt waren und es bis heute sind. Seine Partei, die "Millî Nizam Partisi/Nationale Ordnungspartei" (MNP), wurde verboten, ebenso die Nachfolgeparteien"Refah Partisi /Wohlfahrtspartei" (RP) und die "Fazilet Partisi/Tugendpartei" (FP). Schließlich wurde daraus die "Saadet Partisi/Glückseeligkeitspartei" (SP).

Recep Tayyip Erdoğan spaltete sich davon ab und gründete die "Adalet ve Kalkınma Partisi/Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP), die heute mit der faschistischen MHP und der MHP-Abspaltung BBP die Regierung in Ankara bildet.

Sabiha el-Zayat-Erbakan ist laut taz und anderer Quellen sowie des Autors Johannes Kandel in seinem Buch Auf dem Kopf und in dem Kopf. Der Kopftuchstreit und die Muslime aus der Reihe "Interkultureller Dialog" zufolge am Zentrum für islamische Frauenforschung und -förderung (ZIF) in Köln tätig. Anlässlich einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt wurde sie als Referentin als "Sabiha El-Zayat" als "Dozentin für islamische Hermeneutik und Didaktik am Zentrum für islamische Frauenforschung und - förderung" vorgestellt.

Im Vorstand des ZIF sitzt die Konvertitin Rabeya Müller, die mit Lamya Kaddor das Buch Der Islam - für Kinder und Erwachsene herausgegeben hat. Lamya Kaddor ist Lehrerin, fünf ihrer Schüler schlossen sich dem Islamischen Staat (IS) an. Sie ist Gründungsmitglied und war langjährige Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB), dem auch Rabeya Müller und die Schriftstellerin Hilal Sezgin angehören. Lamya Kaddor und Rabeya Müller werden auf der Webseite des LIB als Beirat des Vorstands aufgeführt.

Ibrahim el-Zayat ist laut Verfassungsschutz Baden-Württemberg Generalbevollmächtigter der Europäischen Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) und verwaltet die etwa 300 Moscheen der IGMG in Deutschland und ist Sekretär der 1996 gegründeten Stiftung "Nederlandse Moskeeenbouw - en Ondersteunings Gemeenschap", die den Grundbesitz der niederländischen Millî Görüş verwaltet. Die IGMG hat ihren Sitz in Köln, wohin auch die heutige DMG (Deutsche Muslimische Gemeinschaft) Anfang der 1980er Jahre umzog.

Ibrahim el-Zayat wurde laut dem bayerischen LfV am 19. März 2004 auf der Webseite islam-online.net, die Yusuf al-Qaradawi nahestehen soll, als Vertreter der MB in Deutschland bezeichnet. Der ehemalige Imam des IZM, Mahdi Akef, bezeichnete Ibrahim el-Zayat Berichten von ARD und ZDF zufolge als "Chef der Muslimbrüder in Deutschland". Diese Meldung übernahm auch Die Welt.

In einer Gegendarstellung behauptete er, Mahdi Akef habe diese Aussage nicht getätigt.

Im Juni 2007 berichtete die BBC von einem Prozess gegen 40 Mitglieder der MB in Kairo. Einer davon war Ibrahim el-Zayat, der in Abwesenheit zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. Amnesty International (ai) kritisierte das Verfahren als "politisch motiviert" und bezeichnete es als "Perversion der Gerechtigkeit". Wenn nicht das Verfahren gegen eine als Gruppierung, aus deren Reihen immer wieder terroristische Aktionen kamen, mit nachvollziehbaren Gründen politisch motiviert ist, welches dann?

In dem Zusammenhang erwähnt die MB auf ihrer Webseite auch Youssef Nader und Ali Ghaleb Himmat, die, wie bereits erwähnt, im Verdacht standen, mit der Al-Takwa-Bank al-Qaida unterstützt zu haben. Eine Klage Ibrahim el-Zayats gegen die CDU-Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler, die ihn als Funktionär der Muslimbruderschaft bezeichnete, scheiterte.

2007 erschien der zu dem Zeitpunkt höchst umstrittene Ibrahim el-Zayat als ungebetener Gast auf der Deutschen Islam Konferenz (DIK). Der damalige Vorsitzende des ZMD, Ayyub Axel Köhler, hatte ihn mitgebracht. Köhler war von 2000 bis 2002 Vorsitzender der "Deutschen Muslim Liga" (DML), von 2001 bis 2006 Generalsekretär des ZMD, von 2006 bis 2010 dessen Vorsitzender. 2010 unterlag er in einer Kampfabstimmung dem heutigen Vorsitzenden Aiman Mazyek.

Die Gruppierung legt das Fundament für das spätere Netzwerk

Am 21. Dezember 1964 gründeten sieben Studenten die "Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland" (MSV). Die Versammlung fand statt im Gebetsraum der Technischen Universität München. Schon Mohammed wusste Gebetsräume für weitaus mehr Zwecke zu nutzen, als für das Gebet. Gebetsräume an Universitäten durchzusetzen war so gesehen vermutlich nicht zufällig eines der Hauptanliegen der MSV. Stefan Meining schreibt zu der Gründungsversammlung:

Die Namen des ersten Vorsitzenden, seines Stellvertreters und des Kassenverwalters fanden sich auch auf der Mitgliederliste der "Islamischen Gemeinschaft von Süddeutschland" vom 3. Februar 1963.

Stefan Meining

Laut Stefan Meining wurde die MSV, "1989 Mitglied im 'Islamischen Konzil in Deutschland' sowie Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ZMD. Auf europäischer Ebene schloss sie sich der 'Föderation der Islamischen Organisationen in Europa' an".

Einer der Bundesvorsitzenden der MSV war Ibrahim el-Zayat.

Zwischen 1967-73 entstand das Islamische Zentrum München (IZM), das am 14. August 1974 feierlich eingeweiht wurde. Das IZM ist eine eigenständige Einrichtung mit einem Imam und fungierte bis in die 2000er Jahre hinein als Sitz der IGD. Das IZM ist Gründungsmitglied des ZMD.

1974 wurde der dem IZM angeschlossene Kindergarten eröffnet, 1979 eine staatlich anerkannte Grundschule.

Von 1984-87 war Mahdi Akef Oberimam des IZM. 2004 residierte er als oberster Führer der MB in Kairo, wo Ian Johnson ihn besuchte.

Das IZM übernahm die Herausgeberschaft der 1958 gegründeten islamischen Zeitung Al-Islam, für die laut der von den Gebrüdern Özoğuz betriebenen "Enzyklopädie des Islam" eslam.de über mehrere Jahre Fatima Grimm zuständig war. Die Tochter des Nazi-Verbrechers Karl Wolff hatte 1960 an ihrem 30. Geburtstag das Bekenntnis zum Islam bei Ibrahim Gacaoǧlu abgelegt.