Rettung aus Afghanistan: Es geht nicht um Humanität

Afghanisches Flüchtlingskind mit Mutter im Iran. Bild: EU Civil Protection and Humanitarian Aid, CC BY-NC-ND 2.0

Die inszenierte Evakuierung von Zivilisten versperrt den Blick auf zivile Lösungen. Das ist wohl so gewollt

Vor zwei Wochen wurde von Politikern der Bundesregierung noch diskutiert, wie Migranten zurück nach Afghanistan abgeschoben werden können. Heute dreht sich die Debatte darüber, wie man möglichst viele Menschen aus Afghanistan herausholen kann.

Es ist zunächst positiv, wenn dabei antirassistische Initiativen wie das Bündnis Seebrücke für sichere Luftwege aus Afghanistan plädieren.

Interessant aber ist, dass Seebrücke offenlässt, ob dafür die Bundeswehr oder eine zivile Kraft zuständig sein soll. Dabei ist die Frage wichtig. Schließlich hat die Bundeswehr ihren Evakuierungseinsatz in Afghanistan bereits über den Kabuler Flughafen hinaus ausgeweitet – und steht doch auf verlorenem Posten, wenn die rund 6.000 US-Militärs in wenigen Tagen abziehen.

Es ist sicherlich dem Pragmatismus geschuldet, der viele progressive Gruppen in Deutschland dazu schweigen lässt. Das war schon so, als die Bundeswehr bei der Corona-Bekämpfung eingesetzt wurde.

Die antimilitaristische Gruppe NoWar-Berlin gehörte zu den wenigen Initiativen, die sich dazu kritisch äußerte und auf zivile Alternativen in der Pandemiepolitik verwies. Noch schwerer ist die Frage, ob es bei der Evakuierung aus Afghanistan solche zivilen Alternativen gibt und ob diese in kurzer Zeit zu organisieren gewesen wären.

Die Menschen, die jetzt aus Afghanistan rauswollen, haben nämlich keine Zeit. Das ist ein Dilemma, dass sich auch Menschen, die der Bundeswehr kritisch gegenüberstehen, eingestehen müssen. Dennoch sollte man Alternativen nicht von vornherein ausschließen.

Auch Abschiebungen werden immer wieder über zivile Luftfahrtunternehmen organisiert, bis vor wenigen Wochen auch nach Afghanistan. Da sollte doch zumindest die Frage erlaubt sein, warum nicht auch für die Luftbrücke zivile Flugzeuge verwendet werden, zumal ja durch die Corona-Pandemie noch immer ein Teil der Flugzeuge nicht ausgelastet sind.

Bundeswehrkritiker argumentieren mitunter, nun sollten die Soldaten mit der Evakuierung auch mal "etwas Humanitäres" machen. Doch dabei sollte man nicht naiv sein. Es ist kein Zufall, dass jetzt auch die offizielle Politik von Evakuierungen in Afghanistan redet.

Es gab schließlich seit vielen Jahren Forderungen nach sicheren Transitwegen von Migranten aus Afrika nach Europa. Damit, so heißt es dann gemeinhin, könne verhindert werden, dass Menschen auf kleinen Booten bei der Überfahrt ihr Leben verlieren.

Natürlich wurden solche Forderungen in der Politik nie ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl man immer wieder von Todesfällen auf den illegalen Fluchtrouten erfahren musste.

Es geht also nicht abstrakt um das Humanitäre, wenn heute im Bundestag darüber diskutiert wird, ob die Evakuierungsmission nachträglich mandatiert und der Abzug der Militärs aus Afghanistan über den 30. August hinaus ausgeweitet wird. Solche Diskussionen gibt es auch in den USA, Frankreich und in Großbritannien.

Hier versuchen Politiker, die in den letzten 20 Jahren den Afghanistan-Einsatz auf unterschiedliche Weise befürwortet haben, mit dem Argument, die Ausreise der Schutzbedürftigen sei noch nicht abgeschlossen, den Militäreinsatz zu verlängern und eine nicht bestehende militärische Hoheit zu simulieren. Und wenn sich die Taliban, wie schon angekündigt, nicht nur verbal gegen die ausländischen Truppen wenden?

Dann könnte schnell eine neue Runde der militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan eingeleitet werden. Schließlich ist das Argument, in einem Land die Menschenrechte durchsetzen zu wollen, nicht nur am Hindukusch ein probates Mittel, ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen.

Man braucht da nur an die Debatten in Deutschland Ende der 1990er-Jahre um den Krieg in Jugoslawien zu denken.

Der Afghanistan-Einsatz aber war in den letzten Jahren vor allen in den USA in großen Teilen der Bevölkerung unbeliebt. Daher hat auch US-Präsident Biden die Abzugspläne seines Vorgängers fortgesetzt. Nun könnte man mit dem Verweis auf die humanitäre Katastrophe die Stimmung zu drehen versuchen.

Wer wird ausgeflogen?

Neokonservative Interventionisten wie der ehemalige US-Sicherheitsberater John Bolton haben schon deutlich gemacht, dass es eben nicht nur humanitären Erwägungen geht. Mit seiner Warnung vor Atombomben in den Händen der Taliban sucht er neue Gründe für ein militärisches Engagement.

Dabei könnte auch die Auswahl der Menschen, die evakuiert werden, eine Rolle spielen. Natürlich sind Personen, die schon mit den Nato-Soldaten kooperiert haben, eher dazu bereit, das auch in Zukunft zu tun.

Anders ist bei Menschenrechtlern und Feministinnen, die unabhängig von den Militärs für Veränderungen in der afghanischen Gesellschaft eintreten und es viel schwerer haben, auf die Evakuierungsliste zu kommen.

Daher hat der viel kritisierte Vorschlag der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, nur Frauen aufzunehmen, auch einen realen Hintergrund.

Tatsächlich ist es auffallend, dass sich überwiegend Männer um den Flughafen von Kabul drängeln. Der Zusammenhang, dass Frauen schon vor der Machtübernahme der Taliban massiv diskriminiert wurden, und sich gar nicht in der Öffentlichkeit zeigen können, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen, wie die Tatsache, dass sie von den Taliban und auch durch die mit ihnen verfeindeten Islamisten besonders unterdrückt wurden.

Das betrifft natürlich nicht alle Frauen in Afghanistan. Es gibt sicher viele, die das islamistische Regime verteidigen. Aber es ist eine Überlegung wert, zivile Transitmöglichkeiten für Frauen zu fordern und dafür die noch im Land befindlichen Nichtregierungsorganisationen einzubeziehen.

Es sind ja nicht alle geflohen. Mehrere NGO haben schon erklärt, dass sie ihre Arbeit im Interesse der Bevölkerung fortsetzen wollen. Das würde auch das Fake-Bild korrigieren, dass in den letzten Tagen von Afghanistan gezeichnet wurde.

Da war die Rede von einer Hölle, aus der alle fliehen wollen. Das ist ein kolonialistisches Narrativ, das auch schon gegenüber verschiedenen afrikanischen Ländern angewandt wurde.

Im Fall Afghanistans wird hier einfach unterschlagen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nicht den Kabuler Flughafen umlagert und fliehen will, worauf auch Menschen hinweisen, die in afghanischen Provinzen teils seit Jahren Projekte unterstützen.

Zudem wird natürlich nicht erwähnt, was die verschiedenen Nato-Staaten seit Jahrzehnten dazu beigetragen haben, dass die Situation in Afghanistan so desolat ist. Das fing bereits Ende der 1970er-Jahre mit dem Kampf gegen die damalige afghanische Linksregierung an.

Es sollte auch bei der aktuellen Berichterstattung eine gewisse Sensibilität dafür bestehen, dass durch das Zeichnen eines ganzen Landes als Hölle, vor der man nur flüchten will, auch ein politisches Klima geschaffen wird, in dem dann scheinbar nur noch Nato-Truppen den Teufel bannen können.

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