Putin fordert Kontrolle des russischen Internets

Seite 2: Repression statt inhaltlicher Debatte

Offensichtlich will der russische Staat gegenüber der Protestbewegung vor allem Härte zeigen, um Nachahmer abzuschrecken. Diese Härte trifft übrigens nicht nur Anhänger der Nawalny-Bewegung, sondern auch Linke, die sich an Protestaktionen beteiligten. Zehn linke Aktivisten kamen in den letzten Wochen in Haft oder bekamen Strafen, berichtete der Soziologe Boris Kagarlitsky.

Wie sieht es eigentlich mit den Idealen der russischen Jugendlichen aus? Gibt es in Russland keine ideellen Ziele, die den Jugendlichen einen Sinn zum Leben geben, außer eine Familie gründen, Geld verdienen und beruflich Erfolg haben?

Doch, es gibt im Grunde zwei Ideen, welche jungen Menschen Sinn im Leben geben, das ist der christliche Glaube und der Patriotismus, der durch die Konfrontationspolitik des Westens immer neue Nahrung bekommt.

Seit Russland unter Sanktionen leidet und das Wirtschaftswachstum nur wenig über Null liegt, haben es Jugendliche schwieriger, ins Leben zu starten. Wladimir Putin hat da auch nichts anzubieten, außer dass er immer öfter Freiwilligen-Arbeit von Jugendlichen lobt.

Bei einem Treffen mit Aktivisten der Organisation "Wir gehören zusammen", die sich während der Corona-Krise um ältere Menschen kümmert, erklärte der russische Präsident, Jugendliche müssten sich mit "positiven Inhalten beschäftigen", damit sie sich "entwickeln und Erfolge haben".

Das Internet müsse sich "Gesetzen und moralischen Prinzipien unterordnen". Man könne es nicht zulassen, dass Kinder und Jugendliche über das Internet "von Geschäftemachern ausgenutzt werden, die Kinderpornographie, Kinderprostitution und Drogen verbreiten" und zu "Unruhen auf den Straßen aufrufen".

Leider hört man solche Warnungen über die Ausnutzung und Beeinflussung von Bürgern Russlands nicht, wenn es um die staatlichen russischen Fernsehkanäle geht, wo es übermäßig viel kommerzielle Werbung gibt und meist Personen zu Wort kommen, welche die neoliberale Wirtschaftsideologie anpreisen. Kritische Kulturschaffende kommen nur selten und Linke noch seltener zu Wort.

Russischer Linker: Angriffe auf individuelle Freiheit

Nachdem der Kreml die Straßendemonstrationen der Nawalisten unter Kontrolle gebracht hat, fürchten russische Linke nun neue Einschränkungen im Internet und im persönlichen Leben. Die Duma-Abgeordnete Inga Jumaschewa, die der Regierungspartei Einiges Russland angehört, hat vorgeschlagen, Abtreibungen in Privatkliniken zu verbieten. Außerdem sollen minderjährige Frauen nur mit Zustimmung der Eltern abtreiben dürfen.

Ihre Parteikollegin Oksana Puschkina kritisierte den Vorschlag. Sie sagte, die nahenden Duma-Wahlen führten zu immer neuen populistischen Forderungen. Ein Verbot der Abtreibung werde zu einer Katastrophe führen. Die Zahl der nicht-legalen Schwangerschaftsabbrüche werde sich massiv erhöhen. Abtreibungen hätten "keine ethischen, sondern sozial-ökonomische Gründe."

Der Soziologe Boris Kagarlitsky meint, indem man ein Abtreibungsverbot in die Debatte bringt, versuche man erneut, "traditionelle Werte einzuführen". In seinem Telegramm-Kanal schreibt der Soziologe, es gehe der Regierung offenbar nicht darum, die Gründe für Abtreibungen zu beseitigen. "Denn dann könne man ja das Lebensniveau der Menschen erhöhen und die Sexualaufklärung ausweiten."

Der Schutz der "traditionellen Werte" sei nur ein vorgeschobener Grund. In Wirklichkeit gehe es um die möglichst weitgehende Kontrolle der Bürger. Es gehe um Einschüchterung und darum, dem Bürger die Möglichkeit zu nehmen, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Das betreffe sowohl den politischen als auch den persönlichen Bereich.

Russland und der Westen - die gleiche Misere

Russland stehe im Kampf gegen individuelle Entscheidungen nicht allein. Während in Russland der Kampf unter dem Banner "traditionelle Werte" und "Kampf der Homosexualität" geführt wird, werde der Kampf in Europa und den USA unter dem Banner "Kampf dem Patriarchat und der Homophobie" geführt.

Das Ziel, die individuelle Entscheidung zu unterdrücken, sei das Gleiche, nur die Methoden seien verschieden. Außerdem werde die Gesellschaft "gegen den äußeren Feind mobilisiert, der daran schuld ist, dass die Werte gepflanzt werden, die wir ausreißen werden". Man müsse an George Orwells Buch "1984" denken, "wo Eurasien ständig gegen Ozeanien kämpft".

Mit dieser Sicht eines russischen Linken auf die Weltlage werden einige Leser nicht einverstanden sein. Doch ein Nachdenken über die These von Kagarlitsky lohnt sich schon.