Wenn Einseitigkeit zur Tugend wird: Medien in der Corona-Pandemie

Manch ein Journalist fühlte sich im Homeoffice für eine erfolgreiche Pandemiebewältigung verantwortlich. Symbolbild: thedarknut auf Pixabay (Public Domain)

Zwei Studien nehmen die Arbeit der Medien in der Pandemie unter die Lupe: Einseitig sei sie gewesen; das sei aber nicht unbedingt ein Problem

Wenn in der Corona-Pandemie von Propaganda die Rede ist, dann wird meist nicht von den großen Medien und der Bundesregierung gesprochen, sondern von deren Kritikern aller Schattierungen, die sich auf sehr unterschiedlichem Niveau im Internet äußern. "Gerade in den sozialen Medien ist viel Propaganda von Impfunwilligen und Verschwörungstheoretikern betrieben worden", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) im September zu Schülern in Berlin und gab damit ein Beispiel dafür.

Wenig untersucht blieb dagegen die Rolle der Medien in der Pandemie. Waren sie auf Regierungskurs? Haben sie die staatlichen Maßnahmen unreflektiert und unkritisch unterstützt? Bislang wurde zwar viel behauptet, aber es klaffte bei diesen Fragen eine große Forschungslücke. Zwei Studien, die am Montag von der Rudolf-Augstein-Stiftung vorgestellt wurden, schließen sie - zumindest teilweise. "Follow the science - aber wohin: Welche Schlüsse ziehen Medien, Wissenschaft & Politik aus der Corona-Krise" lautete der Titel der Veranstaltung.

Die empirische Untersuchung "Einseitig, unkritisch, regierungsnah?" warf einen Blick auf die Berichterstattung von elf Leitmedien, darunter Online-Angebote von FAZ, Süddeutsche Zeitung, Welt, Bild und Spiegel sowie vier Fernsehnachrichten-Formate wie Tagesschau von der ARD oder heute vom ZDF. Mehr als 5.000 Beiträge aus dem Zeitraum von April 2020 bis April 2021 wurden von den Wissenschaftlern der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München ausgewertet.

Die Studie wirft unter anderem die Frage auf, wohin sich die Medien und der Journalismus entwickeln. Lange galten die Medien als "vierte Gewalt" im Land, als eine Instanz, die der Politik und den Mächtigen genau auf die Finger schaut und prüft, ob Grundrechte eingehalten werden. "Wir sind eine Gewalt, die die Öffentlichkeit so informiert, dass sie weiß, wohin es gerade mit ihrem Staat geht", sagte einmal die Journalistin Jagoda Marinić.

Überwiegend für harte Maßnahmen

Von diesem Anspruch ist kaum etwas übrig geblieben; in der Pandemie fühlten sich stattdessen die Medien berufen, Politik und Gesellschaft zu warnen und eine gewisse Richtung zu geben. In der Studie heißt es, angesichts der geringen Erfahrungen mit Pandemien sei vielen Journalisten rasch klar geworden, "dass sie in dieser Situation noch mehr als sonst nicht nur einfache Beobachter und Vermittler von Geschehnissen" sein, sondern "erhebliche Mitverantwortung für den weiteren Verlauf der Pandemie und deren Wahrnehmung tragen würden".

Die Forscher attestieren den untersuchten Medien, zugleich regierungsnah und regierungskritisch gewesen zu sein. Sie seien regierungsnah gewesen, weil sie, "ähnlich wie die Politik, überwiegend für harte Maßnahmen plädierten". Und regierungskritisch seien sie gewesen, weil ihnen die Maßnahmen oft gar nicht hart genug erschienen oder aus ihrer Sicht zu spät kamen. Dabei entwickelten sie einen verengten Blick.

Vor allem ab der zweiten Pandemiewelle haben die von uns untersuchten Medien nur noch vergleichsweise selten über die negativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen harter Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie berichtet. Die Nöte derjenigen, deren Existenzen durch die Maßnahmen zerstört wurden, oder die dadurch mit psychischen und physischen Problemen zu kämpfen hatten, gerieten zunehmend aus dem medialen Blickfeld.

Die Forscher sprechen vom einer Darstellung "die man durchaus als einseitig betrachten kann" - doch diese Einseitigkeit sei nicht unbedingt ein Problem. Als solches könne man sie nur aus einer Position heraus ansehen, "die die Pandemie als eher ungefährlich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt".

Diesbezüglich stellen die Studienautoren eine Frage, die sicher in Zukunft noch beantwortet werden muss, nämlich "ob Medien angesichts einer für viele Menschen lebensbedrohenden Krise gemeinsam mit Wissenschaft und Politik alles zur Lösung des Problems unternehmen sollen und dafür auch klassische Qualitätskriterien der Berichterstattung außer Kraft gesetzt und umgedeutet werden müssen".

Lauterbach, der Talkshow-Champion

Was die Studie noch hervorhebt: In der zweiten und dritten Pandemiewelle waren zunehmend weniger virologische Experten in den Medien präsent. Sie seien besonders oft durch den SPD-Politiker Karl Lauterbach ersetzt worden, was sich "allerdings eher nicht mit dessen virologischer Expertise" erklären lasse. Vielmehr sei er gern zitiert worden, "weil viele Medien dessen harte Linie im Kampf gegen die Pandemie kannten und schätzten".

Lauterbach war auch ein gern eingeladener Gast in den Talkshows, wie die Studie "Corona-Sprechstunde mit Maybrit Illner, Anne Will & Frank Plasberg" zeigt. Zwischen Januar 2020 und Juli 2021 gab es 112 Sendungen von Anne Will, Maybritt Illner und "Hart aber fair", die der Corona-Pandemie gewidmet waren. In diesen Sendungen waren insgesamt 308 Personen zu Gast, davon waren 208 nur ein einziges Mal in einer Sendung. Lauterbach war insgesamt 22 Mal eingeladen, andere Politiker wie Olaf Scholz (SPD) oder Markus Söder (CSU) waren mit zwölf Einladungen deutlich weniger präsent.

Auffällig war, so die Studie, dass es in den Talkshows ein deutliches Übergewicht an Politikern gab, die direkt auf Bundes- oder Landesebene Entscheidungen trafen. So verwundet es nicht, dass die getroffenen Corona-Maßnahmen in den Sendungen zu 68 Prozent positiv bewertet wurden. Erst in den Sendungen des Jahres 2021 nahmen die kritischen Töne zu. Von den Politikern sahen 75 Prozent die Corona-Maßnahmen positiv, aus der Wissenschaft kamen zu 72 Prozent positive Einschätzungen. Skeptischer äußerten sich dagegen Journalisten (50 Prozent positiv) und Bürger (48 Prozent positiv).