Frauen als Legitimation für den "Krieg gegen den Terror"?

Immer für ein Foto gut: afghanische Frauen, hier mit Hillary Clinton. Bild: S.K. Vemmer/U.S. Department of State, gemeinfrei

Wie die Nato die Integration von Frauen als Kriegsgrund und für den Einmarsch in Afghanistan instrumentalisiert hat

Der Fall Kabuls ist auf eine Art und Weise geschehen, die uns alle zerstört hat. Alle, gleich, ob ihr Leben in Gefahr war oder nicht. (...) Zurzeit ist Kabul in einer Situation, glaube mir, wenn jemand kommt und mir eine Ohrfeige gibt, würde ich nicht fragen, warum er das gemacht hat. So katastrophal ist die Lage: alle fühlen sich furchtbar. Es fühlt sich an als sei ganz Kabul eine psychiatrische Anstalt."

Setareh, 26 Jahre alt, Frauenrechtsaktivistin in Afghanistan

Setarehs Angst vor willkürlicher Gewalt beschreibt die Bedingungen, unter denen afghanische Frauen derzeit zu Hause und in öffentlichen Räumen bezahlte und unbezahlte Arbeit leisten und sich bewegen.

Frauen sind inzwischen wieder an ihre Arbeitsplätze in Banken, Krankenhäusern und privaten Institutionen, Unternehmen und Universitäten zurückgekehrt. Internationale Organisationen beginnen wieder, Frauen an den Arbeitsplatz zu bestellen, während Lehrerinnen in Mädchenschulen nur noch Mädchen bis zur sechsten Klasse unterrichten können.

Männliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die von der Regierung Aschraf Ghanis angestellt worden waren, wurden von den Taliban dazu aufgerufen, wieder an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Gleichzeitig aber werden Frauen von Soldaten der Taliban daran gehindert, Regierungsgebäude und Ministerien zu betreten.

Die Taliban-Führung hat aktuell weder eine Sittenpolizei etabliert noch formelle Fatwas, schriftliche islamische Rechtsgutachten, zum Thema Frauen in der häuslichen und nationalen Arbeitsteilung veröffentlicht.

Doch Gewalt und wirtschaftliche Not prägen das Leben aller Frauen auf unterschiedliche Weisen: viele Frauen, die in den vergangenen zwanzig Jahren an politischen, rechtlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligt waren, haben sich ins häusliche Leben zurückgezogen. Andere Frauen jeden Alters lassen sich von Taliban-Kämpfern, die auf den Straßen Kabuls patrouillieren, nicht einschüchtern.

Zugleich finden sich vermehrt stark sozioökonomisch desintegrierte und marginalisierte Frauen auf den Straßen. Zusammen mit ihren Kindern betteln sie um ihr täglich Brot - und ich meine hier buchstäblich einen trockenen Fladen Weißbrot für Mütter und Kinder.

Bildungsferne Frauen, deren Leben sich vorwiegend im häuslichen Raum abspielt, haben mit gebildeten und ausgebildeten Frauen gemeinsam, dass die Wirtschaftskrise, die mit dem Fall Kabuls und dem vermeintlichen Friedensabkommen zwischen den USA und der Taliban-Führungsriege in Doha, Qatar, ihren Anfang genommen hat, ihre gesundheitliche, politische und sozioökonomische Lage und soziale Aufstiegsmöglichkeiten zunichtegemacht hat.

Dabei war die Notlage von "afghanischen Frauen" im Rahmen der US-Invasion Afghanistans im Herbst 2001 ein "First Lady"-Projekt von Laura Bush.

Mit Frauen für den "Krieg gegen den Terror"

Zuvor schon war die Notlage von Frauen und Mädchen in den Resolutionen 1193 und 1214 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Jahre 1998 problematisiert worden.

Erst mit dem militärischen Einsatz der Nato – angeführt von den USA – rückten Frauen und Mädchen ins Zentrum der politischen Rhetorik, die den "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan legitimieren sollte.

Im November 2001 erklärte Laura Bush in der wöchentlichen Radiosendung des Weißen Hauses, die normalerweise nur dem Präsidenten gewidmet ist, dass angesichts der "Brutalität gegen Frauen und Mädchen" das terroristische Netzwerk von al-Quaida und die Taliban gestoppt werden müssten.

Die Mobilität und Sichtbarkeit von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wurde ein Siegesmerkmal der "zivilisierten" Gesellschaften nach der Invasion.

Zur Legitimation des Krieges wurde die vermeintlich "zivilisierte" Freiheit von afghanischen Frauen und ihre Integration und Teilnahme in der liberalen Rekonstruktion des islamischen Staates und der nationalen Wirtschaft gefeiert: Frauen in Schönheitssalons, Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen, Frauen im Sport, Frauen im afghanischen Militär und bei der Polizei wurden zu sensationslüsternen Bildern und Themen in westlichen Medien, die die neugewonnene vermeintliche Freiheit afghanischer Frauen illustrieren sollten.

Tatsächlich aber wurden afghanische Frauen zu Legitimationsobjekten einer neoimperialen Invasion: Frauenrechte wurden in geopolitische Manöver internationaler staatlicher Akteure und in humanitäre Infrastrukturen eingeflochten.

Das beförderte eine inhaltsleere Rhetorik und schuf ein lukratives Geschäftsfeld rund um die Themen "Gender" und "afghanische Frauen". Allerdings verhalf diese Entwicklung nur einzelnen, häufig bereits privilegierten Frauen, zu sozialen Aufstiegsmöglichkeiten.1

Im Februar 2020 erklärte die der US-Sondergeneralinspektor für den Wiederaufbau Afghanistans (Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction, Sigar) im US-Kongress, die amtlichen Überprüfungen von Regierungshilfeleistungen für Frauen in Afghanistan könnten nicht bestätigen, dass Verbesserungen der Lage von Frauen tatsächlich auf US-Programme zurückzuführen seien.

Dem Leiter von Sigar, John F. Sopko, zufolge habe die US-Regierung und die Entwicklungshilfebehörde USAID rund 850 Millionen US-Dollar im Rahmen von 17 Projekten für die Unterstützung afghanischer Frauen aufgewendet.

Allerdings sei nicht belegbar, wie viel des Geldes "tatsächlich" in Programme für "afghanische Frauen" geflossen sei.