Putin fordert Kontrolle des russischen Internets

Bild Wladimir Putin: kremlin.ru / CC-BY-4.0; Bild Alexey Nawalny: Evgeny Feldman / CC-BY-SA-4.0

Nachdem weitere Straßendemonstrationen zur Unterstützung von Nawalny von dessen Sprecher Wolkow abgeblasen wurden, denkt man im Kreml darüber nach, wie man die Jugend in Zukunft vor illegalen Aufrufen im Internet schützen kann

Demonstrationen zur Freilassung von Alexei Nawalny finden in Russland seit Anfang Februar nicht mehr statt. Die Straßenaktionen begannen am 23. Januar, sechs Tage nach der Rückkehr von Alexei Nawalny aus Deutschland, und endeten am 2. Februar.

10.000 Demonstranten wurden bei drei größeren, landesweiten Aktionen festgenommen. 50 Strafverfahren wurden eingeleitet. Viele Aktive erwarteten, dass neue Aktionen angesetzt werden, doch am 4. Februar erklärte der Sprecher des Nawalny-Teams, Leonid Wolkow, man werde zu keinen weiteren Aktionen aufrufen, sondern sich auf die Duma-Wahlen im Herbst vorbereiten. Viele Aktivisten kritisierten das Abblasen weiterer Proteste.

Wolkow hatte erklärt, weitere Proteste würden nur zu weiteren Verhaftungen führen und die Arbeit der örtlichen Nawalny-Stäbe lahmlegen. So könne man sich nicht auf die Wahlen im Herbst vorbereiten.

Krise und politische Freiheiten

Auch der russische Soziologe Boris Kagarlitsky und Chefredakteur des Portals Rabkor hatte das Abblasen der Proteste kritisiert, denn es führe zu einer Demoralisierung der Protestbewegung. Kagarlitsky hatte dazu aufgerufen, sich mit linken Forderungen an den Protesten zu beteiligen. Einen Maidan wolle man allerdings nicht.

Das System Putin - so der Soziologe - sei in einer schweren Krise, weil die schwache wirtschaftliche Entwicklung auf lange Sicht eine Absicherung der Bevölkerung mit stabilen Löhnen und Renten nicht mehr möglich mache. Ein politischer Wechsel in Russland sei nötig. Der Kreml schränke die politische Freiheit immer mehr ein.

Auf die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) übt der Kreml in letzter Zeit starken Druck aus. Straßenaktion der Partei werden in letzter Zeit nicht mehr genehmigt. Die Partei Gerechtes Russland verliert ihr linkes Profil, nachdem sie sich auf Anweisung des Kreml mit der Bewegung "Für die Wahrheit", geführt vom Schriftsteller Sachar Prilepin, vereinigt hat.

"Irregeleitete Jugendliche"

Derweil sucht die russische Führung nach einem richtigen Umgang mit den vor allem jugendlichen Teilnehmern der Pro-Nawalny-Aktionen.

Es gab in Russland unter Jugendlichen immer starke Protest-Stimmungen und Strömungen. Erinnert sei an den Rock-Sänger Viktor Zoj (1962-1990) mit seinem Lied "Wir warten auf einen Wechsel". Das Lied ist in Russland immer wieder auf Demonstrationen zu hören.

Es prägte eine ganze Generation, die zu Zeiten von Gorbatschows Perestroika aufwuchs und große Hoffnungen hatte. Hoffnungen zu haben, ist eine typische jugendliche Eigenschaft. Dabei schießt man vielleicht auch mal über das Ziel hinaus, weil man noch nicht weiß, wie eine Gesellschaft funktioniert und was eine Gesellschaft braucht, um überhaupt zu existieren.

Die Reaktion der russischen Führung auf die Nawalny-Proteste offenbart jedoch, dass man diesen jugendlichen Impuls, den Traum von einem besseren Leben und neuen Gesichtern, nicht versteht oder nicht verstehen will. Man bezeichnet die jugendlichen Demonstranten als von Erwachsenen "Irregeleitete" und "Verführte", denen man nur "positive Inhalte" anbieten müsse, damit sie sich richtig entwickeln.

Ein öffentlicher Dialog mit "verführten Jugendlichen" ist aber nicht vorgesehen. Dabei wäre gerade das nötig. Dass Jugendliche besonders empfindlich reagieren, wenn sie merken, dass etwas in der Gesellschaft nicht stimmt und die offiziellen Verlautbarungen, die im Fernsehen verkündet werden, oft nicht mit der Lebensrealität übereinstimmen.

Warum ist Nawalny ein politischer Faktor in Russland?

Viele Russland-Freunde in Deutschland machen es sich zu einfach, wenn sie meinen, indem man Nawalny als "Nazi" entlarvt, habe man im Prinzip schon alles zu dieser Person gesagt.

Zwei Fragen werden in der deutschen Nawalny-Debatte ausgeblendet. Es ist wohl wahr, dass Nawalny und sein Team enge Kontakte zu den politischen Führungen in Deutschland und den USA haben. Ausgeblendet wird aber in Deutschland, dass Nawalny von liberalen russischen Geschäftsleuten, unter anderem aus dem Umfeld der Alfa Group, Geld bekommt.

Nicht ausreichend realisiert wurde unter deutschen Russland-Freunden auch, dass Nawalny seine Sprüche gegen Migranten aus dem Jahre 2010 in den letzten Jahren nicht mehr wiederholt hat. Stattdessen setzt der Blogger schon seit mehreren Jahren auf soziale Demagogie. Und eben deshalb hat er mit seinen Filmen einen gewissen Einfluss in der Gesellschaft.

Der russische Linke Aleksej Sachnin hat treffend beschrieben, wie Nawalny, der Anhänger eines neoliberalen Wirtschaftsmodells ist, soziale Demagogie betreibt.

Aus den Protesten gegen die Wahlfälschungen 2011 habe der Blogger eine wichtige Lehre gezogen:

Echte Popularität unter der Bevölkerung gewinnt man nicht mit rechtsnationalem, sondern mit linkssozialem Populismus. Nawalny wurde zwar oft mit Donald Trump verglichen, wandte sich jedoch zunehmend einer sozialen Agenda zu. Nawalny reiste durch das Land und forderte eine Erhöhung der Renten und Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst.

Das Programm der "Partei des Fortschritts", die er Mitte der 2010er Jahre gegründet hatte, setzte sich noch für die Erhöhung des Renteneintrittsalters ein. (…) Im März 2020 behauptete Nawalny sogar, er habe bei den Vorwahlen der US-Demokraten Bernie Sanders die Daumen gedrückt. (…)

Auch die Wortwahl, mit der Nawalny Korruption beschreibt, hat sich entsprechend gewandelt. Weniger die Ineffizienz des Staates, sondern vielmehr die soziale Ungleichheit bildet nun den Fokus seiner Kritik - so kontrastiert er das Luxusleben der russischen Oligarchen und Beamten mit der Armut der einfachen Bevölkerung.

Aleksej Sachnin

Wladimir Putin: "Kaltblütige Verführer"

Vor zehn Jahren, als die russische Protestbewegung begann, sich im Internet zu formieren, nannten regierungsnahe russische Zeitungen die kritischen Blogger im Internet noch "Chomjaki" (Hamster). Nun hat Wladimir Putin Anfang März auf einem Kollegium, bei dem hohe Vertreter des russischen Innenministeriums zusammengekommen waren, die Navalisten im Internet "Iltisse" genannt.

Der Iltis ist ein kleines, puscheliges Tier, aber auch ein aggressiver Jäger. Der Iltis kann ein Beutetier überwältigen, das doppelt so groß ist wie er selbst. Putin sieht in Nawalny zweifellos eine reale Gefahr, gegen die sich der Staat mit allen Mitteln wehren muss.

Der Kreml-Chef erklärte auf dem Kollegium, es sei "wichtig zusammen mit Kollegen anderen Behörden, das Internet zu beobachten und dort aktiver diejenigen zu finden, die Jugendliche für nichtangemeldete Straßenaktionen anwerben". Das sei "eine Gesetzesverletzung und dem Gesetz folgend müsse man darauf auf jeden Fall reagieren."

Wer versuche, "kaltblütig und egal unter welchem Vorwand und mit welcher Soße, Kinder zur Verwirklichung seiner eigenen egoistischen 'Iltis'-Ziele auszunutzen", müsse zur Verantwortung gezogen werden.