Cannabis-Legalisierung: Über Ursachen und Risiken des Konsums

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Die Ampel könnte umschalten - Polizeigewerkschafter halten dagegen

Falls es in Deutschland zur ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene kommt, steht auch die Ampel für die Cannabis-Legalisierung auf "grün". Das berichtete jedenfalls Tagesschau.de am 12. Oktober (siehe auch: Chance für Cannabis-Legalisierung: Gesetzeshüter streiten übers Kiffen).

Zwischen Grünen und FPD scheint man sich vor allem bei den Formulierungen zu unterscheiden: Die Einen reden vom "regulierten Verkauf", die Anderen von der "kontrollierten Freigabe". Die SPD ist im Prinzip auch dafür, will die praktische Umsetzung aber erst in Modellprojekten ausprobieren.

Über Finanzen braucht man sich hier jedenfalls kaum zu streiten: Ein Verkauf in dafür lizenzierten Geschäften brächte im Gegenteil Geld in die Steuerkasse. Obendrein wären Polizei und Justiz entlastet.

Viele Länder, viele Grenzen

Schon 1994 musste das Bundesverfassungsgericht deswegen über das Betäubungsmittelgesetz urteilen. Gerichte in Hessen und Schleswig-Holstein hatten sich nämlich geweigert, beim Besitz geringer Mengen von Cannabisprodukten eine Strafe zu verhängen, während selbst dieser in Bayern hart bestraft wurde.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter in roten Roben hielten zwar generell an den gesetzlichen Regelungen (und damit auch den Strafen fest). Sie betonten aber, dass der Besitz geringer Mengen in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt werden solle.

Letztlich geht es um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Kleine Verstöße dürfen nicht zu hart bestraft werden. In den Rechtswissenschaften nennt man das auch "Übermaßverbot".

Doch selbst 27 Jahre später herrscht in Deutschland keine Einigkeit darüber, was als geringe Menge anzusehen ist. Wer sich beispielsweise von Bremen aus mit 12 Gramm Haschisch im Gepäck zu einer Party mit Freunden in Berlin aufmacht, müsste bei der Reise durch Niedersachsen oder Brandenburg dem Gesetz nach strafrechtlich verfolgt werden. Da gelten nämlich niedrigere Grenzen für die Geringfügigkeit (6 Gramm).

Überhaupt garantieren diese Zahlen erst einmal nichts. Es sind Richtwerte. Staatsanwaltschaften und Gerichte können davon abweichen - und beispielsweise ein Verfahren nur unter Auflagen einstellen. Das können Arbeitsstunden, ein Gespräch bei einer Suchtberatung oder eine Geldbuße sein.

Liberaler Rechtsstaat

Damit liegt der Ball bei den Bundesregierungen beziehungsweise den Mehrheiten im Bundestag. Das Bundesverfassungsgericht greift nämlich nur zurückhaltend in deren Gesetzgebungsprozess ein.

Das ergibt auch Sinn, denn der Bundestag ist ja die gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger. (Einwände darüber, wie repräsentativ zusammengestellt und wie frei die Abgeordneten in ihren Entscheidungen wirklich sind, seien hier außen vor gelassen.)

Das heißt, das Bundesverfassungsgericht respektierte hier die Gestaltungsmacht der Volksvertretung. Das hätte nur anders ausgehen können, wenn man beispielsweise aus dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2, Absatz 1 GG) ein "Recht auf Rausch" abgeleitet hätte. Dies verneinten die Richterinnen und Richter aber.

Ein 'Recht auf Rausch' […] gibt es nicht. […] In diesen Fällen [gemeint sind geringfügige Verstöße, d. A.] werden die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben. […] Der Gleichheitssatz gebietet nicht, alle potentiell gleich schädlichen Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen. Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß den Umgang mit Cannabisprodukten einerseits, mit Alkohol oder Nikotin andererseits unterschiedlich regeln.

Aus den Leitsätzen der BVerfG-Entscheidung vom 9. März 1994, 2 BvL 43/92

Die rot-grünen Bundesregierungen unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer konnten sich von 1998 bis 2005 zu keiner Legalisierung von Cannabis durchringen. Seitdem geben die Unionsparteien, die drogenpolitisch konservativ sind, den Ton an. Eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP könnte nun einen Wechsel bringen.

Kritik von Polizeigewerkschaften

Doch die Meldung über die mögliche Legalisierung rief umgehend Kritik von den Polizeigewerkschaften auf den Plan. Der Vorsitzende der GdP, Oliver Malchow, will laut der Tagesschau-Meldung neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol keine weitere "gefährliche und oft verharmloste" Droge. Es müsse endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden.

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der DPolG, Rainer Wendt. Cannabis sei nicht nur eine gefährliche Einstiegsdroge, sondern wegen der unkontrollierten Zusammensetzung vor allem für junge Menschen gefährlich. Zudem seien "Bekiffte" im Straßenverkehr ein nicht hinnehmbares Risiko.

Bei diesen Aussagen kommen neben den Werten auch Faktenfragen ins Spiel. Den Hinweis auf die "unkontrollierte Zusammensetzung" kann man dabei im Handumdrehen wegwischen: Es geht bei der Legalisierung ja um die kontrollierte Abgabe.

Das klappt bei Apotheken oder Gaststätten doch auch: Würde ein Apotheker oder Wirt seine Produkte "strecken", riskierte er nicht nur seine Lizenz, sondern auch empfindliche straf- und zivilrechtliche Konsequenzen.

Zudem tritt die Cannabislobby inzwischen so professionell auf, dass man ihr die Einhaltung von Sicherheitsstandards zutrauen darf. Im Übrigen würden einzelne schwarze Schafe das Ansehen der ganzen Gruppe in der Öffentlichkeit gefährden. Insofern besteht hier ein großes Interesse daran, sich an gesetzliche Regelungen zu halten.

Verbote und ihre Folgen

Absurderweise ist es gerade wegen der heutigen Verbote so, dass Dealer ihren Kunden verunreinigte Produkte verkaufen können. In der Regel hat weder der kleine Dealer an der Straßenecke noch der Käufer die Möglichkeit, die Substanzen auf ihre Gefährlichkeit zu überprüfen.

Der rechtliche Status von Teststationen ist wiederum umstritten (Warum repressive Drogenpolitik nicht funktioniert). Wegen der Illegalität der Substanzen wird ein Drogen-Check nämlich mitunter als das Beschaffen einer Gelegenheit zum Konsum gesehen (§ 29, Absatz 1, Punkt 11 BtMG).

Es sei hier an das alte Verbot der "Kuppelei" erinnert: Wer früher, beispielsweise als Vermieter, unverheirateten Personen ein Zimmer überließ und so eine Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr ("Unzucht") verschaffte, musste mindestens einen Monat ins Gefängnis. Zudem drohten Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (z.B. Wahlrecht) und Polizeiaufsicht. Bei mildernden Umständen konnte die Gefängnisstrafe auf einen Tag verringert werden.

In der DDR wurde das Kuppeleiverbot (bei Erwachsenen) in den späten 1960ern, in Westdeutschland in den frühen 1970ern abgeschafft. Wird die Gesellschaft auf das "Beschaffen einer Gelegenheit" zum Drogenkonsum einmal so zurückschauen, wie wir heute auf Kuppelei blicken?

Rechte und Werte

Im liberalen Rechtsstaat gilt aber nicht nur das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch des politischen Liberalismus: Das bedeutet, dass erlaubt ist, was nicht verboten ist, und Verbote schlüssige Begründungen erfordern. Dabei findet die Freiheit des Einzelnen ihre Grenze an der Freiheit des Anderen.

Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft wurde uns gerade in der Coronapandemie wieder sehr deutlich: Bei Diskussionen über Test- oder Impfpflicht ist es offensichtlich. Aber auch bei dem Gedanken, dass das Verhalten anderer Menschen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben kann - und dann bleibt vielleicht kein Beatmungsgerät für die eigenen Großeltern oder gar einen selbst?

Freiheit ist und bleibt jedoch der leitende Oberbegriff unserer Gesellschaftsordnung. Das ist insbesondere für Deutschland mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit von Bedeutung. Sie ist aber ebenfalls ein wesentliches Element der Tradition der Aufklärung, auf die wir Europäer so stolz sind, und die sich auch in der Französischen Revolution ausdrückte (französisch: Liberté!).

Nun berufen sich Drogenkonsumenten auf ihr Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Hier sei zunächst noch einmal daran erinnert, dass die Unterscheidung zwischen Genussmittel, Droge und Medikament nicht in Stein gemeißelt ist, sondern eine traditionelle, politische und pragmatische ist (Medikamente und Drogen im Wandel gesellschaftlicher Erwartungen).

Wenn man von "Drogen", "Drogendealern" und "Drogenkonsumten" spricht, schwingt darum immer auch eine Wertung mit. Dabei waren Drogen (von niederländisch droog = trocken) ursprünglich getrocknete Waren, die man in der Drogerie kaufte (und heute dort immer noch kaufen kann).

Substanzkonsum - um das Wort "Droge" zu vermeiden - war und ist in der Menschheitsgeschichte völlig normal (Die Droge als Instrument). Noch im 19. Jahrhundert waren die Kolonialmächte, die heute "Drogenkriminalität" bekämpfen, selbst die größten Drogendealer.

Staatliche Interessen

Als China wegen der sozialen Folgen beispielsweise das Opium verbieten wollte, führten erst Großbritannien (1839-1842) und später die Briten zusammen mit Frankreich (1856-1860) Kriege gegen das Reich der Mitte. So wurde China dazu gezwungen, seine Märkte wieder für den Import der Substanzen zu öffnen. Auch im Afghanistankrieg unserer Zeit spielte Opium wieder eine große Rolle.

Später änderten sich die Vorzeichen: Jetzt wurde von Konservativen die Möglichkeit entdeckt, mit Drogenpolitik Sozial- und Migrationspolitik zu machen.

Man hatte zu viele chinesische Gastarbeiter im Land, nachdem diese die Eisenbahnschienen verlegt hatten? Man hatte etwas gegen Mexikaner, Farbige oder Hippies? Also verbot man deren geliebte Substanzen: Opium, Haschisch, LSD.

Damit hatte man einen rechtlichen Grund geschaffen, institutionell gegen sie vorzugehen, mit Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichten und Gefängnissen. Sie waren auf einmal "Drogenkriminelle".

Über internationale Verträge haben vor allem die US-Amerikaner diese Sichtweise mehr oder weniger weltweit durchgesetzt. Vordergründig wollte man Menschen vor gefährlichen Mitteln schützen. Doch welche Massen wurden durch Richard Nixons 1971 ausgerufenen und bis heute anhaltenden "Krieg gegen die Drogen" überhaupt erst ins Elend und oft genug sogar in den Tod getrieben?