Kein deutscher Platz an der Sonne

Generalfeldmarschall Walter von Reichenau lässt sich von Generalleutnant Stapf einen Bericht über die Lage in der überfallenen Sowjetunion geben. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-H29376 / Andersen / CC-BY-SA 3.0

Eine Erinnerung zum 8. Mai 1945 und Deutschlands Rolle in der Welt (Teil 2)

Dass die Konkurrenten des wilhelminisch-kaiserlichen Deutschlands, denen die deutsche Herausforderung galt, von sich aus kein Anlass sehen, einen ihnen womöglich ebenbürtigen oder in naher Zukunft gar überlegenen Konkurrenten Raum zu geben, davon gingen die politischen Sachwalter des seit Bismarck zu einem großen Ganzen vereinigten Deutschland aus.

Im Bewusstsein dessen, was Konkurrenz ist und was es heißt, konkurrierende Weltmächte herauszufordern, sowie in der Klarheit darüber, dass die Gewalt Wesensmoment der Politik ist, zumal einer Politik als Weltpolitik, haben die politischen Entscheidungsträger des damaligen Deutschlands ihre nationalen Gewaltmittel dem hohen Zweck entsprechend vorbereitet und geschärft.

In allerlei generalstabsmäßigen und strategischen Vorüberlegungen, Texten und Reden zum in jedem Fall anvisierten "kommenden Krieg", dokumentierten die politischen Sachwalter des deutschen großen Ganzen dies: "ohne Schwäche" (von Bülow) auf den als Rechte und Rechtsansprüche formulierten deutschen Interessen, die auch die Idee eines unter deutscher Führung stehendes (Mittel-) Europa nach dem Sieg einschloss, gegen die damaligen Weltmachtkonkurrenten so lange zu bestehen, bis diese in zufriedenstellender Weise dem deutschen Weltmachtkonkurrenten einen Platz an der Sonne in der Ausübung des Hausherrenrechts über den Rest der Welt samt Völkerschaften zuerkennen und faktisch einräumen.

Die Weltmachtkonkurrenten ihrerseits kannten keinen vernünftigen Grund, ein deutsches Recht auf Erfolg in der Standort-, Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz widerspruchslos hinzunehmen und schärften ebenfalls die ihnen zur Verfügung stehenden Zerstörungs- und Vernichtungsmittel, die sie zum Zweck ihres Hausherrenrechts über die Welt samt Völkerschaften schon hatten. Und alle politischen Souveräne taten das ihre, um in der Zeit des Friedens die Zustimmung derer zu gewinnen, die in den "kommenden Krieg" geschickt, das heißt befohlen werden, um den Sieg des eigenen großen Ganzen zu erringen - koste es was es wolle.

Diese im Frieden bewerkstelligte Mobilisierung ihrer staatsbürgerlichen Massen ist allen politischen Souveränen so glänzend gelungen, dass die Staatsbürgermassen in ihrem falschen, das heißt staatsbürgerlichen, das heißt staatstreuen Bewusstsein, das kommende Gemetzel, das ihre Regierungsverantwortlichen für sie vorsahen, als notwendig und richtig betrachteten.

So bedurfte es für das wilhelminisch-kaiserliche große Ganze, wie immer, wenn Staaten zum politischen Mittel der maximalen Gewaltaustragung greifen, nur eines zufälligen, herbeigeführten oder erdichteten Anlasses, um den präventiven Verteidigungskrieg der eigenen Interessen und des durch die Konkurrenten nicht zuerkannten, also verletzten Rechts auf Mitsprache und Erfolg des deutschen großen Ganzen zu beginnen.

Die um ein zufriedenstellendes deutsches Mitspracherecht bei der Ausübung des Hausherrenrechts über den Globus und seinen Völkerschaften geführte, vier Jahre andauernde Schlächterei, Weltkrieg genannt, kostete neben 21 Millionen Verletzten gut 20 Millionen in die Schlacht Geschickten und Daheimgebliebenen das Leben.

Der misslungene "Griff zur Weltmacht"

Allerdings zeitigte das von den staatsbürgerlichen Massen vollbrachte und erlittene Gemetzel für das deutsche große Ganze dieses Ergebnis: die Zerstörungs- und Vernichtungsgewalt der Konkurrenten hat sich als überlegen erwiesen, der "Griff zur Weltmacht" war misslungen. Statt eines deutschen Platzes an der Sonne in Sachen Mitspracherecht bei der Beherrschung der Welt, auferlegten die siegreichen Konkurrenten dem deutschen großen Ganzen einige harte Bedingungen, die diesen Konkurrenten für die mindestens absehbar nächste Zeit außer Gefecht und außerhalb jeder geo- und weltpolitischen Wirkung setzen sollten.

Über diese Schmach hinaus lösten die siegreichen Konkurrenten beim unterlegenen Gegner eine nicht geringe Empörung zudem mit dem vertraglich in Brief und Siegel gegossenen Argument aus, der deutsche Griff nach der Weltmacht trage die "Schuld" an der vier Jahre anhaltenden Schlächterei.

Dass eine solche, das hohe, nationale Ehrgefühl verletzende Herabwürdigung des deutschen großen Ganzen einhergehend mit dem verletzten Rechtsanspruch eines deutschen Platzes an der Sonne früher oder später seiner praktischen Korrektur und Richtigstellung bedarf, stand bei einer Nation, die von den etablierten Weltmächten Anerkennung und Respekt auf gleicher Augenhöhe verlangte, ohnehin außer Frage.

So fand Hitler, fanden seine Anhänger, fand die nationalsozialistische Bewegung, fand die Weimarer Bevölkerung das Ergebnis des ersten deutschen Griffs nach der Weltmacht vor. Weit davon entfernt, die durch den deutschen Griff zur Weltmacht ausgelöste zwischenstaatliche Schlächterei als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" (G.F. Kennan) zu betrachten, die offensichtlich niemand wollte und die deshalb wie ein schicksalhaftes Naturereignis "ausbrach", zogen Hitler und die Seinen eine recht nüchterne, geo- und weltpolitische Bilanz.

Für sie bedeutete der misslungene deutsche Griff nach der Weltmacht eine "Urkatastrophe" nicht wegen der für die Schlächterei Dahingerafften, Verletzten, Verstümmelten und (Kriegs-)Traumatisierten. Nachfolgende Generationen werden an ihre Stelle treten und die in der lebendigen, menschlichen Säule des Staats gerissenen Lücken wieder auffüllen.

Das Volk soll und wird Bestand haben, so oder so. Darauf zu achten, im Krieg wie im Frieden, auch und gerade in pandemischen Zeiten, weiß jedes staatliche Gebilde als eine seiner obersten Pflichten, das dem Volke dient, um sich seiner zu bedienen. Zumal, wenn die neue Riege der Regierungsverantwortlichen mit allerlei geeigneten bevölkerungspolitischen Maßnahmen die Geburtenrate des ihr unterstehenden Volk zu befördern weiß. Auch Trümmerwüsten müssen keine bleiben, sogar Autobahnen sind machbar, Niederlage hin oder her.

Mögen die siegreichen Konkurrenten dieses zwischenstaatlichen Waffengangs auch einige harte Bedingungen der unterlegenen deutschen Nation hinsichtlich ihres staatlichen Territoriums und ihrer kapitalistischen Reichtumsproduktion diktiert haben: Nichts hindert die neuen politischen Entscheidungsträger daran, die ihnen gelassene Souveränität über das verbleibende Territorium mitsamt kapitalkräftigem Wirtschaftswachstum und einer gewiss wieder anwachsenden Bevölkerung für einen neuen Aufbruch zu Höherem, auch unter bewusster Umgehung diktierter Auflagen und Beschränkungen, in Dienst und in die Pflicht zu nehmen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.