Berliner Volksentscheid: Der Traum ist aus

Berlins designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) war stets gegen die Enteignung und fand in der Linkspartei willige Partner. Foto: Sandro Halank / CC BY-SA 4.0

Der erfolgreiche Berliner Enteignungsvolksentscheid wird für ein "rot-rot-grünes" Regierungsbündnis elegant entsorgt

In Berlin wird es wohl erneut eine "rot-rot-grüne" Regierung geben, wenn auch mit deutlich verschobenen Kräfteverhältnissen. Die SPD konnte sich bei der Wahl am 26. September mit der vor einem knappen halben Jahr nominierten neuen Frontfrau Franziska Giffey aus dem Umfrage-Nirvana aufrappeln und wurde wieder stärkste Kraft. Die Grünen haben - hauptsächlich in den "hippen" Innenstadtbezirken - deutlich zugelegt, Die Linke verzeichnete dagegen Einbußen, vor allem in ihren alten Hochburgen im Osten der Stadt.

Die Verluste der Linken wären wohl noch deutlich stärker ausgefallen, wenn sie nicht einen ziemlich zugkräftigen Wahlkampfschlager zu bieten gehabt hätte: Das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen", das sie als einzige Partei ohne Abstriche unterstützt hat - auch vor Ort, bei der Sammlung der notwendigen Unterschriften. Beim parallel zu den Wahlen stattfindenden Volksentscheid gab es einen überwältigenden Erfolg. Mehr als 57 Prozent der Teilnehmenden stimmten dafür, insgesamt deutlich über eine Million Menschen.

Frühes Machtwort von Franziska Giffey

Die designierte Regierende Bürgermeisterin Giffey hatte bereits vor der Wahl unmissverständlich erklärt, dass es mit ihr keine Enteignungen geben werde und man vielmehr den Schulterschluss mit der privaten Immobilienwirtschaft suche. Daran hat sich auch nach der Wahl nichts geändert. Die Grünen mochten zwar Enteignungen als "letztes Mittel" nicht ausschließen, legten aber gegenüber der Kampagne eine eher ambivalente Haltung an den Tag.

Ohnehin wollte Giffey eigentlich keine Neuauflage der "rot-rot-grünen" Koalition, sondern strebte ein Bündnis mit den Grünen und der FDP oder eine "Deutschland-Koalition" mit CDU und FDP an. Dies erwies sich aber in der eigenen Basis als nicht vermittelbar, und auch die Grünen verspürten - anders als im Bund - keinerlei Neigung, mit der im ziemlich luftleeren neoliberalen Raum irrlichternden Hauptstadt-FDP zu koalieren.

Prompt diente sich Die Linke als billig zu habender Partner an - und opferte bereits in den ersten Sondierungsgesprächen ihr wichtigstes Wahlkampfversprechen: Die zügige Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheides, also die Erarbeitung eines Gesetzes zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen mit Beständen von mehr als 3.000 Wohnungen.

Volksbegehren entpuppt sich als zahnlos

Davon ist jetzt keine Rede mehr. Vielmehr wird der Volksentscheid in eine "Expertenkommission" entsorgt, die nach einem Jahr eine unverbindliche "Empfehlung" abgeben soll, wie der Senat weiter verfahren könnte. Der linke Spitzenkandidat Klaus Lederer, der voraussichtlich auch der neuen Landesregierung angehören wird, verteidigte dieses Vorgehen am Montag ausdrücklich. Es sei schließlich "juristisches Neuland, was da betreten wird". Das müsse jetzt alles gründlich geprüft und ausgearbeitet werden.

Nahezu zynisch wirkt sein Hinweis, der Volksentscheid habe schließlich kein fertiges Gesetz zum Inhalt, denn das hätte nach der Abstimmung einfach in Kraft treten können. Doch genau dieses Vorgehen - also kein Gesetz, sondern eine juristisch unverbindliche Aufforderung, noch dazu ohne Fristen - hatte Die Linke der Kampagne nachdrücklich empfohlen, weil das vermeintlich "weitgehender" und "politisch wirksamer" wäre als ein Gesetzentwurf, der womöglich schon vor dem eigentlichen Volksentscheid in der Schleife der juristischen Überprüfungen landen würde.

Trotz eindringlichen Warnungen vieler Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler tappte die Kampagne in diese Falle und klammerte sich an den Glauben, dass der Senat den Volksentscheid umsetzen müsse. Vor allem gab man sich überzeugt, dass Die Linke die zügige Umsetzung des Volksentscheids als "Rote Linie" bei Koalitionsverhandlungen behandeln würde.

Kampagne steht vor einem Scherbenhaufen

Davon kann jetzt natürlich keine Rede sein, im Gegenteil. Die Initiative war schon durch eine interne Auseinandersetzung über einen unbewiesenen sexuellen Übergriff, der einem langjährigen Sprecher vorgeworfen wird, und den Umgang mit der Anschuldigung gebeutelt und steht jetzt vor einem Scherbenhaufen. Eher hilflos wirken die Versuche, jetzt "Druck auf die Koalitionsparteien aufzubauen", etwa durch Protestaktionen vor den jeweiligen Landesparteitagen und Verhandlungsorten. Die Basis ist ausgelaugt, schockiert und vor allem auch ausgedünnt. So beschrieb unter anderem der Journalist und Kulturmanager Marcus Staiger, der das Ziel der Initiative nach wie vor teilt, den internen Umgang als unsolidarisch, verletzend und ausgrenzend.

Lehrstück in Sachen Demokratie

Demokratiepolitisch werden das Einknicken der Partei Die Linke und andere ernüchternde Erfahrungen in einer zeitweilig die stadtpolitische Debatte dominierenden Initiative jede Menge verbrannter Erde hinterlassen. Zeitweilig weit über 1.000 aktive Mitstreiter haben Unmengen Zeit und Kraft investiert, um auf Straßen und Plätzen und bei Haustürgesprächen mehr als 200.000 Unterschriften für das Volksbegehren zu sammeln. Den Menschen wurde dabei versprochen, mit diesem Volksbegehren könnte eine schnelle und nachhaltige Eindämmung des Berliner Mietenwahnsinns erreicht werden.

Doch die Gegenseite blieb erstaunlich ruhig. Keine große Anti-Enteignungskampagne, auch die Börsenkurse der laut Volksbegehren betroffenen Wohnungskonzerne blieben nach ersten Irritationen stets stabil. Spätestens seit Giffey eindeutigem Bekenntnis zur Nichtumsetzung des Volksbegehrens waren jegliche Ängste weitgehend verflogen. Sowohl den vielen Aktiven als auch den Bürgern, die unterschrieben und jetzt mehrheitlich mit Ja gestimmt haben, zeigen die Herrschenden lächelnd den Stinkefinger: Ihr könnt unterschreiben, demonstrieren und abstimmen wie ihr wollt - interessiert uns sowieso nicht.

Die Linke bleibt sich treu

Auch das Agieren der Linken kommt keineswegs überraschend. Die faktische Entsorgung des von ihnen als willkommene Wahlkampfhilfe genutzten Volksentscheids folgt exakt der Linie, ihrer seit knapp 20 Jahren (nicht nur) in der Hauptstadt praktizierten Politik. Schließlich war es ihr Vorläufer PDS, die in der ersten "rot-roten" Koalition 2004 den Verkauf von über 100.000 kommunalen Wohnungen an Spekulanten zum Schnäppchenpreis absegnete und somit praktisch zum Geburtshelfer der "Deutsche Wohnen" wurde, die sie jetzt vermeintlich enteignen wollte. Mitregieren ist für diese Partei an Wert an sich, egal für welchen Preis.

Wie es jetzt weiter geht? Wenn Wut, Frust und hilflose Nachhutgefechte ein wenig verraucht sind, gilt es, den ganzen Ablauf dieser in ihrer Breite eigentlich beispiellosen Kampagne nüchtern und gründlich aufzuarbeiten. Es gilt viele Illusionen zu überwinden, über die "direkte Demokratie" und vor allem über Die Linke. Es gibt viel zu lernen. Auch, wie künftig vielleicht verhindert werden könnte, dass Gruppen wie die Interventionistische Linke (IL) letztendlich die Breite solcher Bewegungen infrage stellen, indem sie nahezu alle wichtigen Schlüsselpositionen besetzen und beispielsweise einen "woken" Umgang mit internen Konflikten und Vorwürfen voraussetzen, der mit wichtigen Bündnispartnern nicht abgesprochen ist.

Und es gilt weiter zu machen: In seinem Stadtteil, in kleinen Initiativen, in Betrieben, auf der Straße und wo auch immer. Denn nicht nur der Kampf gegen den Mietenwahnsinn muss ungebrochen fortgesetzt werden.

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